Geschichte meines Lebens

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Einundzwanzigstes Kapitel.
Der Feldzug von 1805. — Briefe meines Vaters an meine Mutter. — Die Schlacht von Haslach. Brief aus Nürnberg. — Große Thaten der Division Gazan und der Division Dupont an den Ufern der Donau. — Brief aus Wien. — Der General Dupont. — Mein Vater erhält das Kreuz, wird Rittmeister und geht in die Linie über. — Die Feldzüge von 1806 und 1807. — Die Fähre von Tilsit. — Rückkehr nach Frankreich. — Reise nach Italien. — Briefe aus Venedig und Mailand. — Ende des Briefwechsels mit meiner Mutter und Anfang meiner eignen Geschichte.
Erster Brief.

Von meinem Vater an meine Mutter.

Hagenau, den 1. Vendemiaire, Jahr XIV. (22. Sept. 1803.)

„Ich komme mit Decouchy hier an, um wie gewöhnlich unserer Division Quartier zu machen. Wir speisen bei dem Marschall Ney und dieser benachrichtigt uns, daß wir ohne abzusatteln noch zwanzig Meilen zu machen und den Rhein zu überschreiten haben, und daß wir erst in Durlach, wo wir mit dem Feinde zusammentreffen, Halt machen dürfen. Nach einem Marsch von hundert und fünfzig Meilen kann uns eine solche Galoppade sämmtlich zu Grunde richten. Aber was thut's, es ist der Befehl. Wenn wir den Rhein überschreiten, nehmen wir noch das erste Husaren-Regiment und viertausend Mann des Großherzogs von Baden unter unser Kommando. Mit unserer Division von zwölftausend Mann werden wir also sehr stark sein und Du sollst von uns reden hören. Ach! meine Geliebte, wenn ich von Dir entfernt bin, sind Getümmel und Schlachten die einzigen Zerstreuungen, denen ich zugänglich bin, denn ohne Dich wird mir jede Freude ein Anlaß zur Traurigkeit, und Alles, was Andre beunruhigt und aufregt, sie also meinem Standpunkte nähert, läßt sie mir erträglicher erscheinen. Ich freue mich innerlich über die verstörten Gesichter vieler Leute, die in Friedenszeiten sehr tapfer und sehr wichtig thun. Die Straßen sind mit Hofwagen bedeckt, in welchen Pagen, Kammerherrn und Laquaien in weißseidnen Strümpfen reisen. Sie mögen sich vor den Kothflecken hüten!

„Wenn ich mich über irgend etwas freuen könnte, so lange ich Dich nicht sehe, glaube ich wirklich, daß ich mit den Erschütterungen zufrieden sein könnte, die sich vorbereiten. Fürchte nur keine Untreue, denn für längere Zeit werde ich nur mit dem männlichen Geschlechte verkehren. Die Herren Oestreicher werden uns Arbeit geben und bei der Art und Weise, wie man uns führt, glaube ich schwerlich, daß uns Zeit bleibt an Uebles zu denken.

„Ich gehe nicht nach Straßburg und werde weder ***, noch ***, noch *** sehen; sie sind nicht die Leute danach mit Flintenkugeln zu verkehren.

„Seit ich Dich verlassen habe, ist mir noch kein Augenblick der Ruhe zu Theil geworden. Seit sechs Nächten habe ich nicht geschlafen und seit acht Tagen habe ich die Kleider nicht gewechselt. Ich mußte immer vorwärts, um Quartier zu bestellen, endlich bin ich total heiser geworden. Nun frage ich Dich aber, ob ich in diesem Zustande und während ich Dich ganz in meinem Herzen trage, bei den Dorfschönen, an denen wir vorüberfahren, den Angenehmen machen kann? Ich hätte viel mehr Ursache unruhig zu sein, wenn ich nicht an Deine Liebe glaubte, und wenn ich nicht wüßte, wie zartfühlend Du bist. Ach! wenn ich erst anfinge eifersüchtig zu sein, würde ich jeden Blick Deiner Augen bewachen und könnte um ein Nichts der elendeste der Menschen werden. Aber fern von mir diese Beleidigung unserer Liebe! Deinen Brief aus Saarburg, mein theures Weib, habe ich erhalten. Er ist liebenswürdig wie Du selbst, und hat mir Leben und Muth zurückgegeben. Wie allerliebst ist unsre Aurora! wie ungeduldig machst Du mich, zurückzukehren, um Euch Beide in meine Arme zu schließen. Ich beschwöre Dich, meine Geliebte, gieb mir oft Nachricht von Dir; adressire Deine Briefe: an Herrn Dupin, Adjutanten des Generals Dupont, Kommandanten der 1. Division des 6. Armeekorps, unter dem Oberbefehl des Marschalls Ney. Auf diese Weise werde ich sie immer erhalten, das Heer mag noch so oft seinen Standpunkt wechseln. Bedenke, theures Weib, daß dies die einzige Freude ist, die ich fern von Dir, inmitten der Mühen dieses Feldzugs genießen kann; erzähle mir von Deiner Liebe, von unserm Kinde; bedenke, daß Du mir das Leben entrissest, wenn Du aufhörtest mich zu lieben: bedenke, daß Du mein Weib bist, daß ich Dich anbete, daß ich das Leben nur Deinetwegen liebe und daß ich es Dir ganz gewidmet habe. Bedenke, daß Nichts in der Welt, außer der Ehre und der Pflicht mich von Dir fern halten könnte; daß ich von Mühen und Entbehrungen umgeben bin, die mir jedoch im Vergleich zu dem Schmerze, von Dir getrennt zu sein, wie Nichts erscheinen. Bedenke, daß nur die Hoffnung, Dich wieder zu finden, mich aufrecht erhält und mich an's Leben fesselt.

„Lebe wohl, geliebte Frau; ich sinke vor Müdigkeit um, aber ich habe ein Bett für diese Nacht! In langer Zeit werde ich keins wieder finden, darum will ich es benutzen und will von Dir träumen. So leb' denn wohl, theure Sophie, wenn es möglich ist, schreibe ich Dir in Durlach. Empfange tausend zärtliche Küsse und gieb unsrer Aurora eben so viele. Sei ohne Besorgniß; ich verstehe mein Handwerk und bin glücklich im Kriege. Das Kreuz und Beförderung stehen mir bevor.

P. S. Wie bist Du darauf gekommen, daß man in Kriegszeiten doppelten Sold erhielte? Es ist ganz das Gegentheil, denn es ist nicht einmal die Rede von der Ankunft des Zahlmeisters. Da wir indessen kein Meer zu überschreiten haben, und da er früher oder später ankommen wird, fürchte nichts für mich, und hebe mir nichts von dem Gelde auf, was Dir meine Mutter geben wird. Schreibe ihr, um sie von Deiner Rückkehr nach Paris zu benachrichtigen.“

Zweiter Brief.

Von meinem Vater an meine Mutter.

Nürnberg, den 29. Vendémiaire, Jahr XIV.

„Seit gestern Abend sind wir hier, meine geliebte Frau, nachdem wir den Feind vier Tage lang ohne Aufhören verfolgt haben. Wir haben die ganze östreichische Armee gefangen genommen; es sind kaum einige Mann davon übrig geblieben, um diese Nachricht und das Entsetzen darüber in Deutschland zu verbreiten. Der Prinz Mürat, der uns kommandirt, ist sehr mit uns zufrieden, und wird morgen oder späterhin für mich und drei andere Offiziere der Division, das Kreuz vom Kaiser erbitten.

„Ich werde Dir von den Anstrengungen und Gefahren dieser zehn Tage nichts erzählen. Das sind die Widerwärtigkeiten des Handwerks. Aber was sind sie im Vergleich zu den Besorgnissen und Schmerzen, welche mir Deine Abwesenheit bereitet. Ich erhalte keine Nachrichten von Dir! es heißt sogar, daß keiner unserer Briefe nach Frankreich gelangt ist, weil der Feind unsern linken Flügel fortwährend beunruhigt hat. Denke Dir meine Qual, meine Angst! Weiß ich denn, ob Du Dich nicht furchtbar um mich kümmerst? ob Du das Geld erhalten hast, das ich Dir geschickt habe? Ob meine Aurora sich wohl befindet? — So getrennt zu sein von dem, was mir das Liebste auf der Welt ist! nicht ein Wort von ihnen erhalten zu können! Sei muthig, meine Geliebte! bedenke, daß die Trennung unsere Liebe nicht stören kann. Welch ein Glück, uns wiederzusehen, um uns nicht mehr zu trennen! Mit welchem Entzücken werde ich in Deine Arme eilen, sobald der Feldzug beendigt ist; dann reiße ich mich nie mehr von Dir los und werde Dir und Aurora alle meine Sorgfalt, jeden meiner Augenblicke weihen. Dieser Gedanke kann mich allein gegen den Kummer und die Sehnsucht kräftigen, die mich fern von Dir umlagern. Mitten aus den Schrecknissen des Krieges versetze ich mich zu Dir, und Dein sanftes Bild läßt mich den Wind, die Kälte, den Regen und alles Elend vergessen, dem wir hier ausgesetzt sind. Denke auch Du an mich, meine Geliebte! Bedenke, daß ich Dir die zärtlichste Liebe geweiht habe, die nur der Tod in meinem Herzen verlöschen kann. Bedenke, daß die geringste Kälte von Deiner Seite den Rest meines Lebens vergiften müßte, und daß ich Dich nur verlassen konnte, weil Beruf und Ehre mir eine heilige Pflicht daraus machten.

„Morgen früh um fünf Uhr verlassen wir Nürnberg, um uns nach Regensburg zu begeben, wohin wir in drei Tagen kommen werden. Der Prinz Mürat befehligt unsre Division noch immer.“

Dritter Brief.

Von meinem Vater an meine Mutter.

Wien, den 30. Brumaire, Jahr XIV.

„Mein Weib! mein theures Weib! dieser Tag ist der schönste meines Lebens. Von Unruhe zerrissen, von Anstrengung erschöpft komme ich mit der Division nach Wien. Ich weiß nicht, ob Du mich noch liebst, ob Du Dich wohl befindest, ob meine Aurora traurig oder vergnügt ist, ob mein Weib noch immer meine Sophie ist. Ich eile nach der Post, mein Herz schlägt vor Hoffnung und Furcht — und ich finde einen Brief von Dir! ich öffne ihn mit Entzücken — ich zittere vor Glück, indem ich die süßen Ausdrücke Deiner Zärtlichkeit lese. Ja, ja! theures Weib, für das Leben bin ich Dein; nichts in der Welt kann die glühende Liebe mindern, die ich Dir weihe, und so lange Du sie theilst, will ich dem Geschick, den lächerlichen Ungerechtigkeiten trotzen. Um die Verdrießlichkeiten meines Lebens ertragen zu können, war es sehr nöthig, daß ich einen Brief von meiner Frau zu lesen bekam.

„Nachdem ich mich als guter Soldat geschlagen und hundert Mal mein Leben für den Erfolg unserer Waffen gewagt habe, nachdem meine theuersten Freunde an meiner Seite gefallen sind, habe ich den Kummer gehabt, unsre glänzendsten Waffenthaten ignorirt oder durch das militärische Bedientenvolk entstellt und verdunkelt zu sehen. Ich weiß, was ich damit sagen will, und Du mußt es auch wissen und mußt die Höflinge erkennen. Ich war ohne Unterlaß an der Spitze der Regimenter unsrer Division und da habe ich gesehen, daß Muth und Unerschrockenheit überflüssige Eigenschaften sind, und daß nur die Gunst Lorbeeren ertheilt. Mit einem Worte: vor zwei Monaten waren wir unsrer Sechstausend, jetzt sind wir nur noch unsrer Dreitausend. Wir haben dem Feinde fünf Fahnen genommen, worunter zwei russische waren, wir haben fünftausend Gefangene gemacht, haben zweitausend Mann getödtet, haben vier Geschütze erbeutet — das Alles im Zeitraum von sechs Wochen, und nun sehen wir täglich in den Rapporten die Leute nennen, die nicht das Geringste gethan haben, während wir in Vergessenheit bleiben. Aber die Achtung und Zuneigung unserer Kameraden trösten mich; ich werde wieder ein armer Teufel sein, aber umgeben von Freunden, die ich auf dem Schlachtfelde gewonnen habe, und die aufrichtiger sind, als die Herren vom Hofe. Nun belästige ich Dich mit meiner düstern Laune, aber wem kann ich meine Sorgen mittheilen, wenn nicht meiner Sophie, und wer kann dieselben besser theilen und mildern als sie?

 

„Da unsere Soldaten ganz erschöpft sind, und da wir uns seit acht Tagen ohne Aufhören mit den Russen geschlagen haben, hat man uns endlich aus Mähren hierher geschickt, damit wir uns etwas ausruhen sollen. In der Affaire von Haslach [Während dieser ruhmvollen Affaire hatten sich die Oestreicher in Albeck auf die Bagagewagen der Division Dupont geworfen, hatten sich derselben bemächtigt und hatten so, wie Thiers sagt, einige gewöhnliche Trophäen gewonnen; ein elender Trost für die Niederlage von 25,000 Mann gegen 6000.] habe ich Alles verloren, aber ich habe mich dafür auf Kosten eines Dragoner-Offiziers von Latour entschädigt, den ich aus dem Sattel hob.

„Man verspricht uns lauter schöne Dinge, aber Gott mag wissen, wann es dazu kommt! Meine Mutter schreibt mir, daß es Dir an Nichts fehlen soll und daß ich darüber ruhig sein kann. Aber sage nur, mit welcher neuen Thorheit Du mich wieder regalirt hast? Debaix hat bis zu Thränen darüber gelacht. Demoiselle Roumier ist meine alte Bonne und meine Mutter giebt ihr eine Pension, weil sie mich großgewartet hat. Sie war vierzig Jahre alt, als ich zur Welt kam. Wahrlich ein schöner Gegenstand zur Eifersucht. Ich erzähle diese Thorheit allen meinen Freunden.

„Heute Morgen habe ich Bilette gesehen. Sein Anblick, der mich an die Rue Meslée erinnerte, hat mir eine unendliche Freude gemacht. Ich habe ihn umarmt, wie meinen besten Freund, denn ich konnte von Dir mit ihm reden und er konnte mir darauf antworten; obwohl er mir von Deinem Befinden keine directen Nachrichten brachte, habe ich ihn so viel gefragt, daß ich ihm gewiß langweilig geworden bin.

„Man spricht davon, uns bald nach Frankreich zurück zu schicken, denn der Krieg muß hier aufhören, da es an feindlichen Kämpfern fehlt. Die Oestreicher wagen nicht mehr, sich mit uns zu messen; die Russen sind im vollen Rückzuge.

Man betrachtet uns hier mit Verwunderung, die Einwohner Wiens können an unsere Gegenwart kaum glauben.

„Uebrigens ist diese Stadt ziemlich nüchtern. Seit vier und zwanzig Stunden bin ich hier und langweile mich wie in einem Gefängnisse. Die reichen Leute sind entflohen, die Bürger zittern und verstecken sich, das Volk ist starr vor Entsetzen. Man sagt, daß wir in drei bis vier Tagen aufbrechen werden, um nach Ungarn zu marschiren, um die Ueberreste der östreichischen Armee zu zwingen, die Waffen zu strecken und auf diese Weise den Abschluß des Friedens zu beschleunigen.

„Sei immer verstimmt in meiner Abwesenheit, mein theures Weib, denn so liebe ich Dich in der Ferne zu wissen. Laß Dich nicht sehen, denke nur daran, unser Töchterchen zu pflegen, und ich werde so glücklich sein, wie ich das fern von Dir zu sein vermag.

„Lebe wohl! Geliebte; ich hoffe Dich bald in meine Arme drücken zu können. Tausend Küsse für Dich und für meine Aurora!“

Dies Gerücht von einem neuen Marsch nach Ungarn war der Vorläufer der Schlacht von Austerlitz, welche am 4. December 1805 geschlagen wurde. Ich weiß nicht, ob mein Vater dabei war, aber ich glaube es nicht, obwohl es von mehreren Personen behauptet und durch seinen Nekrolog bestätigt wird, denn die Division Dupont war durch die Wunder, welche sie bei Haslach und Diestern verrichtet hatte, so erschöpft, daß sie in Wien bleiben mußte, um sich zu erholen. Auch befinden sich Dupont's Name in keinem der Berichte, welche ich über die Schlacht von Austerlitz gelesen habe.

Im Vorübergehen wollen wir ein Wort über den General Dupont sagen, der in Spanien bei Baylen so schuldig oder so unglücklich war, und der von der Restauration so schamlos belohnt wurde, weil er als einer der Ersten den Ruhm der französischen Armee in der Person des Kaisers verrieth. Es ist unzweifelhaft, daß er sich in dem Feldzuge, den wir eben skizzirten, als großer Krieger bewiesen hat. Wir haben gesehen, daß ihn mein Vater in Friedenszeiten wenig schätzte, um so mehr aber im Kriege. Hatte der Kaiser etwa ein Vorurtheil, ein geheimes Mißtrauen gegen Dupont? Entweder mußte dies der Fall sein, oder Dupont gefiel sich darin den Unzufriedenen zu spielen. Gewiß ist, daß die Klagen meines Vaters in dem zuletzt mitgetheilten Briefe auf einem allgemeinen Gerechtigkeitsgefühle beruhen. Seine Persönlichkeit war an und für sich nicht so wichtig, daß er sich hätte für den Gegenstand einer besondern Feindseligkeit halten können. Ich weiß nicht, wer jene Höflinge, jenes Bedientenvolk sein mochte, denen mein Vater mit solchem Eifer widerstrebt, aber da er den wohlwollendsten, großmüthigsten Charakter besaß, den man finden konnte, so ist anzunehmen, daß seine Klagen begründet waren.

Es ist bekannt, wie manche Eifersucht und Feindschaft der Kaiser während dieses Feldzugs im Zaum halten mußte; welche Fehler Mürat aus Tollkühnheit und Dünkel beging, und welchen Unwillen dies in Ney's Seele erregte. Wenn wir in der Geschichte suchen, finden wir sicherlich eine Erklärung für den Schmerz, den mein Vater auf dem Schlachtfelde nährte, und der eine merkliche Aenderung in der Gemüthsstimmung der Männer beweist, welche dem ersten Consul mit so großer Begeisterung nach Marengo gefolgt waren. Ohne Zweifel sind auch die Kriege des Kaiserreichs herrlich, unsere Krieger sind auch darin Helden von übermenschlicher Größe und der Kaiser ist der erste Feldherr der Welt. Aber wie ist in der Hofluft der junge Enthusiasmus der Republik verdorrt! Bei Marengo schrieb mein Vater als Postscriptum an seine Mutter: „Ach mein Gott! ich hätte fast vergessen Dir zu sagen, daß ich auf dem Schlachtfeld zum Lieutenant ernannt bin.“ Ein Beweis. daß er sehr wenig an seinen persönlichen Vortheil dachte, während er für die Sache mit Begeisterung kämpfte. Dagegen spricht er in seinem Wiener Briefe gegen seine Frau einen spöttischen Zweifel aus über die Belohnung, die ihn erwartet. Unter dem Kaiserreiche denkt Jeder an sich selbst, unter der Republik wetteiferten Alle sich selbst zu vergessen.

Die scheinbare Ungnade, die meinen Vater seit dem Uebergang über den Mincio in seiner Carriere hemmte, hörte übrigens mit dem Feldzuge von 1805 vollständig auf. Es gelang ihm endlich seinen Rücktritt in die Linie zu erwirken, und am 30. Frimaire des Jahres XIV (20. Decbr. 1805) wurde er zum Rittmeister des ersten Husaren-Regiments ernannt. [Zu dieser Zeit erhielt er auch das Kreuz der Ehren-Legion.] Er kehrte nach Paris zurück und nahm dann meine Mutter, Karoline und mich mit nach seinem Regimente, dessen Garnison ich nicht zu nennen weiß. Als er in den Feldzug von 1806 ging, schrieb er seiner Frau nach Longres in das Hauptquartier und adressirte an den Quartiermeister des Regiments. Wahrscheinlich machte er in der Zwischenzeit eine Reise nach Nohant; aber ich finde einen Beitrag zu seiner Geschichte nur in den wenigen Briefen, die hier folgen.

Primlingen, den 2. Oct. 1806.

„Von Mainz an sind wir so umhergeirrt, daß ich keinen Augenblick finden konnte, um Dir Nachricht von mir zu geben. Vor Allem muß ich Dir sagen, daß ich Dich abgöttisch liebe. Das ist zwar nichts Neues für Dich, aber es ist das Wichtigste, was ich Dir zu sagen habe. Ach! wie bin ich's schon müde, fern von Dir zu sein; ich schwöre es Dir zu, daß ich Dich nach Beendigung dieses Feldzugs nicht mehr verlassen will, es geschehe was da wolle.

„Seit drei Tagen habe ich mit meiner Compagnie sechsunddreißig Meilen gemacht, um den Kaiser zu escortiren. Er ist gestern nach Würzburg gekommen und wir sind in der Umgegend einquartiert. Auch die ganze Garde zu Fuß ist angekommen. Unterwegs hat mir der Kaiser mehrere Fragen über das Regiment vorgelegt und bei der letzten, die ich wegen des Wagenlärms nicht hören konnte, obwohl sie der Kaiser dreimal wiederholte, habe ich auf gut Glück geantwortet: „Ja, Sire!“ — Ich sah ihn lächeln und schließe daraus, daß ich eine schöne Dummheit gesagt habe. Wenn er mich als blödsinnig oder taub verabschiedete, wollte ich mich, durch die Rückkehr zu Dir schon trösten.

„Lebe wohl, mein hübsches Weib, meine geliebte Freundin; Du bist's, was ich am meisten in der Welt vermisse und ersehne. Ich umarme Dich aus voller Seele und liebe meine Aurora, unsere Kinder, Deine Schwester, Alles, was zu uns gehört.“

Den 7. December 1806.

„Seit vierzehn Tagen, mein geliebtes Weib, durchstreife ich zu Pferde die polnischen Wüsten. Von fünf Uhr Morgens bis zum Anbruch der Nacht finde ich oft nichts, als die raucherfüllte Hütte eines armen Teufels, von dem ich kaum ein Bund Stroh erhalte, um darauf zu schlafen. Heute erreiche ich nun die Hauptstadt von Polen und kann endlich einen Brief auf die Post geben. Ich liebe Dich hundertmal mehr als das Leben. Dein Andenken folgt mir überall, um mich zugleich zu trösten und zur Verzweiflung zu treiben. Wenn ich einschlafe, sehe ich Dich; wenn ich erwache, denk' ich an Dich; meine ganze Seele ist bei Dir — Du bist meine Gottheit, der Schutzengel, an den ich glaube und den ich inmitten meiner Anstrengungen und Gefahren anrufe. Ich habe, seit ich Dich verließ, nicht einen Augenblick der Ruhe genossen und ich brauche Dir nicht zu sagen, daß ich auch nicht einen Augenblick des Glückes hatte. Liebe mich, liebe mich! das ist das einzige Mittel, das rauhe Leben, das ich führe, zu versüßen. Schreibe mir! ich habe erst zwei Briefe von Dir erhalten, habe sie hundertmal gelesen und lese sie immer wieder. Bleibe immer das liebenswürdige Weib, das mir in so zärtlicher, anbetungswürdiger Weise schreibt. Lasse die Abwesenheit nicht erkältend auf Dich wirken; ich glaube, daß sie, wenn das möglich ist, meine Liebe zu Dir noch vergrößert. Wir wollen die Hoffnung auf baldige Wiedervereinigung nicht verlieren. Man unterhandelt in Posen und es ist sehr möglich, daß unsere Erfolge die Russen zum Frieden bestimmen. Ich werde mich nach Beendigung dieses Schreibens zu Philipp Ségur begeben, um ihm das für Dich bestimmte Packet zu überbringen. Er wird die Mittel besitzen, es Dir schneller zugehen zu lassen. Morgen überschreiten wir die Weichsel. Die Russen stehen zehn Meilen weit von hier und sind sehr verdutzt über unsere Märsche und unsere Manövers. Was mich betrifft, so wünsche ich mir beinah einen guten Säbelhieb, der mich auf immer lähmt und mich zu Dir zurückführt. In dem Jahrhundert, in dem wir leben, kann ein Soldat ja nur auf Ruhe und häusliches Glück hoffen, wenn er Arme oder Beine verliert. Ich weiß Niemand im Heere, der nicht ähnliche Wünsche hegt, aber die verdammte Ehre hält uns Alle hier fest. Viele beklagen sich darüber; ich leide im Stillen, denn was mache ich mir aus den Widerwärtigkeiten, Entbehrungen und Anstrengungen? sie sind es nicht, die mir mein Handwerk verleiden. Es ist die Trennung von Dir — und das kann ich den Andern nicht sagen. Wer Dich nicht kennt, würde das Uebermaß meiner Liebe nicht verstehen — und wer Dich kennt, verstände mich zu gut.

„Sprich von mir mit unsern Kindern! ich muß mich jetzt um die Fourage kümmern. Nicht einmal einen Augenblick zu haben, um diese halbe Tröstung des Schreibens zu genießen! Ich liebe Dich wie ein Unsinniger; liebe mich auch, wenn ich mein Leben erhalten soll.“

Nach der Affaire an der Passarge wurde mein Vater zum Escadronchef ernannt, und am 4. April l807 machte ihn Murat zu seinem Adjutanten. Deschartres hat mir erzählt, daß es auf die Empfehlung des Kaisers geschah, der meinen Vater bemerkt hatte und zu dem Prinzen sagte: „Das ist ein schöner, tapfrer junger Mann, solche Adjutanten können Sie brauchen.“ Mein Vater zählte so wenig auf diese Gunst, daß er im Begriff war, sie abzulehnen, weil er einsah, daß er durch sie noch mehr gefesselt wurde, und weil sie der unbedingten Rückkehr in seine Familie, die er so innig wünschte, neue Hindernisse entgegenstellte. Meine Mutter war mit dem, was sie seinen Ehrgeiz nannte, sehr unzufrieden, und er mußte sich deswegen rechtfertigen, wie der folgende Brief bezeugt.

 

Rosenberg, den 10. Mai 1807 im Hauptquartier des Großherzogs von Berg.

„Nachdem ich drei Monate lang wie ein Springinsfeld umher gelaufen bin und dem Prinzen ein hübsches Pröbchen von meiner Anstelligkeit zu den Missionen gegeben habe, komme ich hierher und finde zwei Briefe von Dir, vom 23. März und vom 8. April. Der erste giebt mir den Tod. Es scheint mir, als liebtest Du mich nicht mehr, wenn Du mir ankündigst, daß Du Dich bemühen willst, mich etwas weniger zu lieben. Glücklicherweise breche ich den zweiten auf und sehe nun wohl, daß Du mir nur aus Liebesübermaß so weh thust. O, mein theures Weib, meine Sophie, wie hast Du diese grausamen Worte schreiben, mir dies tödtliche Gift dreihundert Meilen weit senden und mich dem Schmerz aussetzen können, diesen fürchterlichen Brief zu lesen und dann vielleicht vierzehn Tage zu warten, ehe ich einen andern erhielt, der mich trösten und beruhigen konnte. Jetzt muß ich Gott danken, daß ich Deiner Briefe so lange beraubt gewesen bin! O, meine Geliebte, entsage den schrecklichen Gedanken, dem ungerechten Argwohn. Ist es möglich, daß Du an mir zweifelst? Der empfindlichste Vorwurf, den Du mir machen kannst, ist mir zu sagen, daß ich Karolinens Dasein vergesse, und daß Du mit Schrecken an die Zukunft dieses Kindes denkst. Wodurch habe ich Deine beleidigenden Zweifel erweckt? Habe ich einen einzigen Augenblick aufgehört, sie wie mein eignes Kind zu betrachten? Habe ich in meiner Sorgfalt und in meinen Liebkosungen den geringsten Unterschied zwischen ihr und meinen andern Kindern gemacht? und habe ich, seit dem Tage, als ich Dich zum ersten Mal erblickte, nur einen Augenblick aufgehört, Dich anzubeten und Alles zu lieben, was Dein ist: Deine Tochter, Deine Schwester — Alles, was Du liebst? Du überhäufst mich mit Vorwürfen, als ob ich Dich verließe nur um der Freude willen, die Welt zu durchstreifen. Ich schwöre Dir bei meiner Ehre und bei meiner Liebe, daß ich nicht auf Beförderung angetragen habe; daß mich der Großherzog in seine Nähe berufen hat, ohne daß ich seine Absicht im Entferntesten ahnte; daß ich endlich mit tiefer Betrübniß den Tag unserer Wiedervereinigung weiter hinausschieben sah. Soll ich Dir Alles sagen? — ich war schon im Begriff die Beförderung auszuschlagen, weil ich mich muthlos fühlte, die neue Verzögerung meiner Rückkehr zu Dir zu ertragen. Aber, theure Frau, hätte ich wohl meine Pflicht gegen Dich, gegen meine Mutter, die ihren Wohlstand für meine militärische Laufbahn geopfert hat, gegen unsere Kinder, unsere drei Kinder [Diese drei Kinder waren: Karoline, ich und ein Sohn, der 1806 geboren ist und nicht am Leben blieb. Ich erinnere mich seiner gar nicht.] erfüllt, die gar bald der Hülfsmittel und des Ansehens ihres Vaters bedürfen werden, wenn ich das Glück zurückgewiesen hätte, das aus freiem Antriebe kam, mich aufzusuchen.

„Mein Ehrgeiz, sagst Du? ich und Ehrgeiz! wenn ich weniger traurig wäre, würdest Du mich durch dies Wort zum Lachen bringen. Ach! ich habe nur noch ein Verlangen, seit ich Dich kenne; das Verlangen, Dich für die Ungerechtigkeiten der Welt und des Geschicks zu entschädigen, Dir eine ehrenhafte Stellung zu sichern und Dich vor Elend zu bewahren, wenn mich eine Kugel auf dem Schlachtfelde treffen sollte. Bin ich Dir das nicht schuldig, da Du so lange mein Mißgeschick getheilt und meinetwegen einen Palast mit einer Hütte vertauscht hast! Urtheile etwas besser über mich, meine Sophie, beurtheile mich nach Deinem eignen Gefühl. Nein, es giebt keinen Augenblick in meinem Leben, wo ich nicht an Dich dächte, und Nichts kann mich für das bescheidne Stübchen meiner theuern Frau entschädigen; das ist das Heiligthum meines Glücks — und in meinen Augen ist Nichts so viel werth, als ihre hübschen, schwarzen Haare, ihre schönen Augen, ihre weißen Zähne, ihre anmuthige Gestalt, ihr Perkalkleid, ihre hübschen Füße, ihre kleinen Zeugschuhe. Ich bin in das Alles verliebt, wie am ersten Tage, und ich wünsche nichts weiter in der Welt. Aber um dies Glück in voller Sicherheit zu besitzen, um mit unsern Kindern nicht gegen das Elend ringen zu müssen, ist es nöthig in der Gegenwart einige Opfer zu bringen. Du sagst, daß wir in einem Palaste weniger glücklich sein würden, als in unserer kleinen Dachstube; daß nach Abschluß des Friedens der Prinz zum König ernannt werden wird, daß wir dann genöthigt sein werden, in seinen Staaten zu wohnen, daß wir unsere Verborgenheit, unser Zusammenleben und die herrliche Freiheit verlieren werden, die wir in Paris genossen. Es ist in der That wahrscheinlich, daß der Prinz König werden und uns in seine Staaten mitnehmen wird; aber ich leugne, daß wir uns irgendwo nicht glücklich fühlen sollten, wo wir zusammen sein können, und daß irgend etwas eine Liebe stören könnte, welche durch die Ehe geheiligt ist. Wie thöricht bist Du, mein liebes Weib, zu glauben, daß ich Dich weniger lieben würde, wenn ich im Luxus und im Goldglanze lebe! und wie lieblich bist Du zu gleicher Zeit, dies Alles zu verachten. Aber auch ich verachte ja jene Größe und Eitelkeit, und inmitten jener Freuden werde ich von Langeweile bedrückt, das weißt Du wohl! Du weißt, mit welchem Eifer ich mich daraus zurückziehe, um ruhig mit Dir in einem kleinen Winkel zu sein. Und für diesen kleinen Winkel muß ich arbeiten und mich schlagen, muß ich jede Belohnung annehmen und danach trachten, ein Regiment zu bekommen, weil wir uns dann nicht mehr zu trennen brauchen, und dadurch die Mittel zu einer so ruhigen, so einfachen, so traulichen Häuslichkeit bekommen, wie Du Dir wünschest. Und wenn mich nun auch ein wenig Eitelkeit antriebe, Dich zuweilen glücklich und glänzend an meinem Arme zu zeigen, um Dich für die einfältige Nichtachtung gewisser Leute zu rächen — was wäre Böses dabei? Ich gestehe, daß ich stolz sein würde, ganz allein der Schöpfer unsers Glückes gewesen zu sein und nur meinem Muthe, meiner Vaterlandsliebe zu verdanken, was Andere durch Gunst, durch Intrigue oder durch die Chimäre der Geburt erlangen. Ich kenne Leute, die Alles, was sie sind, dem Namen oder der Leichtfertigkeit ihrer Frauen verdanken; mein Weib wird einen andern Werth geltend zu machen haben; ihre treue Liebe und die Verdienste ihres Mannes.

„Die schöne Jahreszeit ist nun wieder gekommen! wie lebst Du, meine Geliebte? Ach, mit wie traurigen und entzückenden Erinnerungen erfüllt mich der Anblick einer schönen Wiese oder eines grünenden Waldes. Welche köstlichen Augenblicke verlebte ich vergangenes Jahr mit Dir an den Ufern des Rheines. Ihr kurzen Augenblicke des Glückes, von wie viel Sehnsuchtsschmerzen seid ihr gefolgt! Bei Marienwerder bin ich allein am Ufer der Weichsel spazieren gegangen, meinem Kummer hingegeben, mit einem Herzen, das von Traurigkeit und Unruhe zerrissen war. In der Natur sah ich Alles wieder aufleben, aber mein Herz war dem Gefühl des Glückes verschlossen. Ich befand mich an einem Orte, der demjenigen in der Nähe von Coblenz gleich war, wo Du Dich so fürchtetest, wo wir uns auf das Gras setzten und wo ich Dich in meine Arme schloß, um Dich zu beruhigen. Ich fühlte mich von der Erinnerung an Dich durchglüht, ich irrte wie ein Wahnsinniger umher, ich suchte Dich, ich rief Dich umsonst. Endlich habe ich mich niedergesetzt, von Schmerz ermüdet und zerschlagen, und statt meiner theuern Sophie habe ich an diesen traurigen Ufern nur Einsamkeit, Unruhe und Eifersucht gefunden. Ja, Eifersucht, ich muß es gestehen! auch ich werde in der Ferne von Gespenstern umlagert; aber ich sage Dir nichts davon, weil ich fürchte, Dich zu erzürnen. Ach! wenn die Anstrengung der Märsche und der Lärm der Schlachten einen Augenblick für mich aufhören, werde ich tausend Qualen zur Beute. Alle Furien der Leidenschaft bestürmen mich; ich empfinde alle Beängstigungen, alle Schwachheiten der Liebe. Oh! gewiß, mein theures Weib, ich liebe Dich, wie am ersten Tage! Möchten unsere Kinder Dich unaufhörlich an mich erinnern; gehe nur mit ihnen spazieren, laß Dich durch sie zu jeder Stunde an unsre Schwüre und an unsern Bund erinnern. Sprich auch von mir mit ihnen; ich lebe ja nur für sie, für Dich und für meine Mutter! —