Geschichte meines Lebens

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Nachdem dies festgestellt ist, wird man errathen, daß ich die Akten meines Processes nicht in diese Memoiren übertragen werde. Ich würde meine Aufgabe zu sehr erschweren, wenn ich kindischer Rachsucht und bitteren Erinnerungen Platz gewährte. Ich habe viel gelitten durch diese Verhältnisse, aber ich schreibe nicht, um zu klagen und um mich trösten zu lassen. Die Schmerzen, von denen ich auf Anlaß rein persönlicher Erlebnisse erzählen könnte, würden nicht von allgemeinem Nutzen sein, also werde ich nur die mittheilen, denen alle Menschen ausgesetzt sind. Darum noch einmal, Freunde des Skandals, schließt mein Buch bei der ersten Seite, es ist nicht für Euch geschrieben.

Dies ist wahrscheinlich Alles, was ich über meine Ehe zu sagen haben werde, und ich habe es gleich gesagt, um einem Gebote meines Gewissens zu gehorchen. Ich weiß, daß es nicht vorsichtig ist, Biographen zu widerlegen, die zu unsern Gunsten gestimmt sind, und die uns mit einer Durchsicht und Ergänzung unserer Mittheilungen bedrohen können; aber ich bin nie in irgend welcher Art vorsichtig gewesen und ich habe auch nicht gesehen, daß Andere, die sich Mühe gaben, es zu sein, mehr geschont wären, als ich — mit der Aussicht auf gleichen Erfolg wird es aber wohl gestattet sein, den Impulsen unseres Wesens zu folgen.

Und nun verlasse ich bis auf Weiteres das Kapitel meiner Heirath und kehre zu dem meiner Geburt zurück.

Diese Geburt, die in Bezug auf beide Zweige meiner Familie so oft und in so eigenthümlicher Weise besprochen wurde, hat in der That etwas Sonderbares und hat mich zu häufigem Nachdenken über die Frage der Abstammungen veranlaßt.

Ich habe besonders meine ausländischen Biographen im Verdacht, sehr aristokratisch zu sein, denn sie Alle haben mich mit einer vornehmen Herkunft beschenkt, ohne, wie sie als wohlunterrichtete Leute gethan haben müßten, auf einen sehr sichtbaren Fleck in meinem Wappen Rücksicht zu nehmen.

Man ist nicht allein das Kind seines Vaters, man ist, wie ich glaube, auch ein wenig das seiner Mutter — es scheint mir sogar, als wären wir dies am meisten; als wären wir auf das Unmittelbarste, Mächtigste, Heiligste mit dem Wesen verbunden, das uns unter seinem Herzen getragen hat. Wenn also mein Vater der Ur-Enkel Augusts II., Königs von Polen ist, so daß ich mich von dieser Seite, zwar auf illegitime, aber unzweifelhafte Weise mit Karl X. und Ludwig XVIII. nahe verwandt fühle, ist es nicht weniger wahr, daß ich durch mein Blut dem Volke ebenso nahe stehe — und auf dieser Seite ist noch dazu kein Bastardthum.

Meine Mutter war ein armes Kind der alten Stadt Paris; ihr Vater Anton Delaborde war Ballspielhaus-Aufseher und Meister Vogler, das heißt, er verkaufte Kanarienvögel und Stieglitze auf dem Quai aux oiseaux, nachdem er in irgend einem Winkel von Paris ein kleines Estaminet mit Billard besessen hatte, wobei er jedoch schlechte Geschäfte machte. Der Pathe meiner Mutter hatte überdies einen berühmten Namen im Vogelgeschäft; er hieß Barra und sein Name steht noch jetzt auf dem Boulevard du temple über einem Bauwerk aus Käfigen von allen Größen, in welchen immer eine Menge gefiederter Wesen fröhlich singen, die ich wie ebenso viele Pathen und Pathinnen zu betrachten pflege; wie geheimnißvolle Beschützer, mit denen mich immer eine besondere Sympathie verbunden hat.

Wer vermag die Wahlverwandtschaft zu erklären, die zwischen dem Menschen und gewissen untergeordneten Wesen der Schöpfung stattfindet? sie besteht ebenso gewiß, wie die Antipathie und die unüberwindliche Angst, die uns einige ganz unschädliche Thiere einflößen. Mir ist die Sympathie der Thiere so zugewendet, daß meine Freunde davon oft, wie von einem Wunder überrascht sind. Ich habe in dieser Weise die außerordentlichsten Erziehungen vollendet, aber besonders bei Vögeln. Sie sind die einzigen Geschöpfe, auf die ich jemals eine Art Zauber geübt habe — und wenn es eitel ist, mich dessen zu rühmen, muß ich bei ihnen um Verzeihung bitten.

Ich habe diese Gabe von meiner Mutter, der sie in noch höherem Grade eigen war, als mir, so daß sie in unserm Garten immer von kecken Sperlingen, beweglichen Grasmücken und muntern Finken begleitet wurde, die in Freiheit auf den Bäumen lebten, aber zutraulich die Hände pickten, die sie fütterten. Ich möchte wetten, daß sie diesen Einfluß von ihrem Vater geerbt hatte, und daß dieser nicht durch einen Zufall der Verhältnisse veranlaßt war, Vogelhändler zu werden, sondern durch den natürlichen Hang, sich den Wesen zu nähern, mit denen er durch Instinkt verbunden war. Niemand hat Martin, Carter und van Amburgh eine besondere Macht über die Natur der wilden Thiere abgesprochen, und ich hoffe, daß man auch mir mein savoir-faire und savoir-vivre mit den geflügelten Zweifüßlern nicht abstreiten wird, die vielleicht in meinem frühern Dasein eine wichtige Rolle spielten.

Doch Scherz bei Seite; es ist gewiß, daß jeder von uns ein bestimmtes, oft sogar leidenschaftliches Vorurtheil für oder gegen gewisse Thiere empfindet. Der Hund spielt eine außerordentliche Rolle im Menschenleben und das beruht auf einem Geheimnisse, das noch nicht vollständig ergründet ist. Ich habe eine Magd gehabt, die von der Leidenschaft für Schweine erfüllt war und vor Schmerz ohnmächtig wurde, wenn sie dieselben in die Hände des Schlächters übergehen sah; ich dagegen, obwohl ich auf dem Lande fast bäuerisch erzogen bin, wo ich mich an den Anblick dieser Thiere gewöhnt haben sollte, die bei uns in Menge gehalten wurden, habe immer eine kindische, unüberwindliche Furcht davor gehabt, so daß ich den Kopf verliere, wenn ich mich von diesen unsaubern Geschöpfen umgeben sehe; ich möchte mich hundertmal lieber zwischen Löwen und Tigern befinden.

Vielleicht kommt es daher, weil alle die Typen, die einzeln den verschiedenen Thier-Geschlechtern zugetheilt sind, sich im Menschen wiederfinden. Die Physiognomiker haben körperliche Aehnlichkeiten nachgewiesen — wer vermöchte die geistigen zu leugnen? Giebt es nicht unter uns Füchse, Wölfe, Löwen, Adler, Maikäfer und Fliegen? Die menschliche Rohheit ist oft niedrig und wild, wie die Gier des Schweines, und auch im Menschen erfüllt mich dies am meisten mit Schrecken und Ekel. Ich liebe den Hund, aber nicht alle Hunde; ich habe sogar eine entschiedene Abneigung gegen gewisse Individualitäten dieses Geschlechts. Ich liebe sie, wenn sie ungehorsam, kühn, mürrisch und unabhängig sind, aber die Gier, die allen eigen ist, thut mir weh. Sie sind vortreffliche, in mancher Beziehung wunderbar begabte Wesen: aber in einzelnen Punkten, in denen die Rohheit des Thieres zu sehr ihr Recht behauptet, sind sie unverbesserlich. Der Hunde-Mensch ist kein schöner Typus.

Aber vom Vogel behaupte ich, daß er das höchste Wesen der Schöpfung ist. Seine Organisation ist ganz bewunderungswürdig; sein Flug stellt ihn in materieller Hinsicht über den Menschen und schafft ihm eine Macht, die unsere Erfindungskraft noch nicht errungen hat. Sein Schnabel und seine Krallen besitzen eine unglaubliche Geschicklichkeit. Er hat den Instinkt der ehelichen Liebe, der Vorsorglichkeit, des häuslichen Fleißes. Sein Nest ist ein Meisterstück von Kunstfertigkeit, Sorgsamkeit und zierlicher Schönheit. Die Hauptart ist diejenige, in welcher das Männchen dem Weibchen in Erfüllung der Familienpflichten beisteht; in welcher der Vater, wie bei den Menschen, das Haus baut, die Kinder schützt und nährt. Der Vogel ist Sänger; er ist schön; er besitzt Grazie, Leichtigkeit, Lebhaftigkeit, Anhänglichkeit, Sittenreinheit, und man hat sehr unrecht gethan, ihn oft zum Vorbilde der Unbeständigkeit zu machen. Soweit der Instinkt der Treue den Thieren gegeben ist, ist er das treueste unter ihnen. Im oft gepriesenen Hundegeschlecht hat das Weibchen allein die Liebe der Nachkommenschaft, wodurch es über dem Männchen steht; aber bei den Vögeln stellen beide Geschlechter, die mit gleichen Tugenden begabt sind, das Ideal der Ehe dar. Man rede also nicht verächtlich von den Vögeln. Es fehlt wenig daran, daß sie uns gleichständen — und als Sänger wie als Dichter sind sie besser begabt als wir. Der Vogel-Mensch ist der Künstler.

Da ich einmal beim Kapitel der Vögel bin — und warum sollte ich es nicht erschöpfen, da ich mir einmal unendliche Abschweifungen gestattet habe — werde ich einen Vorfall erzählen, dessen Zeuge ich gewesen bin, und den ich Büffon, diesem sanften Dichter der Natur, mitgetheilt haben möchte. Ich erzog zwei Grasmücken aus verschiedenen Nestern und von verschiedener Art: die eine mit gelber Brust, die andere mit grauem Mieder. Die Gelb--Brust, die Jonquille hieß, war um vierzehn Tage älter, als die Grau-Brust, die Agathe genannt wurde. Vierzehn Tage für eine Grasmücke — die Grasmücke ist unter unseren kleinern Vögeln am klügsten und gelangt am frühsten zur Reife — kommen zehn Jahren eines jungen Mädchens gleich. Jonquille war also ein nettes Jüngferchen, zwar noch mager und schlecht befiedert, unfähig weiter zu fliegen, als von einem Zweige zum andern, und selbst nicht im Stande allein zu fressen; denn die Vögel, die der Mensch erzieht, entwickeln sich später, als die in der Wildniß aufwachsenden. Die Grasmücken-Mütter sind viel strenger als wir, und Jonquille würde vierzehn Tage früher allein gefressen haben, wenn ich so klug gewesen wäre, sie dazu zu zwingen, indem ich sie sich selbst überließ und ihre Zudringlichkeit nicht beachtete.

Agathe war ein unausstehliches kleines Kind; sie konnte nichts als Unruhe stiften, schreien, ihre sprießenden Federn schütteln und Jonquille quälen, die bereits anfing ernsthaft zu werden und sich in Gedanken zu vertiefen, indem sie die eine Kralle in die Federn ihres Kleides steckte, den Kopf zwischen die Schultern zog und die Augen zur Hälfte schloß.

Indessen war auch sie noch sehr kindisch und sehr naschhaft. Und so oft ich die Unvorsichtigkeit beging, sie anzusehen, bemühte sie sich bis zu mir zu fliegen, um sich satt zu fressen.

 

Eines Tages schrieb ich an einem Roman, der mich etwas erregte. Ich hatte den grünen Zweig, auf welchem meine beiden Zöglinge in Eintracht zusammen saßen und lebten, in einiger Entfernung aufgestellt. Es war etwas kühl; Agathe, die noch halb nackt war, hatte sich unter Jonquille zusammengekauert, und diese erfüllte ihre Mutter-Rolle mit großmüthiger Gefälligkeit. So saßen beide eine halbe Stunde ruhig neben einander, und ich benutzte die Zeit zum Schreiben, denn es war selten, daß sie mir am Tage so viel Muße ließen.

Aber endlich erwachte der Hunger; Jonquille sprang auf einen Stuhl, dann auf den Tisch und löschte das Wort aus, das mir eben aus der Feder floß, während Agathe, die ihren Zweig nicht zu verlassen wagte, mit den Flügeln schlug und mir den offenen Schnabel mit verzweiflungsvollem Geschrei entgegenstreckte.

Ich war in der Mitte meiner Entwicklung und wurde zum ersten Male etwas ärgerlich gegen Jonquille. Ich stellte ihr vor, daß sie alt genug wäre, um allein zu fressen, daß sie vor ihrem Schnabel ein vortreffliches Futter in einer hübschen Tassenschale fände, und daß ich entschlossen wäre, ihrer Faulheit nicht länger nachzugeben. Die empfindliche und eigensinnige Jonquille zog sich trotzend auf ihren Zweig zurück; aber Agathe fügte sich nicht, wendete sich zu ihrer Gefährtin und bat sie um Nahrung mit unglaublicher Beharrlichkeit. Wahrscheinlich bat sie auf sehr beredtsame Weise, oder wenn sie sich noch nicht gut auszudrücken vermochte, lag etwas in dem Ton ihrer Stimme, das ein gefühlvolles Herz zerreißen mußte. Ich Grausame sah und hörte ruhig zu und beobachtete Jonquille's sichtliche Bewegung; sie schien unschlüssig zu sein und innerlich einen außerordentlichen Kampf zu kämpfen.

Endlich waffnet sie sich mit Entschlossenheit, fliegt mit einem Schwung bis zur Tassenschale, schreit einen Augenblick, als hoffte sie, das Futter sollte allein in ihren Schnabel kommen, doch zuletzt entschließt sie sich es selber anzugreifen. Aber o Wunder der Liebe! sie vergißt den eigenen Hunger zu stillen, füllt ihren Schnabel und kehrt auf den Zweig zurück, wo sie Agathe so geschickt und reinlich füttert, als wenn sie selbst schon Mutter wäre.

Seit diesem Augenblicke belästigten mich Agathe und Jonquille nicht mehr. Die Kleinere wurde durch die Aeltere aufgezogen und diese erfüllte ihre Aufgabe weit besser als ich, denn Agathe wurde reinlich, glänzend und fett und lernte viel schneller sich selbst bedienen, als unter meiner Leitung. So hatte diese arme Kleine ihre Gefährtin zu ihrer Pflegetochter gemacht, obwohl sie selbst noch ein Kind war und hatte nur gelernt sich selbst zu ernähren, weil ein Gefühl mütterlicher Liebe sie bezwang und antrieb.

Einen Monat später lebten Jonquille und Agathe — die immer unzertrennlich blieben, obwohl sie von gleichem Geschlecht und verschiedener Abstammung waren — in voller Freiheit auf den großen Bäumen meines Gartens, sie entfernten sich nicht weit vom Hause und wählten besonders den Gipfel einer hohen Tanne zu ihrem Aufenthalt. Sie waren schlank, glatt und munter, und da es in der schönen Jahreszeit war, kamen sie täglich, wenn wir im Freien saßen, auf den Tisch geflogen und blieben bei uns wie liebenswürdige Gäste. Bald saßen sie auf unserer Schulter, bald flogen sie dem Diener entgegen, um die Früchte, die er brachte, noch vor uns zu kosten. [Es scheint, daß diese wunderbare Geschichte etwas sehr Alltägliches ist, denn seitdem ich dies geschrieben habe, haben wir ähnliche Beispiele gesehen: eine Brut Nachtigallen, die wir in einem Käfige aufzogen, fütterte, als sie kaum zu fressen vermochte, alle kleinen Vögel ihrer Art, die wir in denselben Käfig sperrten.]

Obwohl sie zu uns Allen das größte Zutrauen hatten, ließen sie sich nur von mir greifen und halten, und zu jeder Tageszeit kamen sie auf meinen Ruf — den sie niemals mit dem der Andern verwechselten — von ihrem Baume herunter. Einer meiner Freunde, der aus Paris kam, war sehr erstaunt, als er hörte, daß ich Vögel rief, die in den Zweigen versteckt waren und nun gleich herbei eilten. Ich hatte gewettet, daß sie mir gehorchen würden, und da er ihre Erziehung nicht gesehen hatte, war er für einen Augenblick geneigt an Hexerei zu glauben.

Ich habe auch ein Rothkehlchen gehabt, das in Betreff des Verstandes und des Gedächtnisses ein wunderbares Geschöpf war; dann einen Königsgeier, der für Alle ein wildes Thier blieb, aber mit mir so vertraulich lebte, daß er auf dem Wiegenrande meines Sohnes saß und leise mit seinem großen Schnabel, der scharf war wie ein Rasirmesser, die Fliegen fing, die sich auf das Gesicht des Kindes setzten. Er stieß dabei einen zarten, liebevollen Ton aus, und ging so geschickt und vorsichtig zu Werke, daß er den Kleinen niemals geweckt hat. Und doch war dieser Bursche von solcher Kraft und Willensstärke, daß er eines Tages fortflog, nachdem er einen ungeheuren Käfig umgeworfen und zerbrochen hatte, in den er eingesperrt war, weil er für Personen, die er nicht leiden konnte, gefährlich war. Es gab keine Kette, deren Ringe er nicht leicht zerrissen hätte, und die größten Hunde fühlten eine unüberwindliche Furcht vor ihm.

Mit der Geschichte der Vögel, die ich zu Freunden und Gefährten gehabt habe, würde ich niemals fertig. In Venedig habe ich mit einem reizenden Staar zusammengelebt, der zu meiner Verzweiflung im Kanal ertrank; dann mit einer Drossel, die ich dort lassen mußte und von der ich mich nicht ohne Schmerz getrennt habe. Die Venetianer besitzen ein großes Talent zur Erziehung der Vögel, und es gab in einer Straßenecke einen jungen Burschen, der in dieser Hinsicht Wunder vollbrachte. Eines Tages setzte er in die Lotterie und gewann, ich weiß nicht wie viel Zechinen. Er verzehrte sie im Laufe des Tages bei einem großen Gastmahl, das er allen seinen zerlumpten Freunden gab. Am folgenden Tage kehrte er dann in seinen Winkel, auf die Stufen eines Landungsplatzes zurück, wo er den Vorübergehenden abgerichtete Staare und Elstern verkaufte, mit denen er sich vom Morgen bis zum Abend auf das Liebevollste unterhielt. Er fühlte weder Schmerz noch Reue, das Geld mit seinen Freunden verzehrt zu haben; denn er hatte zu lange mit den Vögeln gelebt, um nicht Künstler zu sein. An diesem Tage verkaufte er mir meine Drossel für fünf Sous. Für fünf Sous eine schöne, gute, fröhliche und unterrichtete Gefährtin zu haben, die nur einen Tag mit uns zu leben braucht, um uns für das ganze Leben zu lieben — das ist wahrhaftig zu wohlfeil. Ach, wie werden die Vögel so wenig geschätzt und so schlecht erkannt!

Ich habe mir die Laune gestattet, einen Roman zu schreiben, in welchem die Vögel eine ziemlich wichtige Rolle spielen, und in welchem ich versucht habe etwas über Wahlverwandtschaften und verborgene Einwirkungen zu sagen. Es ist Teverino, und ich weise meine Leser darauf hin, wie ich oft thun werde, wenn ich nicht wiederholen mag, was ich früher schon besser entwickelt habe.

Ich weiß wohl, daß ich nicht für gewöhnliche Menschen schreibe. Diese haben mehr zu thun, als sich die Kenntniß einer Reihenfolge von Romanen zu erwerben und die Geschichte eines Wesens zu lesen, das dem öffentlichen Leben fremd ist. Leute meines Handwerks schreiben nur für eine gewisse Zahl von Personen, die sich in ähnlichen Verhältnissen befinden, oder in ähnliche Träumereien verloren sind, wie sie selbst. Ich werde also nicht fürchten müssen, rücksichtslos zu sein, indem ich die, welche nichts Besseres zu thun haben, auffordere, einige Seiten von mir wiederzulesen, um diejenigen zu ergänzen, die sie vor Augen haben.

So habe ich in Teverino ein junges Mädchen dargestellt, welches, wie die erste Eva, alle Vögel beherrscht — und hier will ich es aussprechen, daß dies durchaus nicht rein erfunden ist; ebensowenig, wie die Wunder dieser Art, die man von dem poetischen, bewunderungswürdigen Betrüger, Apollonius von Tyana, erzählt, dem Geist des Christenthums zuwider sind. Wir leben in einer Zeit, in welcher die natürlichen Ursachen, deren Wirkungen bis jetzt für Wunder gehalten sind, noch nicht gründlich erklärt werden; aber dennoch kann man jetzt schon behaupten, daß nichts an den Wundern ist, und daß die Gesetze des Universums, obwohl sie nicht alle ergründet und erklärt sind, doch der ewigen Ordnung angemessen sein müssen.

Aber es ist Zeit das Kapitel der Vögel zu schließen, um zu dem meiner Geburt zurückzukehren.

Zweites Kapitel.
Von der Geburt und vom freien Willen. — Friedrich August. — Aurora von Königsmark. — Moritz von Sachsen. — Aurora von Sachsen. — Der Graf Horn. — Die Fräulein Verrières und die Schöngeister des achtzehnten Jahrhunderts.— Herr Dupin von Francueil. — Madame Dupin von Chenonceaux. — Der Abbé von St. Pierre.

Das Blut der Könige war also in meinen Adern mit dem Blute der Armen und Geringen vermischt. Und da, was man Bestimmung zu nennen pflegt, der Charakter des Individuums ist; da der Charakter des Individuums auf seiner Organisation beruht, und die Organisation eines Jeden von uns das Ergebniß der Vermischung oder Gleichheit der Racen ist, und die immer modificirte Fortsetzung einer Folge von Urbildern, die sich an einander anreihen — so habe ich immer daraus geschlossen, daß die natürliche Erblichkeit, die des Körpers und der Seele, eine ziemlich wichtige Verbindung zwischen einem jeden von uns und unseren Ahnen bildet.

Denn wir Alle — Große und Kleine, Plebejer und Patricier — wir Alle haben Ahnen. Ahnen heißt patres, das heißt eine Folge von Vätern, denn dies Wort hat keinen Singular. Es ist lächerlich, daß der Adel diesen Ausdruck zu seinen Gunsten in Beschlag genommen hat — als ob der Handwerker und der Bauer nicht eben so gut eine Reihe von Vätern hinter sich hätte; als ob nur der Besitzer eines Wappens den heiligen Vaternamen führen dürfte; als ob endlich die legitimen Väter in der einen Klasse häufiger als in der andern gefunden würden.

Meine Meinung über den Adel der Geschlechter habe ich im Piccinino ausgesprochen und vielleicht habe ich diesen Roman jener drei Kapitel wegen geschrieben, in welchen meine Ansichten über die Standesvorrechte entwickelt sind. Wie man denselben bis jetzt aufgefaßt hat, ist er ein ungeheures Vorurtheil, weil er die Heiligkeit der Familie, deren Princip allen Menschen theuer und unantastbar sein sollte, zum Besten einer reichen und mächtigen Klasse in Beschlag nimmt. An und für sich ist dieses Princip unveräußerlich und darum finde ich etwas Unvollständiges in dem spanischen Spruche: „Cada uno es hijo de sus obras.“ Zwar ist es ein großer und edler Gedanke, daß Jeder der Sohn seiner Thaten ist, und durch seine Tugenden so viel gilt, als der Patricier durch seinen Rang. Aus dieser Idee ist unsre große Revolution hervorgegangen — aber es ist eine reactionäre Idee — und solche fassen immer nur eine Seite der Frage in's Auge — die Seite, die zu lange vernachlässigt und verkannt war. So ist es zwar sehr richtig, daß Jeder der Sohn seiner Thaten ist — aber es ist ebenso wahr, daß Jeder der Sohn seiner Väter, seiner Ahnen, seiner patres und matres ist. Von Geburt an sind wir mit Trieben begabt, die nichts andres sind, als die Ergebnisse des Blutes, das uns vererbt wurde — und diese Triebe würden uns wie ein schreckliches Verhängniß beherrschen, wenn wir nicht ein gewisses Maß des Willens besäßen, das jedem Einzelnen unter uns von der gerechten Gottheit verliehen wird.

Bei dieser Gelegenheit — und das wird abermals eine Abschweifung sein — möchte ich es aussprechen, daß ich nicht an unsre vollständige Willensfreiheit glaube, und daß diejenigen, welche die fürchterliche Lehre der Prädestination angenommen haben — um consequent zu sein und um Gottes Güte nicht zu beleidigen — die gräßliche Idee der Hölle aufgeben müßten, wie ich sie in meiner Seele und in meinem Gewissen aufgegeben habe. Aber wir sind auch nicht vollständig Sklaven der Nothwendigkeit unserer Triebe. Gott hat uns Allen ein mächtiges Mittel gegeben, sie zu bekämpfen, indem er uns die Vernunft gab, die Erkenntniß, die Fähigkeit, unsre Erfahrungen zu nützen — mit einem Worte, die Fähigkeit, uns zu retten; sei es durch wohlverstandene Liebe für uns selbst, sei es durch Liebe zur absoluten Wahrheit.

Man würde umsonst versuchen, dieser Ansicht die Blödsinnigen, Wahnsinnigen und eine gewisse Art von Mördern entgegenzustellen, die von einer wüthenden Monomanie beherrscht werden und somit in die Reihen der Wahnsinnigen und Blödsinnigen gehören. Jedes Gesetz hat seine Ausnahmen, durch die es bestätigt wird. Jede Ordnung, so vollkommen sie auch sei, ist Unfällen ausgesetzt. Aber ich bin überzeugt, daß diese unheilbringenden Unfälle mit dem Fortschritt der Gesellschaft, mit der bessern Erziehung des Menschengeschlechts verschwinden werden — sowie auch das Verhängnis?, das wir von Geburt an in uns tragen, das Ergebniß einer bessern Vereinigung ererbter Triebe sein, unsre Stärke und die natürliche Stütze unsrer errungenen Urtheilskraft ausmachen wird, anstatt unaufhörliche Kämpfe zwischen unserer Neigung und unsern Grundsätzen zu veranlassen.

 

Es ist vielleicht ein kühnes Absprechen über Fragen, die Jahrhunderte lang Philosophie und Theologie beschäftigt haben. wenn ich es wage, ein bestimmtes Quantum der Sklaverei und der Freiheit anzunehmen. Die Religionen haben es für unmöglich gehalten, sich fest zu begründen, ohne auf absolute Weise die Freiheit des Willens anzuerkennen oder zu verwerfen.. Ich glaube, die Kirche der Zukunft wird verstehen, daß sie dem Verhängniß Rechnung tragen muß, der Gewalt der Triebe, dem Zuge der Leidenschaften. Die Kirche der Vergangenheit hatte das schon geahnt, da sie ein Fegefeuer annahm, ein Mittelding zwischen ewiger Verdammniß und ewiger Glückseligkeit. Die Theologie der vervollkommneten Menschheit wird zwei Principien anerkennen: Verhängniß und Freiheit. Aber da wir, wie ich hoffe, den Manichäismus überwunden haben, wird sie ein drittes Princip annehmen, welches die Lösung der Antithese enthalten wird: das Princip der Gnade.

Sie braucht dieses Princip nicht zu erfinden, sondern nur zu erhalten, denn es ist das Beste und Schönste, das sie aus ihrem alten Erbe zu erneuern haben wird. Die Gnade ist die göttliche Thätigkeit, die immer befruchtend, immer bereit ist, dem Menschen zu Hülfe zu kommen, welcher sie anruft. Daran glaube ich — und ohne dies würde ich nicht an Gott glauben können.

Auch die alte Theologie hatte diese Lehre entworfen, zum Gebrauch von Menschen, die naiver und unwissender waren als wir, das heißt also, in Folge der unzulänglichen Erkenntnisse jener Zeit. Sie hatte gesagt: Versuchung des Teufels, Willensfreiheit und Hülfe der Gnade, um Satan zu besiegen. So hatte sie drei Begriffe aufgestellt, die nicht mit einander im Gleichgewicht stehen — zwei gegen einen: vollständige Freiheit der Wahl und Hülfe der Allmacht Gottes, um dem Verhängniß, der Versuchung des Teufels zu widerstehen, der auf diese Weise leicht unterworfen werden konnte. Wenn es so wäre, wie sollten wir die menschliche Thorheit erklären, die fortfuhr, ihren Leidenschaften zu fröhnen und sich dem Teufel zu ergeben; trotz der Gewißheit ewiger Flammenqual und obwohl es ihr so leicht war, mit voller Geistesfreiheit und der Unterstützung Gottes den Weg der ewigen Seligkeit einzuschlagen.

Es scheint, als hätte diese Lehre die Menschen nie recht überzeugt. Denn diese Lehre, hervorgegangen aus einer strengen, enthusiastischen, muthigen Gesinnung; kühn bis zum Hochmuth und durchdrungen von leidenschaftlichem Verlangen des Fortschritts, ohne jedoch dem eigentlichen Wesen des Menschen Rechnung zu tragen; diese Lehre, die ebenso ungestüm in ihren Ergebnissen, als tyrannisch in ihren Urtheilssprüchen ist — da sie den Unsinnigen, der sich freiwillig den Dienst des Bösen erwählt hat, dem ewigen Hasse Gottes preisgiebt — diese Lehre hat nie ein Wesen gerettet. Die Heiligen haben den Himmel nur durch die Liebe gewonnen, und, die Furcht hat den Schwachen niemals gehindert, in die katholische Hölle hinabzustürzen. Indem die katholische Kirche die Seele vom Körper, den Geist von der Materie vollständig trennte, mußte sie das Wesen der Versuchung verkennen und konnte behaupten, daß diese ihren Sitz in der Hölle hätte. Aber wenn die Versuchung in uns selbst liegt, wenn Gott gestattet hat, daß es so sei, indem er selbst das Gesetz vorzeichnete, das den Sohn mit der Mutter verbindet, oder die Tochter mit dem Vater, alle Kinder mit dem einen oder mit der andern und zuweilen mit beiden in derselben Weise, zuweilen auch mit dem Großvater, dem Onkel, dem Urgroßvater — denn alle diese Phänomene der Aehnlichkeit, die bald körperlich, bald moralisch, bald beides zugleich ist, können jederzeit in Familien nachgewiesen werden — so ist es gewiß, daß die Versuchung nicht ein zum Voraus verdammtes Element, und daß sie nicht dem Einflusse eines abstracten Princips zuzuschreiben ist, das außer uns stände, um uns zu prüfen und zu quälen.

Jean Jacques Rousseau glaubte, daß wir Alle von Geburt gut und bildsam wären und dadurch verwarf er das Verhängniß. Aber wie vermochte er nun die allgemeine Schlechtigkeit zu erklären, die sich jedes Menschen von der Wiege an bemächtigt, um ihn zu verderben und um ihm die Liebe zum Bösen einzuflößen? Er glaubte doch an den freien Willen! Mir scheint es, als müßte uns der Glaube an die absolute Willensfreiheit des Menschen und der Anblick der schlechten Anwendung, die er davon macht, unvermeidlich zum Zweifel am, Dasein Gottes führen oder zum Glauben an seine Unthätigkeit und Gleichgültigkeit — und so müßten wir zuletzt, in Verzweiflung, zum Glauben an Vorherbestimmung zurückkehren. Das ist so ungefähr die Geschichte der Theologie in den letzten Jahrhunderten.

Wenn wir aber annehmen, daß die Bildsamkeit oder Wildheit unserer Triebe, wie ich oben sagte, ein Erbtheil ist, das wir nicht abweisen können und das abzuleugnen vergebene Mühe wäre, so ist das Ewig-Böse, das Böse als unabweisliches Princip, zerstört; denn der Fortschritt wird durch die Art des Verhängnisses, die ich anerkenne, nicht ausgeschlossen. Es ist ein wandelbares und immer umgewandeltes, oft vortreffliches und erhabenes Verhängniß — denn zuweilen ist unser Erbtheil eine herrliche Begabung, der Gottes Güte nie entgegentritt. — Das Menschengeschlecht ist nun nicht mehr eine Horde vereinzelter Wesen, die ohne Ziel umherirren, sondern eine Vereinigung von Linien, die sich an einander reihen und die nie zerrissen werden, wenn auch einzelne Namen aussterben — ein geringer Unfall, um den nur der Adel sich kümmert. — Die Einflüsse der geistigen Eroberungen der Zeit machen sich immerfort geltend auf den freien Theil der Seele und die göttliche Thätigkeit, welche die Seele dieses Fortschrittes bildet, ist es auch, die den Menschengeist immer auf's Neue belebt, und ihn so nach und nach frei macht von den Banden der Vergangenheit und der Erbsünde seines Geschlechtes.

So verlassen die physischen Uebel nach und nach unser Blut, wie der Geist des Bösen unsre Seele verläßt. So lange unvollkommene Generationen gegen sich selber kämpfen, sollte die Philosophie nachsichtig und die Religion erbarmungsreich sein. Sie haben nicht das Recht, den Menschen für eine That des Irrsinns zu tödten, ihn zu verdammen wegen eines falschen Gesichtspunktes. Und wenn sie für reinere, stärkere Wesen eine neue Lehre vorzuschreiben haben, werden sie nichts mehr mit dem Richter der Finsterniß, dem Henker der Ewigkeit, dem Peiniger Satan zu thun haben. Die Furcht wird keinen Einfluß mehr auf die Menschen üben, — sie hat ihn schon jetzt nicht mehr — die Gnade wird genügen; denn was man Gnade genannt hat, ist die Thätigkeit Gottes, den Menschen durch den Glauben offenbart. Das menschliche Bewußtsein hat sich empört gegen diese fürchterliche Lehre von der Hölle, gegen die Tyrannei eines Glaubens, der weder Verzeihung noch Hoffnung jenseit des Lebens annahm. Es hat seine Fesseln zersprengt und hat die Gesellschaft mit der Kirche, das Grab seiner Väter mit den Altären der Vergangenheit zerstört, es hat sich aufgeschwungen und hat sich für einen Augenblick verirrt — aber fürchtet euch nicht, es wird auch den rechten Weg wiederfinden.