Geschichte meines Lebens

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Sie hat mir oft von dieser lange erwogenen Heirath und von diesem Großvater erzählt, den ich nie gekannt habe. Sie sagte mir, daß sie während der zehn Jahre, die sie miteinander verlebten, ihn und ihren Sohn als die theuersten Güter ihres Lebens betrachtet hätte; und obwohl sie sich nie des Ausdrucks Liebe, in Bezug aus ihn, oder irgend einen andern Mann, bediente, lächelte sie, wenn sie mich äußern hörte, daß ich es für unmöglich hielte einen Greis zu lieben. „Ein Greis liebt besser als ein junger Mann — sagte sie — und es ist unmöglich eine innige Liebe nicht zu erwiedern. Ich nannte ihn meinen alten Mann und meinen Papa, wie er es wünschte und er nannte mich immer, selbst in Gesellschaft, seine Tochter. Und dann“ — fügte sie hinzu, „war man wohl jemals alt in jener Zeit? Die Revolution hat erst das Alter in die Welt gebracht. Dein Großvater, mein Kind, war schön, elegant, fein, heiter, liebenswürdig, herzlich und von immer gleicher Laune bis zur Stunde seines Todes. In seiner Jugend war er zu liebenswürdig, um ein ruhiges Leben zu führen und ich wäre damals vielleicht nicht so glücklich mit ihm geworden, weil man ihn mir zu viel streitig gemacht haben würde. Ich bin überzeugt, daß ich sein bestes Lebensalter genossen habe und niemals ist eine junge Frau durch einen jungen Mann glücklicher geworden, als ich es war. Wir verließen uns keinen Augenblick, und nie habe ich in seiner Gesellschaft einen Augenblick der Langenweile gekannt. In seinem Geiste war eine Fundgrube von Ideen, Kenntnissen und Talenten, die sich nie für mich erschöpfte. Er hatte die Gabe sich immer in einer Weise zu beschäftigen, die für ihn selbst, wie für Andere angenehm war. Im Lauf des Tages musicirten wir miteinander. Er war ein vortrefflicher Violinspieler und machte auch seine Geigen selbst, denn er war ebensowohl Instrumentenmacher, als Architekt, Uhrmacher, Drechsler, Maler, Schlosser, Tapezierer, Koch, Dichter, Componist und Tischler; er konnte auch wunderschön sticken — ich weiß überhaupt nichts, was er nicht verstanden hätte. Das Unglück war nur, daß er bei der Uebung dieser Talente, bei den mannigfaltigen Versuchen, die er anstellte, sein Vermögen durchbrachte; aber ich sah nur die Lichtseite und so richteten wir uns auf die liebenswürdigste Weise zu Grunde. Wenn wir Abends nicht in Gesellschaft waren, saß Dupin neben mir und zeichnete, während ich Goldfäden auszupfte; oder wir lasen uns eins um's andere etwas vor, oder liebenswürdige Freunde umgaben uns und erweckten seinen feinen, fruchtbaren Geist durch anmuthiges Geplauder. Meine Freundinnen waren viel glänzender verheirathet als ich und doch wurden sie nicht müde zu versichern, daß sie mich um meinen alten Mann beneideten.“

„Man wußte aber auch zu leben und zu sterben in jener Zeit,“ sagte sie ein anderes Mal; „und man hatte keine lästigen Gebrechen. Wer das Podagra hatte, ging trotzdem rüstig einher, ohne Gesichter zu schneiden und verbarg sein Leiden aus gutem Ton. Man war auch nicht durch Geschäfte eingenommen — was die Häuslichkeit verdirbt und den Geist schwerfällig macht. Man wußte sich zu Grunde zu richten, ohne etwas davon merken zu lassen, wie großartige Spieler, die verlieren, ohne Besorgniß oder Wunsch. Halbtodt hätte man sich noch zu einer Jagdpartie tragen lassen, und man fand, daß es besser wäre, auf dem Ball oder im Theater zu sterben, als auf dem Krankenbette zwischen vier Kerzen und von häßlichen schwarzen Männern umgeben. Man war philosophisch; man suchte nicht den Schein der Sittenstrenge, aber man besaß sie oft, ohne damit zu prunken; wenn man tugendhaft war, so war's aus Neigung und nicht um für pedantisch und prüde zu gelten. Man genoß das Leben und wenn der Augenblick gekommen war, es zu verlassen, suchte man nicht, es Andern zu verleiden. Das letzte Lebewohl meines alten Gatten war die Aufforderung, ihn so lange als möglich zu überleben und mir das Dasein angenehm zu machen. Und gewiß wird man am lebhaftesten bedauert, wenn man sich so großmüthig beweist.“

Diese Philosophie des Reichthums, der Unabhängigkeit, der Toleranz und Leutseligkeit war gewiß angenehm und verführerisch; aber leider brauchte man fünf bis sechsmalhunderttausend Livres Renten, um sie durchzuführen, und ich begreife nicht, wie sie den Armen und Unterdrückten genützt haben könnte.

Darum scheiterte sie vor den Sühnopfern der Revolution und die Glücklichen der Vergangenheit erhielten sich nur die Kunst, das Schaffot mit Anmuth zu besteigen. Ich gebe zu, daß dies viel ist; aber diese letzte Tapferkeit wurde ihnen erleichtert durch den tiefen Ekel vor einem Leben, das ihnen keinen Genuß mehr versprach und durch das Entsetzen vor einem gesellschaftlichen Zustande, in welchem sie — dem Princip nach wenigstens — die Rechte Aller an Wohlstand und Freude anerkennen mußten.

Aber ehe ich weiter gehe, will ich von einer Berühmtheit der Dupin'schen Familie erzählen; einer wahren, rechtmäßigen Berühmtheit, auf deren Ehre und intellectuelle Erbschaft jedoch weder mein Großvater noch ich Anspruch zu machen haben. Diese Berühmtheit ist Madame Dupin von Chenonceaux, die nicht zu meinen Blutsverwandten gehört, da sie die zweite Frau des General-Pächters Dupin, die Stiefmutter Dupin's von Francueil war. Aber dies ist kein Grund von ihr nicht zu sprechen; und ich sehe mich um so mehr dazu veranlaßt, da diese bedeutende Frau, — trotz des Rufes, den sie sich durch Geist und Liebenswürdigkeit erwarb, und trotz der Lobsprüche, die ihre Zeitgenossen ihr spenden — in der Republik der Wissenschaften nie den Platz eingenommen hat, den sie verdiente.

Sie war ein Fräulein von Fontaines und galt, wie J.J. Rousseau erzählt, für eine Tochter Samuel Bernard's. Sie brachte ihrem Mann eine bedeutende Mitgift zu — ich weiß zwar nicht, ob das Gut Chenonceaux ihm oder ihr gehörte — aber so viel ist gewiß, daß Beider Vermögen zusammen ein ungeheures war. In Paris hatten sie das Hotel Lambert zum Absteigequartier und konnten sich also rühmen, eins um's andere die beiden schönsten Aufenthaltsorte der Welt zu bewohnen.

Es ist bekannt, daß Jean Jacques Rousseau der Sekretair des General-Pächters Dupin wurde, und mit ihm Chenonceaux bewohnte; daß er sich in Madame Dupin verliebte, die schön war, wie ein Engel, und daß er unvorsichtiger Weise eine Erklärung wagte, die keinen Erfolg hatte. Dessenungeachtet blieb er in freundschaftlichen Beziehungen zu ihr und ihrem Stiefsohne, Francueil.

Madame Dupin beschäftigte sich mit Literatur und Philosophie, aber sie prunkte nicht damit und nannte sich nicht bei den Werken, die ihr Mann herausgab, obwohl ich gewiß bin, daß der größte Theil und die besten Gedanken derselben ihr angehörten. Zu diesen Werken gehört eine umfassende Kritik des „Esprit des lois“, ein gutes, wenig gekanntes und wenig gewürdigtes Buch, das zwar der Form nach dem Werke Montesquieu's untergeordnet ist, sich aber, dem Inhalte nach, in mancher Hinsicht darüber erhebt. Weil es aber freisinnigere Ideen in die Welt einführte, ging es unbemerkt neben dem glänzenden Talente Montesquieu's zu Grunde, der allen Richtungen und allen politischen Bestrebungen des Augenblicks genügte.[Das Werk wurde wenig verbreitet. Frau von Pompadour, die Montesquieu beschützte, veranlaßte Dupin, sein Werk, das schon publicirt war, zurückzunehmen. Aber ich habe das Glück ein Exemplar davon zu besitzen, und ohne Vorurtheil oder Familien-Eitelkeit darf ich sagen, daß es ein sehr gutes Buch ist, dessen gründliche Kritik alle Widersprüche des „Esprit des lois“ enthüllt, und das dann und wann die erhabensten Bemerkungen über die Gesetzgebungen und das sittliche Leben der Völker enthält.]

Während Jean Jacques Rousseau bei ihnen lebte, beschäftigte sich Herr und Madame Dupin mit einem Werke über die Verdienste der Frauen. Rousseau half ihnen dabei, indem er Notizen sammelte und eine große Menge Materialien aufhäufte, die noch als Manuscript im Schlosse von Chenonceaux existiren. Dupin's Tod unterbrach die Arbeit und aus Bescheidenheit unterließ seine Frau die Veröffentlichung. Eine kurze, von ihr selbst geschriebene Zusammenstellung ihrer Ansichten, der sie den bescheidenen Titel „Versuche“ gegeben hat, verdiente indessen der Verborgenheit entzogen zu werden — wäre es auch nur, um als Beitrag zur Geschichte der Philosophie des vergangenen Jahrhunderts zu dienen. Diese liebenswürdige Frau gehörte in die Reihen der guten und schönen Seelen ihrer Zeit und es ist vielleicht zu beklagen, daß sie ihr Leben nicht dazu verwendet hat, das Licht, das sie in ihrem Herzen trug, zu nähren und zu verbreiten.

Was ihr inmitten der Philosophen jener Zeit ein eigenthümliches Gepräge giebt, ist, daß sie den meisten unter ihnen vorangeeilt ist. Sie ist nicht Rousseau's Jüngerin; sie hat nicht sein Talent; aber er hat nicht die Kraft und den Schwung ihrer Seele. Sie geht von einer kühnern, tiefern Lehre aus, die für das Menschengeschlecht schon alt, für das achtzehnte Jahrhundert aber scheinbar neu war. Sie ist die Freundin, die Schülerin oder die Lehrerin eines Greises, der als Schwärmer galt, der ein unvollständiges Genie war, weil ihm das Talent der Gestaltung fehlte und den ich doch vom Geiste Gottes mehr erfüllt glaube, als Voltaire, Helvetius, Diderot und Rousseau sogar —; ich meine den Abbé von St. Pierre, den man in der Gesellschaft den „berühmten“ Abbé von St. Pierre zu nennen pflegte, eine ironische Bezeichnung, die ihm heut zu Tage geschenkt wird, weil er fast gänzlich unbekannt oder vergessen ist.

Es giebt einen Genius, der immer unglücklich ist, weil ihm die Fähigkeit des Ausdrucks mangelt; wenn er nicht einen Plato findet, der ihn der Welt verständlich macht, leuchtet er nur wie ein schwacher Blitzstrahl durch die Nacht der Zeiten und er trägt das Geheimniß seines Geistes mit in's Grab — „das Unerkannte seiner Betrachtungen“ — wie Geoffroy Saint-Hilaire, ein Mitglied dieses großen Geschlechts berühmter Stummer oder Stammler, zu sagen pflegte.

 

Diese Unfähigkeit, sich mitzutheilen, erscheint wie ein Verhängniß, während Männern von geringer Tragweite der Gedanken und kaltem Gefühle oft die klarste, glücklichste Gestaltungsgabe verliehen ist. Ich kann es wohl begreifen, daß Madame Dupin die Utopien des Abbé von St. Pierre den Lehrsätzen Montesquieu's vorgezogen hat, die von englischem Geist erfüllt sind. Der große Rousseau hatte nicht so viel moralischen Muth oder so viel Geistesfreiheit, als diese großherzige Frau. Als sie ihm auftrug den „Entwurf des ewigen Friedens“ und die „Polysynodie“ des Abbé von St. Pierre zu resümiren, that er es, mit aller Schönheit der Form, die ihm zu Gebote stand; aber er erklärte, daß er es für nöthig gehalten hätte, die kühnsten Vorschläge des Verfassers zu übergehen, und verweist Alle, die den Muth haben, sich damit zu beschäftigen, auf den Urtext.

Ich muß gestehen, daß mir der Spott, womit J. J. Rousseau die Utopien des Abbé von St. Pierre behandelt, und die Rücksichten, die er auf die Machthaber der Zeit zu nehmen vorgiebt, nicht gefallen. Ueberdies ist seine Verstellung entweder zu fein oder zu ungeschickt; seine Ironie ist entweder nicht deutlich genug und verliert dadurch an Kraft, oder sie ist zu wenig verhüllt und büßt dadurch an Wirksamkeit und Vorsicht ein. Es ist keine Einheit, keine Sicherheit in den Urtheilen Rousseau's über den Philosophen von Chenonceaux. Je nachdem er durch Schicksale, Lebensüberdruß und Verfolgungen mehr oder weniger niedergedrückt ist, stellt er ihn als großen Mann oder als armseligen Menschen dar. Aus gewissen Stellen der Bekenntnisse scheint sogar hervorzugehen, daß er sich schämt, den Abbé von St. Pierre jemals bewundert zu haben, Aber der Mangel an, Talent kann noch nicht zum armseligen Menschen machen. Das Genie strömt aus der Seele, es liegt nicht in der Form. Uebrigens trifft der Hauptvorwurf, den Rousseau, wie alle Kritiker der Zeit, dem Abbé von St. Pierre gemacht hat, das Unpraktische seiner Theorien und den Glauben an die Möglichkeit seiner gesellschaftlichen Reform. Und doch scheint es, als hätte dieser Träumer klarer gesehen, als alle seine Zeitgenossen, und als hätte er den revolutionären, constitutionellen, St.-Simonistischen Ideen — und selbst denen, die man heut zu Tage rein menschliche nennt — weit näher gestanden als sein Zeitgenosse Montesquieu und dessen Nachfolger: Rousseau, Diderot, Voltaire, Helvetius u.s.w.

Von allen diesen ist in dem umfangreichen Gehirne des Abbé von St. Pierre etwas zu finden, und in dem Chaos seiner Gedanken sind alle die Ideen aufgehäuft und durcheinander geworfen, wovon eine später genügte das Leben eines bedeutenden Mannes auszufüllen. Jedenfalls geht St. Simon von ihm aus; Madame Dupin, seine Schülerin, sowie Herr Dupin in seiner Kritik des Esprit des loi sind entschieden Emancipatoren des Weibes. Die Regierungs-Versuche, die seit hundert Jahren gemacht sind, die bedeutendsten Thaten der europäischen Diplomatie und die Trugbilder fürstlicher Unterhandlungen, die man Bündnisse zu nennen pflegt, haben den Verfassungstheorien des Abbé von St. Pierre einen — freilich trügerischen — Anschein der Weisheit und Sittlichkeit entlehnt, und die Lehre vom ewigen Frieden ist in alle neuern philosophischen Schulen übergegangen.

Es würde also heut zu Tage sehr lächerlich sein, den Abbé von St. Pierre lächerlich zu finden und ohne Ehrfurcht von dem zu sprechen, der selbst von seinen Feinden der „Biedermann“ genannt wurde. Und hätte er der Nachwelt nur diesen Namen zu hinterlassen, so besäße er mehr darin, als in dem Ruhme, einer der großen Männer seiner Zeit zu sein.

Madame Dupin von Chenonceaux liebte diesen Biedermann auf das Herzlichste; sie theilte seine Ideen, verschönte sein Alter durch zarte Aufmerksamkeit und empfing in Chenonceaux seinen letzten Seufzer. In dem Zimmer, worin er Gott seine edle Seele zurückgab, habe ich ein Bild von ihm gesehen, das kurz vor seinem Tode gemalt ist. Sein schönes Gesicht, das zugleich streng und sanft ist, hat eine gewisse Aehnlichkeit der Form mit den Zügen Franz Arago's; aber der Ausdruck ist anders — auch liegen die Schatten des Todes schon über diesem großen, schwarzen Auge, das durch Leiden eingesunken ist, und über diesen bleichen Wangen, die das Alter gefurcht hat. [Ich habe mir hier einen Irrthum zu schulden kommen lassen, auf den mich mein Vetter Herr v. Villeneuve, Erbe von Chenonceaux, aufmerksam macht. Der Abbé von St. Pierre ist in Paris gestorben, kurze Zeit nachdem er eine schwere Krankheit in Chenonceaux glücklich überstanden hatte. (Anmerkung von 1850.)]

Madame Dupin hat in Chenonceaux einige Schriften zurückgelassen, die sehr kurz, aber voll klarer Gedanken und edler Gefühle sind. Es sind größtentheils abgerissene Betrachtungen, die jedoch in sehr logischer Verbindung mit einander stehen. Eine kleine, nur wenige Seiten lange Abhandlung „über das Glück“ halten wir für ein Meisterstück; und um den Grundgedanken verständlich zu machen, wird es genügen, wenn wir die ersten Worte wiederholen: „Alle Menschen haben gleiche Rechte an das Glück“ — oder wörtlich: „Alle Menschen haben gleiche Rechte an die Freude.“ Das Wort Freude darf hier nicht mißverstanden, nicht als der Ausdruck eines Begriffs aus der Zeit der Regentschaft gehalten werden. Sein eigentlicher Sinn ist: materielles Glück, Genuß des Lebens, Wohlbefinden, — Vertheilung der Güter, wie man jetzt sagen würde. Der Titel des Ganzen, der keusche, ernste Sinn, der sich darin ausspricht, lassen keinen Zweifel über den Inhalt dieser Gleichheitsformel, die ganz im Sinne unserer Zeit gebraucht ist, und dem Satze entspricht: „Einem Jeden nach seinen Bedürfnissen.“ Diese Idee scheint mir der Neuzeit angehörig zu sein — so neu, daß sie für das vorsichtige Gehirn unserer meisten Denker und Politiker noch immer zu kühn ist, und daß der berühmte Historiker, Louis Blanc, eines gewissen Muthes bedurft hat, um diese Meinung auszusprechen und zu entwickeln.[Ich schreibe dies im Juli 1847. Wer weiß, ob nicht vor dem Erscheinen dieser Memoiren eine allgemeine gesellschaftliche Umwälzung die Zahl der muthigen Denker um ein Bedeutendes vermehrt haben wird.]

Madame Dupin, die schöne, liebenswürdige, einfache, starke und ruhige Frau starb in Chenonceaux in ziemlich vorgerücktem Alter. Die Form ihrer Schriften ist ebenso klar wie ihre Seele, ebenso zart, so heiter, so glücklich, wie die Züge ihres Gesichts. Diese Form ist ihr ganz eigen und ihre elegante Correctheit thut ihrer Eigenthümlichkeit keinen Abbruch. Sie schreibt in der Sprache ihrer Zeit, aber sie hat die Wendungen Montaigne's, die Lebendigkeit Bayle's, und man sieht wohl, daß sich die schöne Dame nicht gescheut hat, die alten Meister aus dem Staube vorzusuchen. Sie ahmt sie nicht nach, aber sie hat sie sich zu eigen gemacht — wie ein guter Magen, der sich mit guten Nahrungsmitteln nährt.

Zu ihrem Lobe muß noch gesagt werden, daß unter allen Freunden, die J. J. Rousseau in seinem leidensvollen Alter aufgab oder beargwöhnte, sie vielleicht die einzige Persönlichkeit ist, welcher er Gerechtigkeit widerfahren läßt und deren Wohlthaten er ohne Bitterkeit gesteht. Sie war selbst gütig gegen Therese Levasseur und ihre elende Familie; sie war gütig gegen Alle und wahrhaft geachtet, denn die revolutionären Stürme, die in das königliche Schloß Chenonceaux eindrangen, verschonten das weiße Haar der alten Dame. Alle Gewaltmaßregeln beschränkten sich auf die Wegnahme einiger historischen Gemälde, die Madame Dupin den Anforderungen des Augenblicks gutwillig opferte. Jetzt ruht sie unter einem einfachen, geschmackvollen Grabstein im Park von Chenonceaux, unter dunklen, schattigen Bäumen. Möchten die Reisenden, wenn sie einen Zweig dieser Cypressen pflücken, um der tugendhaften Schönheit zu huldigen, die Jean Jacques geliebt hat, nicht vergessen, daß sie noch andere Ansprüche an unsre Verehrung hat; sie hat das Alter des biedersten Mannes jener Zeit erleichtert; sie war seine Schülerin; sie hat ihrem Gatten die Theorie der Achtung ihres Geschlechtes eingeflößt, was von dem sanften und bescheidenen Uebergewicht ihres Geistes Zeugniß giebt —. Sie hat noch mehr gethan: sie, die Reiche, die Schöne, die Mächtige, hat begriffen, daß alle Menschen gleiche Ansprüche haben an das Glück, darum laßt uns die Frau verehren, die schön war, wie die Geliebte eines Königs; tugendhaft wie eine Matrone; aufgeklärt wie ein wahrer Philosoph und gütig wie ein Engel.

Eine edle Freundschaft, die verleumdet wurde, wie Alles in der Welt, was natürlich und gut ist, verband Francueil mit seiner Stiefmutter, und dies mußte ihm jedenfalls einen Anspruch mehr an die Liebe und Zuneigung meiner Großmutter geben. Der Verkehr mit einer Stiefmutter, wie die erste Mad. Dupin, und der mit einer Gattin, wie die zweite Mad. Dupin war, müssen über die Jugend und das Alter eines Mannes den Wiederschein eines reinen Lichtes gießen. Was die Männer Gutes oder Böses in der innersten Tiefe ihrer Seele haben, verdanken sie mehr den Frauen als den Männern und in dieser Beziehung könnte man zu ihnen sprechen: „sage mir, wen Du liebst, so werde ich Dir sagen, wer Du bist.“ In der Gesellschaft kann ein Mann die Verachtung der Frauen leichter tragen, als die der Männer. — Aber vor Gott, vor den Urtheilen der Gerechtigkeit, die Alles siebt und Alles weiß, würde ihnen die Verachtung der Frauen weit verderblicher sein. Hier wäre vielleicht der Vorwand zu einer Abschweifung gegeben; ich könnte einige vortreffliche Aussprüche meines Ur-Großvaters Dupin einschalten „über die Gleichstellung des Mannes und des Weibes in den Absichten Gottes und der Ordnung der Natur“ — aber ich werde seiner Zeit ausführlicher in der Geschichte meines Lebens darauf zurückkommen.

Drittes Kapitel.
Eine Anekdote »on J. J. Rousseau. — Mein Vater Moritz Dupin. — Mein Lehrer Deschartres. — Der Kopf des Pfarrers. — Der Liberalimus vor der Revolution. — Die Haussuchung. — Aufopferung Deschartres' und meines Vaters. — Nerina. —

Da ich von Jean Jacques Rousseau und meinem Großvater erzählt habe, will ich hier eine Anekdote einschalten, die ich in den Papieren meiner Großmutter Maria Aurora Dupin gefunden habe.

„Ich habe ihn nur ein einziges Mal gesehen, (sie spricht von Jean Jacques) und das werde ich nie vergessen. Er lebte damals schon in jener scheuen Zurückgezogenheit, mit jenem Menschenhaß belastet, der in so grausamer Weise von seinen trägen oder leichtsinnigen Freunden verspottet wurde.

Seit meiner Verheirathung hatte ich Francueil gebeten ihn mir vorzustellen — aber das war nicht leicht. Er ging mehrere Mal zu ihm, ohne vorgelassen zu werden. Eines Tages traf er ihn, wie er die Sperlinge vor seinem Fenster mit Brod fütterte. Er war so traurig, daß er, als sie fortflogen, zu Francueil sagte: „Wissen Sie, was sie jetzt thun? sie setzen sich oben auf's Dach, um Uebles von mir auszuschreien und um zu verkündigen, daß mein Brod nichts taugt.“ —

Ehe ich Rousseau sah, hatte ich in einem Zuge seine neue Heloise gelesen und bei den letzten Seiten fühlte ich mich so zerrüttet, daß ich lautschluchzend weinte. Francueil neckte mich sanft deswegen, ich wollte auch in seine Scherze einstimmen — aber den ganzen Tag, vom Abend bis zum Morgen konnte ich nur weinen. Sobald ich an Juliens Tod dachte, flossen meine Thränen von Neuem; ich wurde ganz krank und häßlich davon.

Während dieser Zeit ging Francueil, der immer fein und liebenswürdig war, zu Rousseau, um ihn zu holen; wie er es anfing, weiß ich nicht, aber er zog ihn fort und brachte ihn mit, ohne mich von seinem Vorhaben zu benachrichtigen.

Jean Jacques hatte sich nur ungern dazu verstanden; er hatte sich weder nach meiner Persönlichkeit noch nach meinem Alter erkundigt und mochte glauben, daß es sich nur darum handle, die Neugier einer Frau zu befriedigen, wozu er sich gewiß nicht willig hergab.

Da ich von nichts benachrichtigt war, so beeilte ich mich nicht sehr mit meiner Toilette. Meine Freundin Mme. d'Esparbés de Lussan war gerade bei mir, eine der liebenswürdigsten und hübschesten Frauen der Welt, obwohl sie etwas schielte und etwas schief war. Sie verhöhnte mich, weil ich mir seit einiger Zeit in den Kopf gesetzt hatte, die Knochenlehre zu studiren; und als sie mir einige Bänder aus einem Schubfache reichen wollte, stieß sie lachend ein lautes Geschrei aus, denn das großes häßliche Skelett einer Hand hing daran.

Francueil war schon zwei oder drei Mal gekommen, um zu fragen, ob ich fertig wäre. Er machte ein Gesicht, wie der Marquis behauptete — ich pflegte Frau von Lussan so zu nennen, und sie nannte mich ihren lieben Baron —. Aber ich bemerkte kein Gesicht an meinem Manne, und hörte nicht auf mich zu putzen. Ich ahnte ja nicht, daß der göttliche Bär in meinem Salon war. Er war mit einer halb blöden, halb grimmigen Miene hineingetreten, hatte sich in einen Winkel gesetzt und kein Verlangen gezeigt, als das, recht bald zu essen, um wieder fortgehen zu können.

 

Endlich war mein Anzug fertig, und mit rothen geschwollenen Augen ging ich in den Salon hinunter. Ich bemerke einen kleinen, dicken Mann, der ziemlich schlecht gekleidet und sehr verdrießlich ist, sich schwerfällig erhebt und undeutliche Worte murmelt. Ich sehe ihn an und errathe die Wahrheit. Ich schreie, ich will sprechen — aber ich breche in Thränen aus; Jean Jacques ist durch diesen Empfang überrascht und will mir danken — aber er bricht ebenfalls in Thränen aus und Francueil, der uns durch einen Scherz erheitern will, fängt schließlich auch an zu weinen. Wir waren nicht im Stande uns etwas zu sagen; Rousseau drückte mir die Hand, aber er richtete nicht ein einziges Wort an mich.

Wir gingen zu Tisch, um der Rührung ein Ende zu machen, aber ich konnte nichts essen; Francueil hatte keinen Witz und Rousseau stahl sich fort, sobald wir vom Tische aufgestanden waren, ohne ein Wort zu sprechen. Vielleicht war er unzufrieden, sich auf's Neue bewiesen zu sehen, wie sehr er irrte, wenn er sich für den verfolgtesten, gehaßtesten und verleumdetsten aller Menschen hielt.“

Ich hoffe, daß meine Leser mit dieser kleinen Geschichte und mit der Art, wie sie erzählt ist, nicht unzufrieden sein werden. Für eine Frau, die in St. Cyr erzogen war, wo man nicht orthographisch schreiben lernte, ist der Styl nicht übel. Es ist freilich wahr, daß man in St. Cyr statt der Grammatik den Racine auswendig lernte und seine Meisterwerke aufführte. Es ist schade, daß meine Großmutter nicht mehr von ihren Erinnerungen niedergeschrieben hat; was ich besitze, beschränkt sich auf wenige Blätter. Die meiste Zeit ihres Lebens hat sie darauf verwendet, Briefe zu schreiben — die, wie ich wohl sagen darf, denen der Frau von Sévigné gleich stehen — oder zur Nahrung ihres Geistes eine Menge von Auszügen aus ihren Lieblingsbüchern abzuschreiben.

Doch ich kehre zu ihrer Geschichte zurück.

Neun Monate nach ihrer Verheirathung mit Dupin gebar sie einen Sohn, der ihr einziges Kind blieb und in der Taufe, zur Erinnerung an den Marschall von Sachsen, den Namen Moritz erhielt. Sie wollte ihr Kind selbst nähren, was freilich etwas excentrisch war; aber sie gehörte einmal zu denen, die den „Emile“ mit Andacht gelesen hatten und ein gutes Beispiel zu geben wünschten. Ueberdies war ihr mütterliches Gefühl sehr stark entwickelt; es war bei ihr fast eine Leidenschaft, die einzige, die sie jemals kannte.

Aber die Natur widersetzte sich ihrem Begehren. Sie hatte keine Nahrung für ihr Kind. Nachdem sie einige Tage die furchtbarsten Schmerzen ertragen hatte, sah sie ein, daß sie ihm nur ihr Blut geben konnte und verzichtete auf ihren Wunsch, aber es war ihr ein großer Schmerz und sie betrachtete dies wie ein düstres Prognostikon.

Als General-Einnehmer des Herzogthums d'Albret verlebte Dupin einen Theil des Jahres, mit seiner Frau und seinem Sohn, in Chateauroux. Sie bewohnten das alte Schloß, das jetzt als Präfecturlocal benutzt wird, dessen malerische Gebäude den Lauf der Indre beherrschen und die ausgedehnten Wiesen, die sie bewässert. Dupin, der seit dem Tode seines Vaters den Namen Francueil nicht mehr führte, gründete Tuchfabriken in Chateauroux und brachte durch seine Freigebigkeit viel Geld in die Gegend. Er war verschwenderisch, sinnlich und machte einen fürstlichen Aufwand. In seinem Gefolge waren eine Menge Musikanten, Köche, Schmarotzer, Lakaien, Pferde und Hunde. Er spendete Allen mit vollen Händen, für das Vergnügen wie aus Wohlthätigkeit; er wollte glücklich sein, aber auch Alles, was ihn umgab, glücklich machen. Das war eine andere Lebensweise, als die der Finanzmänner und Industriellen unserer Zeit; diese zersplittern das Vermögen nicht in Vergnügungen, oder aus Liebe zur Kunst, oder in den unvorsichtigen Freigebigkeiten einer veralteten aristokratischen Empfindungsweise. Sie folgen den vorsichtigen Grundsätzen ihrer Zeit, wie mein Großvater die leichtfertige Routine seines Zeitalters befolgte. Man möge indessen unsere Zeit nicht mehr als die frühere loben; die Menschen wissen noch immer nicht, was sie thun und was sie thun sollten.

Mein Großvater starb zehn Jahre nach seiner Heirath und ließ eine große Unordnung in seinen Privatangelegenheiten, wie in seinen Geschäften mit dem Staate zurück. Meine Großmutter bewies ihren Verstand, indem sie sich an kluge Rathgeber wendete und Alles mit großer Thätigkeit betrieb. Sie liquidirte gleich, und nachdem sie Alles bezahlt hatte, sowohl den Privatgläubigern wie dem Staate, sah sie sich zu Grunde gerichtet, das heißt im Besitze von 75,000 Livres Renten. [Hier ist eine Notiz, die mir mein Vetter René von Villeneuve gegeben hat. „Das Hôtel Lambert war theils durch unsere Familie, theils durch die liebenswürdige und schöne Prinzessin von Rohan-Chadot, die intime Freundin der Frau von Dupin Chenonceaux, bewohnt. Es war ein wahrer Palast. Herr von Chenonceaux, der Sohn des Herrn Dupin, der undankbare Zögling J. J. Rousseau's, der seit Kurzem mit Fräulein von Rochechouart verheirathet war, verspielte einst in einer Nacht 700,000 Francs. Am folgenden Tage mußte diese Ehrenschuld bezahlt werden. Das Hôtel Lambert wurde verpfändet, andere Güter wurden verkauft. Von allen Kostbarkeiten, von allen berühmten Gemälden ist mir nur ein einziges, sehr schönes Bild von Lessueur geblieben: es stellt drei Musen vor, wovon eine die Baßgeige spielt. Er hat es zwei Mal gemalt, das andere Bild ist im Museum. Herr von Chenoneceaux, unser Großonkel, und unser Großvater Francueil haben zusammen sieben bis acht Millionen durchgebracht. Mein Vater, der mit der Schwester Deines Vaters verheirathet war, war zugleich der Neffe der Frau Dupin von Chenonceaux und ihr einziger Erbe. Daher kommt es, daß ich seit 49 Jahren im Besitze von,Chenonceaux bin.“ Ich werde später erzählen, mit welcher frommen Sorgfalt und mit welchem Verständniß der Kunst Herr und Frau von Villeneuve das Schloß erhalten und wieder eingerichtet haben, das zu den Meisterwerken der Renaissance gehört.]

Die Revolution sollte ihre Mittel bald noch mehr beschränken, und in diesen zweiten Schicksalsschlag wußte sie sich nicht sogleich zu finden. Aber bei dem ersten nahm sie sich muthig zusammen, und obwohl ich nicht begreife, wie man mit 75,000 Livres Renten sich nicht für ungeheuer reich halten kann, muß ich ihr nachsagen, daß sie diese „Armuth“ mit großer Kraft und Ergebung hinnahm. Sie folgte hierbei einem Princip der Ehre und Würde, das tief in ihrer Natur lag, während sie in den Confiscationen der Revolution nie etwas Anderes sah, als Raub und Diebstahl.

Nachdem sie Chateauroux verlassen hatte, bewohnte sie eine kleine Wohnung in der Rue du Roi de Sicile, in welcher aber noch ziemlich viel Raum sein mußte, wenn ich nach der Menge und dem Umfange der Meubles urtheile, die jetzt mein Haus enthält. Die Erziehung ihres Sohnes vertraute sie einem jungen Manne, den ich alt gekannt habe, und der auch mein Lehrer gewesen ist. Diese Persönlichkeit, die zugleich ernst und komisch ist, nimmt einen zu großen Platz in der Geschichte unserer Familie und in unsern Erinnerungen ein, um ihrer nicht besonders zu gedenken.