Geschichte meines Lebens

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Er hieß Francis Deschartres, und da er als Lehrer im Colleg des Cardinal Lemoine das Bäffchen getragen hatte, erschien er bei meiner Großmutter mit der Kleidung und dem Titel eines Abbé. Aber in der Revolution, die sich mit allen Titeln zu schaffen machte, verwandelte sich der Abbé Deschartres vorsichtigerweise in den Bürger Deschartres. Unter dem Kaiserreich wurde er Herr Deschartres, Maire des Dorfes Nohant; unter der Restauration hätte er gern seinen alten Titel wieder hervorgesucht, denn in seiner Vorliebe für die Formen der Vergangenheit war er sich gleichgeblieben. Aber er war niemals ordinirt und konnte sich überdies nicht mehr von einem Beinamen befreien, den ich ihm wegen seiner Rechthaberei und seiner wichtigen Miene gegeben hatte; er wurde nie mehr anders genannt, als der große Mann.

Er war ein hübscher Bursche gewesen, und war es noch, als ihn meine Großmutter zu sich berief: er war wohlgekleidet, wohlrasirt, hatte ein lebhaftes Auge, pralle Waden und überhaupt einen vortrefflichen Hauslehrer-Anstand. Aber ich bin überzeugt, daß ihn auch in seiner besten Zeit Niemand ansehen konnte ohne zu lachen, weil das Wort Pedant in jeder Linie seines Gesichts und in jeder Bewegung seines Körpers auf das Deutlichste ausgedrückt war.

Zu seiner Vervollständigung hätte gehört, daß er unwissend, unmäßig und feig gewesen wäre; aber er war im Gegentheil sehr gelehrt, sehr mäßig und tapfer fast bis zur Tollkühnheit. Er hatte alle großen Eigenschaften der Seele, verbunden mit einer unausstehlichen Gemüthsart und einer Selbstzufriedenheit, die bis zum Wahnsinn ging. Er hatte die entschiedensten Meinungen, die eckigsten Manieren, die arroganteste Ausdrucksweise. Aber wie war er aufopferungsfähig und diensteifrig, wie groß und edel war seine Seele! Guter großer Mann, ich habe Dir alle Deine Quälereien verziehen, verzeihe auch mir in jenem Leben alle tollen Streiche, die ich Dir gespielt habe, alle Possen, mit denen ich mich für Deine niederdrückende Tyrannei zu rächen suchte! ich habe wenig von Dir gelernt, aber ich verdanke Dir etwas, was mir schon oft von Nutzen gewesen ist — nämlich die Fähigkeit, trotz der Regungen meines Unabhängigkeits-Gefühles, die unerträglichsten Charaktere und die impertinentesten Meinungen lange ertragen zu können.

Als ihm meine Großmutter die Erziehung ihres Sohnes vertraute, ahnte sie gewiß nicht, daß sie in dem Tyrann den Retter und besten Freund ihres Lebens gefunden hatte.

In seinen Freistunden pflegte Deschartres Vorlesungen über Physik, Chemie, Medicin und Chirurgie zu hören. Er war ein eifriger Schüler Desault's und erlangte unter der Leitung dieses bedeutenden Mannes eine große Geschicklichkeit in chirurgischen Operationen. Später, als er Pächter meiner Großmutter und Maire des Dorfes war, wurden seine Kenntnisse der ganzen Umgegend sehr nützlich, um so mehr, da er sie nur aus Barmherzigkeit, ohne irgend welchen Lohn zu begehren, in Anwendung brachte. Er war so gutherzig, daß ihn weder Finsterniß noch Unwetter, weder Hitze noch Kälte, noch ungelegne Zeit verhindern konnten die verlangte Hülfe zu gewähren, wenn er auch noch so weit und durch noch so schlechte Wege zu wandern hatte. Seine Aufopferung und seine Uneigennützigkeit waren in der That bewunderungswürdig; aber er mußte nun einmal in allen Augen ebenso lächerlich als groß sein, und so trieb er es so weit, daß er seine Patienten schlug, wenn sie ihn nach überstandener Krankheit bezahlen wollten. In Betreff der Geschenke nahm er ebensowenig Vernunft an, und ich habe mehr als zehn Mal gesehen, daß er einen armen Teufel die Treppe hinunter warf, indem er ihn mit den Enten, Putern oder Hasen, die er ihm gebracht hatte, tüchtig durchprügelte. Die armen, mißhandelten Leute gingen dann mit schwerem Herzen fort und klagten: „daß der gute, liebe Herr so bösartig wäre“ — ein Anderer betheuerte im höchsten Zorn: „das ist ein Kerl, den ich todtschlüge, wenn er mir nicht das Leben gerettet hätte.“ Und Deschartres stand oben an der Treppe und schrie mit Stentorstimme: „was, Du Canaille, Du Dummkopf, Du Tölpel, Du Taugenichts! ich habe Dir Gutes gethan und nun willst Du mir nicht dankbar bleiben? Du willst mich ablohnen? Wenn Du nicht machst, daß Du fortkommst, so schlage ich Dich, daß Du vierzehn Tage im Bette liegen sollst — dann wirst Du mich wohl wieder rufen lassen.“

Darum war der arme große Mann trotz seiner Wohlthaten ebenso gehaßt wie geachtet, und seine Heftigkeit zog ihm manches böse Zusammentreffen zu, von dem er nicht gern erzählte. Die Bauern in Berry sind geduldig bis zu einen, gewissen Grade, und man thut sehr wohl, diese Grenze nicht zu überschreiten.

Aber ich greife immer wieder dem Laufe der Begebenheiten in meiner Erzählung vor, und bitte deswegen um Verzeihung. Wenn ich jetzt in Bezug auf die anatomischen Studien des Abbé Deschartres einen Vorfall berichte, der gerade nicht zu den heitern gehört, lasse ich mir wieder einen Anachronismus von einigen Jahren zu schulden kommen; aber meine Erinnerungen drängen sich oft in etwas verworrener Weise zu und verlassen mich dann wieder, so daß ich fürchten müßte, ganz und gar zu vergessen, was ich auf den folgenden Tag verschöbe.

Obwohl der Abbé Deschartres unter der Schreckensherrschaft meinen Vater und die Interessen meiner Großmutter aus das Sorgfältigste überwachte, wurde er durch seine Vorliebe immer noch von Zeit zu Zeit in Spitäler und Sectionssäle geführt. Es gab damals zwar genug blutige Schauspiele im wirklichen Leben, aber die Liebe zur Wissenschaft hinderte den Abbé philosophische Betrachtungen über die Leichen anzustellen, die von der Guillotine zur Anatomie geschickt wurden. Eines Tages jedoch hatte er eine kleine Gemüthsbewegung, die ihn sehr in seinen Beobachtungen störte. Einer der Eleven, der die Sachen leicht nahm, hatte mit den Worten: „sie sind frisch abgeschnitten“, mehrere Köpfe auf den Secirtisch gelegt. Ein gräßlicher Kessel war bereit, sie aufzunehmen, um sie durch Kochen zum Skelettiren vorzubereiten. Deschartres nahm die Köpfe, einen nach dem andern, und that sie hinein. „Hier ist der Kopf eines Geistlichen“, sagte der junge Mann, indem er ihm den letztern reichte; „er trägt die Tonsur“. Deschartres sieht ihn an und erkennt das Gesicht eines Freundes, den er seit vierzehn Tagen nicht gesehen hatte und von dem er nicht wußte, daß er gefangen war. Er hat mir diesen schrecklichen Vorfall selbst erzählt. „Ich sagte kein Wort, indem ich diesen armen Kopf mit den weißen Haaren betrachtete; das Antlitz war noch ruhig und schön und schien mir zuzulächeln. Ich wartete, bis der Eleve sich abwendete, um einen Kuß auf diese Stirn zu drücken, dann legte ich das Haupt in den Kessel zu den andern. Ich habe es dann für mich skelettirt und habe es lange besessen; aber es kam eine Zeit, wo diese Reliquie zu gefährlich wurde und da habe ich sie in einer Ecke des Gartens begraben. Dieser Zufall erschütterte mich übrigens so sehr, daß ich lange Zeit unfähig war, mich mit der Wissenschaft zu beschäftigen.“

Doch laßt uns schnell zu lustigern Geschichten übergehen.

Mein Vater lernte sehr schlecht; aber Deschartres wagte nicht, ihn zu züchtigen, denn obgleich er ein eifriger Anhänger der alten Methode, der Ruthe und des Stockes war, so machte ihm doch die übergroße Liebe meiner Großmutter für ihren Sohn alle durchgreifenden Mittel unmöglich. Er versuchte nun durch Eifer und Beharrlichkeit das Prügelsystem zu ersetzen, das seiner Meinung nach der mächtigste Hebel des Verstandes gewesen wäre. Er theilte mit seinem Zögling allen Unterricht, den er nicht selbst geben konnte, wie deutsche Sprache, Musik, und machte sich zu seinem Repetitor in Abwesenheit der Lehrer. Er ging in der Aufopferung so weit, daß er Fechtstunde nahm, um die Ausfälle mit ihm einzuüben. Mein Vater, der zu jener Zeit von schwacher Gesundheit und etwas träge war, pflegte auf dem Fechtboden aus seiner Erschlaffung aufzuwachen, aber wenn sich Deschartres hineinmischte, der arme Deschartres, der die Gabe hatte, die interessantesten Dinge langweilig zu machen, fing das Kind wieder an zu gähnen und schlief fast stehend ein.

„Herr Abbé,“ sagte er ihm eines Tages mit kindlicher Unbefangenheit, „wird es mir mehr Vergnügen machen, wenn ich mich ernsthaft schlage?“ — „Ich glaube nicht, mein Freund,“ antwortete Deschartres, aber er irrte sich; mein Vater hatte früh kriegerische Neigungen und selbst eine Leidenschaft für den Kampf. Nie fühlte er sich so wohl, so ruhig und so sanft bewegt, als wenn er mit der Cavalerie zum Angriff eilte.

Aber dieser tapfre Mann war ein schwächliches, entsetzlich verzogenes Kind, das buchstäblich in Baumwolle aufgezogen wurde; und als er beim raschen Wachsen etwas leidend war, gestattete man ihm, sich seiner Indolenz insoweit hinzugeben, daß er den Bedienten klingelte, um ihm einen Bleistift oder eine Feder aufzunehmen. Er änderte sich gänzlich, Gott sei Dank! und als Frankreich an seine Grenzen eilte, war er immer einer der Ersten, die mit fortgerissen wurden und seine rasche Umwandlung war ein Wunder mehr unter den Tausenden.

Als die Revolution zu drohen begann, sah meine Großmutter, wie alle aufgeklärten Aristokraten ihrer Zeit, ihr Herannahen ohne Furcht. Sie war zu sehr mit Voltaire's und Rousseau's Geist genährt, um die Mißbräuche des Hofes nicht zu hassen und sie gehörte sogar zu den glühendsten Gegnern der Coterie der Königin. Unter ihren Papieren habe ich Mappen voll Verse, Madrigals und beißende Satyren gegen Maria Antoinette und ihre Günstlinge gefunden. Die vornehme Welt schrieb diese Pasquille ab und verbreitete sie. Die feinern sind von der Hand meiner Großmutter geschrieben und vielleicht sind sie ihr Machwerk, denn es gehörte zum guten Ton, einige Epigramme gegen die Skandalosa des höchsten Kreises zu schleudern und es war die geistige Opposition jener Zeit, die sich in diese ganz französischen Formen hüllte. Es waren zum Theil sehr gewagte und sehr sonderbare Dinge; über die Geburt des Dauphin, über die Verschwendungen und Galanterien der „Deutschen“ legte man dem Volke unerhörte Lieder in den Mund, die in der Sprache der Hallen verfaßt waren; man ging so weit, Mutter und Kind mit der Peitsche und dem Schandpfahl zu bedrohen. Und man glaube nicht etwa, daß diese Lieder aus dem Volke hervorgingen; sie stiegen aus dem Salon in die Straßen hinab. Ich habe Gedichte verbrannt, deren Anhalt so obscön war, daß ich nicht gewagt haben würde, sie bis zu Ende zu lesen und die, von Abbés geschrieben, die ich in meiner Jugend gekannt habe, und aus dem Kopfe vornehmer Edelleute hervorgegangen, mir keinen Zweifel über den tiefen Haß und die wahnsinnige Entrüstung der Aristokratie jener Zeit gelassen haben. Ich glaube, daß selbst, wenn das Volk sich nicht geregt hätte, die Familie Ludwig's XVI. das gleiche Schicksal gehabt haben würde, ohne zum Ruhm des Märtyrerthums zu gelangen.

 

Uebrigens bedaure ich sehr, daß ich mich in meinem zwanzigsten Jahre durch einen Anfall von Prüderie dazu bringen ließ, die meisten dieser Manuscripte zu verbrennen. Da sie von einem so keuschen, so erhabenen Wesen, wie meine Großmutter herrührten, verletzten sie meine Augen; und doch hätte ich mir sagen müssen, daß es historische Dokumente waren, die vielleicht einen bedeutenden Werth besaßen. Mehrere waren vielleicht einzig in ihrer Art oder doch höchst selten. Die, welche ich behalten habe, sind bekannt und schon in mehreren Werken angeführt.

Ich glaube, daß meine Großmutter eine bedeutende Verehrung für Necker und Mirabeau fühlte; aber ich verliere die Spur ihrer politischen Meinungen mit dem Augenblicke, wo die Revolution für sie selbst ein niederschmetterndes Ereigniß und ein persönliches Unglück wird.

Unter allen ihren Standesgenossen war sie vielleicht am wenigsten darauf gefaßt, von den Folgen dieser großen Katastrophe getroffen zu werden. Wie hätte sie auch ihr Bewußtsein daraus hinweisen sollen, daß sie, als Theil des Ganzen verdient haben könnte, der allgemeinen Buße mit unterworfen zu werden. So weit es sich mit ihrer Stellung vertrug, hatte sie den Glauben der allgemeinen Gleichheit angenommen. Sie hatte das Verständniß aller freisinnigen Ideen ihrer Zeit. Sie war einverstanden mit Rousseau's „Gesellschaftsvertrag“, sie haßte den Aberglauben wie Voltaire; sie konnte sich selbst für großherzige Schwärmereien erwärmen; das Wort Republik enthielt nichts Schreckliches für sie. Von Natur war sie liebevoll, hülfreich, leutselig und sie sah ihres Gleichen auch in jedem niedrigen und unglücklichen Menschen. Wenn die Revolution ohne Gewaltthaten und Irrthümer fortgeschritten wäre, würde sie ihr, ohne Bedauern und ohne Furcht, bis an's Ende gefolgt sein; denn sie war eine große Seele und hatte ihr Leben lang die Wahrheit gesucht und geliebt.

Aber um die unvermeidlichen Kämpfe, die mit solcher Ungeheuern Umwälzung verbunden sind, freudig hinzunehmen, müssen wir mehr als rein, mehr als gerecht sein; wir müssen das Reich Gottes mit Begeisterung, mit Heldenmuth, mit Fanatismus sogar anstreben. „Der Eifer für sein Haus muß uns verzehren“, wenn wir die Einwirkungen und den Anblick der schrecklichen Einzelnheiten der Krisis ertragen sollen. Jeder von uns ist fähig, sich zu einer Amputation zu entschließen, wenn es sich um die Erhaltung des Lebens handelt, aber wenige sind im Stande, unter Folterqualen zu lächeln.

In meinen Augen ist die Revolution eine der thätigen Phasen des christlichen Lebens; eines Lebens, das zu gewissen Stunden stürmisch, blutig, schrecklich, voll Convulsionen, Wahnsinn und Verzweiflung ist. Es ist der heftige Kampf der Gleichheitslehre, die Jesus verkündigt hat — der Lehre, die bald wie eine strahlende Kerze, bald wie eine glühende Fackel von Hand zu Hand geht, bis in unsre Tage; um zu streiten gegen die alte heidnische Welt, die nicht zerstört ist, und noch lange nicht zerstört sein wird, trotz der Sendung des Heilandes und anderer göttlicher Missionen — trotz so vieler Scheiterhaufen, so vieler Schaffotte und so vieler Märtyrer. Aber die Geschichte der Menschheit besteht aus so vielen unvorhergesehenen, sonderbaren, geheimnißvollen Ereignissen; die Pfade der Wahrheit verzweigen sich mit so manchem wunderbaren, unerforschten Wege; die Dunkelheit breitet sich so oft und so dicht über diese ewige Pilgerschaft aus; der Sturm zerstört so hartnäckig die Wegweiser der Straßen, von der Inschrift, die in den Sand gezeichnet ist, bis zu den Pyramiden; so mancher unheimliche Schein erschreckt die bleichen Reisenden und führt sie in die Irre, daß wir uns nicht wundern dürfen, wenn wir noch keine wahrhafte und bestätigte Geschichte erlangt haben und noch immer in einem Labyrinth von Zweifeln irren. Die Ereignisse von gestern sind so dunkel für uns, als die Epopöen der fabelhaften Zeiten und man beginnt erst heute durch ernste Forschungen etwas Licht in dies Chaos zu tragen.

Wie dürften wir also über diesen Schwindel erstaunen, der sich aller Geister bemächtigte, als Frankreich in die unlösbaren Wirren des Jahres 93 verfiel? Wie hätte die Leidenschaft sich dem Kampfe entziehen, wie die Unparteilichkeit die Urtheile sprechen sollen, als überall Wiedervergeltung geübt wurde, als ein Jeder, der That oder der Absicht nach, eins um's andere zum Opfer und zum Henker wurde und zwischen der erlittenen und geübten Bedrückung weder Zeit zur Ueberlegung noch zur freien Prüfung war? Die Leidenschaft des Einen wurde durch die des Andern gerichtet und das Menschengeschlecht rief, wie zur Zeit der Hussiten: „Jetzt sind die Tage der Trauer, des Eifers und der Wuth.“

Welcher Glaube wäre also erforderlich gewesen, um sich freudig zu entschließen, mit Recht oder Unrecht zum Märtyrer dieses Fortschrittsprincipes zu werden? — und mit Unrecht zum Opfer zu werden, durch einen jener Fehlgriffe, welche zur Zeit des Sturmes unvermeidlich sind, das war am schwersten zu ertragen! denn dem Glauben fehlte das nöthige Licht und die Atmosphäre des Lebens war zu sehr getrübt, als daß sich die Sonne dem Bewußtsein des Einzelnen gezeigt hätte. Und doch wurden alle Klassen der Gesellschaft durch diese revolutionäre Sonne erleuchtet bis zur Zeit der Nationalversammlung. Maria Antoinette, das bedeutendste Haupt der Contre-Revolution von 92, war in ihrem Innern und für ihren persönlichen Nutzen ebenso revolutionär, wie es heutzutage Isabella auf dem spanischen Thron ist, wie es Victoria von England sein würde, wenn sie zwischen dem Absolutismus und ihrer persönlichen Freiheit zu wählen hätte. Die Freiheit wurde von Allen gerufen, von Allen mit Leidenschaft, mit Wuth begehrt und die Könige verlangten sie ebenso gut für sich selbst, wie das Volk.

Aber dann kamen die, welche sie für Alle begehrten, und welche durch den Zusammenstoß der Leidenschaften verhindert wurden, sie irgend Einem zu geben.

Sie versuchten es — und Gott möge ihnen die Mittel verzeihen, zu deren Anwendung sie sich getrieben sahen. Wir, für die sie gearbeitet haben, besitzen nicht das Recht, sie von der Höhe unserer unfruchtbaren Unthätigkeit zu verurtheilen. [Geschrieben 1847.]

Uebrigens müssen wir bekennen, daß es in diesem blutigen Heldengedichte, in welchem jede Partei die Ehre und das Verdienst des Märtyrerthums für sich in Anspruch nimmt, auf beiden Seiten Märtyrer gegeben hat. Die Einen haben für die Vergangenheit gelitten, die Andern für die Sache der Zukunft. Noch Andere, die auf der Grenze beider Parteien standen, haben gelitten, ohne zu begreifen, aus welchem Grunde sie gezüchtigt wurden. Hätte die Reaction gesiegt, so wären sie durch die Männer der Vergangenheit verfolgt, wie sie durch die der Zukunft verfolgt wurden.

In dieser sonderbaren Lage befand sich die edle, reine Frau, deren Geschichte ich hier mittheile. Es war ihr gar nicht eingefallen zu emigriren. Sie fuhr ruhig fort, ihren Sohn zu erziehen und versenkte sich in diese heilige Aufgabe.

Sie hatte sich sogar darein ergeben, ihre Hülfsmittel durch die allgemeine Krisis verringert zu sehen und mit den Ueberresten von dem, was sie „die Trümmer ihres Vermögens“ nannte, hatte sie für etwa 300,000 Franks das Gut Nohant bei Chateauroux gekauft, weil ihre Verbindungen und Gewohnheiten sie im Berry fesselten.

Sie war gerade im Begriff, sich in diese friedliche Provinz zurückzuziehen, in welcher sich die Leidenschaften der Zeit noch nicht fühlbar machten, als sie durch ein unvorhergesehenes Ereigniß hart getroffen wurde.

Sie bewohnte damals das Haus eines Rentzahlmeisters Amonin, dessen Wohnung, wie die aller wohlhabenden Leute jener Zeit, mehrere Verstecke enthielt. Herr Amonin schlug ihr vor, hinter einem Fach des Getäfels eine Menge Silberzeug und Kleinodien zu verwahren, die theils ihr, theils ihm gehörten. Außerdem verbarg auch ein Herr von Villiers seine Adelsbriefe an demselben Orte.

Aber diese „Verstecke“, die auf geschickte Weise in der Dicke der Mauern angebracht waren, konnten den Untersuchungen nicht entgehen, welche oft von denselben Arbeitern geleitet wurden, die sie eingerichtet hatten und sie nun zuerst verriethen. Am 5. Frimaire des zweiten Jahres der Republik (26. Novbr. 1793) wurde — auf Grund eines Erlasses, der das Verbergen solcher, dem Verkehr entzogener Kostbarkeiten untersagte — bei Herrn Amonin eine Haussuchung gehalten.

[Der Inhalt dieses Decrets, dessen Zweck war, durch Schrecken das Vertrauen wiederherzustellen, ist folgender:

»Art. I. Alles Gold und Silber, es mag gemünzt oder ungemünzt sein, alle Diamanten, Kostbarkeiten, Gold- und Silbertressen, und alle wertlwollen Geräthe oder Sachen, die man in der Erde vergraben, oder in Kellern, im Innern der Mauern, unter dem Dache, unter den Fußböden, in den Kaminwänden oder Röhren oder an andern Orten versteckt gefunden hat oder finden wird, sollen zum Besten der Republik weggenommen und confiscirt werden.

Art. II. Jeder Angeber, der zur Entdeckung solcher Gegenstände führt, erhält den zwanzigsten Theil des Werthes in Assignaten.

Art. VI. Das Gold und Silber, das Silberzeug, die Schmuckgegenstände u.s.f. werden sogleich mit einem Inventarium dem Comité der Stadtinspectoren überliefert und dieses sendet alles Gold sofort an die National-Schatzkammer, und alles Silberzeug in die Münze.

Schmucksachen, Meubles und andere Gegenstände werden unter Aufsicht desselben Comités meistbittend verkauft und der Ertrag wird der National Schatzkammer überwiesen, die dem Convent Rechenschaft abzulegen hat (23. Brumaire, Jahr II d. R.).“]

Ein geschickter Tischler besichtigte die Lambris, Alles wurde entdeckt; meine Großmutter wurde eingezogen und in das Kloster des Anglais rue des Fossés St. Victor gebracht, das zum Arrestlocale eingerichtet war. [In demselben Kloster hatte sie einen Theil ihrer freiwilligen Zurückgezogenheit vor ihrer zweiten Verheirathung zugebracht.] In ihrer Wohnung wurden Siegel angelegt und diese, sowie die confiscirten Gegenstände der Obhut des Bürgers und Corporals Leblanc anvertraut. Dem jungen Moritz (meinem Vater) wurde erlaubt, in seinen Zimmern zu bleiben, die einen besondern Eingang hatten und die Deschartres mit ihm bewohnte.

Der junge Dupin, der damals kaum fünfzehn Jahre alt war, wurde durch diese Trennung wie von einem Keulenschlage getroffen; da auch sein Geist mit Voltaire und Rousseau genährt war, konnte er auf solche Vorfälle nicht vorbereitet sein. Man suchte ihm die Gefahr der Verhältnisse zu verbergen und der wackre Deschartres verschwieg seine Besorgnisse, obwohl er fühlte, daß Madame Dupin verloren wäre, wenn ihm ein Unternehmen nicht gelang, zu dem er sich ohne Zögern entschloß und das er mit ebenso viel Glück als Muth vollbrachte.

Er wußte, daß sich unter den aufgefundenen Gegenständen einige sehr verdächtigende befanden, die bei der ersten Prüfung übersehen waren. Es waren Papiere, Akten, Briefe, welche bezeugten, daß sich meine Großmutter an einer freiwilligen Anleihe zu Gunsten des emigrirten Grafen von Artois, der später als Karl X. zur Regierung kam, betheiligt hatte. Ich weiß nicht, welche Gründe oder Einflüsse sie zu dieser Handlung bestimmt hatten; vielleicht war es der Anfang einer Reaction gegen die revolutionären Ideen, mit denen sie, bis zur Einnahme der Bastille energisch Schritt gehalten hatte. Vielleicht war sie auch durch exaltirte Rathschläge, oder durch eine geheime Regung ihres Familienstolzes dazu veranlaßt. Denn, trotz des Querbalkens der Bastarde, war sie die Cousine Ludwig's XVI. und seiner Brüder und mochte glauben, diesen Prinzen ein Almosen schuldig zu sein, obwohl sie von ihnen, nach dem Tode der Kronprinzessin, im Elende gelassen war. Ich bin überzeugt, daß sie keinen andern Beweggrund hatte, und daß sie die Summe von 75,000 Livres, die in ihren Verhältnissen ein bedeutendes Opfer war, nicht wie so viele Andere, als ein Kapital betrachtete, das ihr in der Zukunft Gunst und Lohn eintragen sollte. Sie sah im Gegentheil schon in jener Zeit die Sache der Prinzen als eine verlorne an und fühlte weder für den arglistigen Charakter Monsieurs (Ludwig XVIII.), noch für das schamlose, sittenlose Leben des nachmaligen Königs Karl X. Achtung oder Zuneigung. Sie hat mir, als Napoleon fiel, von dieser jämmerlichen Familie erzählt und ich erinnere mich ihrer Aeußerungen auf das Genaueste; aber ich will den Ereignissen nicht vorgreifen und bemerke hier nur, daß es ihr nie in den Sinn kam, aus der Restauration irgend einen Vortheil zu ziehen, indem sie ihr Geld von den Bourbonen zurückverlangt — oder für einen Dienst, der sie beinahe auf's Schaffot brachte — irgend welche Entschädigung begehrt hätte.

 

Mochten nun die Papiere in einem besondern Verstecke, das man nicht untersucht hat, verborgen gewesen sein, oder mochten sie, mit denen des Herrn von Villiers vermischt, bei der ersten Durchsicht der Aufmerksamkeit des Commissärs entgangen sein, gewiß ist, daß sie in dem Protokoll der Haussuchung nicht verzeichnet waren und Deschartres hatte nun die Aufgabe, sie der zweiten Prüfung, die bei der Abnahme der Siegel stattfinden mußte, zu entziehen. Und Deschartres zögerte nicht, obwohl er Freiheit und Leben dabei wagte.

Doch um die Verhältnisse und die Größe dieses Entschlusses in's rechte Licht zu stellen, wird es zweckmäßig sein, daß ich das Protokoll der Haussuchung einschalte. Es trägt ein ganz besonderes Gepräge und ich werde seine Ausdrucksweise auf das Getreueste wiedergeben:

„Die vereinigten revolutionären Comités der Sectionen von Bon-Conseil und Bondy.

„Am heutigen Tage, den 5. Frimaire des II. Jahres der einen, untheilbaren Republik, wir, Jean-François Posset und François Mary, Commissarien des revolutionären Comités der Section von Bon-Conseil, haben uns nach dem revolutionären Comité der Section von Bondy begeben, um die Mitglieder der besagten Comités aufzufordern, sich mit uns in die Wohnung des Bürgers Amonin, Rentzahlmeister, wohnhaft rue Nicolas Nr.12 zu begeben; und hierauf sind die Bürger Christophe und Gérôme, Mitglieder der Section Bondy und item der Bürger Filoy mit uns gegangen und wir haben uns in genannte Wohnung begeben, wo wir hineingegangen sind, und sind in die zweite Etage hinaufgestiegen, und sind in ein Zimmer eingetreten und von da in ein Toilettezimmer, wo drei Schritte hinunterzusteigen sind, begleitet von der Bürgerin Amonin, weil ihr Mann nicht anwesend war; und wir haben sie befragt: ob nichts bei ihr verborgen wäre und sie hat erklärt nichts davon zu wissen. Und darauf ist die genannte Amonin ohnmächtig geworden und hat die Besinnung verloren. Nachher haben wir die Nachsuchungen fortgesetzt, und haben den Bürger Villiers, der sich in dem genannten Hause befand und wohnhaft ist: rue Montmartre Nr. 21, Section Brutus, aufgefordert, bei unsern Nachsuchungen Zeuge zu sein, was er gethan hat, sowie der Bürger Gondois, item aus demselben Hause. Und dann sind wir zum Oeffnen übergegangen, durch die Talente des Bürgers Tatey, wohnhaft rue du faubourg St. Martin Nr. 90, und außerdem in Gegenwart des Bürgers Froc, Portier besagten Hauses, alle anwesend bei Oeffnung des Getäfels, das zu einem Schranke führt, der Thür zur Rechten gegenüber. Und darauf haben wir eine Oeffnung gemacht, um zu sehen, was sich im besagten Getäfel befindet und sowie die Oeffnung gemacht war, immer im Beisein der Genannten, haben wir eine Menge Silberzeug, mehrere Kasten und Papiere entdeckt und darauf haben wir ein Verzeichniß davon gemacht, im Beisein der oben Genannten: 1) ein Degen mit Stahl-Verzierungen; 2) eine Stutzbüchse; 3) ein Kasten von Saffian, enthaltend Löffel, Zuckerschaufeln, Senflöffel mit Vergoldung und Wappen u. s. w. ...

Nun folgt ein Verzeichniß, in welchem alle mit Wappen verzierten Gegenstände besonders bemerkt sind, da dies, wie Jedermann weiß, zu den Hauptvergehen gehörte.

Und darauf ist der Bürger Amonin gekommen und wir haben ihm befohlen, bei uns zu bleiben, um bei der Fortsetzung des Protokolles Zeuge zu sein.

Und darauf haben wir mehrere Briefe gelesen, die an den Bürger Villiers, Beamten der National-Versammlung adressirt waren; besagter Villiers, der in Abwesenheit des Bürgers Amonin als gegenwärtig genannt wurde, hat uns erklärt, daß diese Briefe ihm gehören, sowie auch der Briefwechsel, den wir in das weiße Buch gewickelt gefunden haben, und der besagte Bürger Amonin hat uns erklärt, er wisse nicht, daß dies hier liege und hatte keine Kenntniß davon, was der Bürger Villiers bestätigt hat. Darauf haben wir den Bürger Amonin aufgefordert, uns zu erklären, seit wann das besagte Silberzeug und Schmucksachen da versteckt wären und hat erklärt: sie wären da gewesen zur Zeit, als der ehemalige König nach Varennes entfloh.

Haben ihn gefragt, ob besagtes Silberzeug und Schmuck ihm gehörten; hat geantwortet, daß ein Theil ihm gehörte und der andere Theil der Bürgerin Dupin, welche unter ihm in der ersten Etage wohnte.

Darauf haben wir die Bürgerin Dupin vorgefordert, zu dem Behufe, uns ein Verzeichniß des Silberzeugs zu geben, das sie bei dem Bürger Amonin versteckt hätte, was die Bürgerin gleich gethan hat. Und darauf sind wir zur Prüfung der Briefe und ihres Inhaltes übergegangen, immer im Beisein des Bürgers Villiers, unter welchen Briefen wir bei der Durchsicht die Abschrift von Adelsbriefen und Wappen gefunden haben, welche wir versiegelt haben mit einem Petschaft in Form eines gegitterten Herzens und einem Petschaft, welches der Uhrschlüssel eines genannten Commissärs bildet; das Ganze eingeschlagen in ein Blatt weißes Papier, damit besagte Briefe geprüft werden durch den Wohlfahrtsausschuß und durch ihn befohlen werden kann, was damit vorzunehmen. Und darauf haben wir uns aller besagten Silbersachen und Schmucksachen, wie aus dem Protokoll hervorgeht, bemächtigt, damit nach den Worten des Gesetzes geschehen kann, was zukommt, und haben geschlossen das gegenwärtige Protokoll den 6. Frimaire um zwei Uhr.“

Es geht daraus hervor, daß diese Nachsuchungen größtentheils bei Nacht und gleichsam wie ein Ueberfall vorgenommen wurden, denn dieses Protokoll ist am 5. begonnen und am 6. um zwei Uhr Morgens geschlossen. Die Commissarien beschließen darauf sogleich Herrn von Villiers festzunehmen, dessen Vergehen ihnen wahrscheinlich als das bedeutendste erschien; sie verfügen jedoch nichts über meine Großmutter und ihren Mitschuldigen, Amonin, versiegeln aber die Koffer, Kasten und Schachteln mit Schmuck und Silbersachen: „um, im Lauf des Tages der National-Versammlung übergeben zu werden und unterdessen in der Verwahrung und unter Verantwortung des Bürgers und Corporals Leblanc zu bleiben, um durch ihn auf das erste Verlangen ganz und wohlbehalten abgeliefert zu werden und er hat erklärt nicht schreiben zu können.“

Es scheint, als wären die Hausgenossen durch dies Ereigniß nur wenig beunruhigt. Sie glaubten wahrscheinlich, daß die Gefahr bereits vorüber wäre und erwarteten die confiscirten Gegenstände wiederzubekommen (aus den Randbemerkungen, mit welchen Deschartres das Protokoll versehen hat, geht hervor, daß ein großer Theil der Sachen unbeschädigt zurückgegeben wurde), außerdem war meiner Großmutter das Vergehen der„Vergrabung“ nicht bewiesen. Sie hatte die gefundenen Gegenstände Herrn Amonin geliehen oder anvertraut, und dieser hatte für nöthig erachtet, sie zu verbergen: dies war ihr Vertheidigungssystem und man glaubte damals nicht, daß die Verhältnisse eine Wendung nehmen könnten, die jede Vertheidigung unmöglich machte. So hatte man auch die Unvorsichtigkeit, jene gefährlichen Papiere, von denen ich oben gesprochen habe, in einem Möbel des zweiten Entresol zu lassen.