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Klara Militsch

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X

Den nächsten Tag verbrachte Aratow ziemlich ruhig. Er konnte sich sogar seinen gewöhnlichen Beschäftigungen widmen. Eines nur ist zu erwähnen: bei seinen Beschäftigungen sowohl, wie auch während seiner Mußezeit dachte er beständig an Klara und an das, was er am vergangenen Tage von Kupfer gehört hatte. Seine Gedanken waren allerdings sehr friedlicher Natur, es schien, als ob dieses sonderbare Mädchen ihn in psychologischer Hinsicht interessire, wie eine Art Räthsel, werth, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. – »Mit einer Schauspielerin-Courtisane entfloh sie!« – dachte er; – »stellte sich unter den Schutz jener Fürstin., bei der sie, wie es scheint, auch wohnte, und – keine Liebschaften? . . . Unwahrscheinlich! – Kupfer spricht von Stolz! Aber erstens wissen wir – Aratow hätte sagen müssen: lasen wir in Büchern, – wissen wir, daß Stolz und leichtsinnige Lebensweise sich nicht immer gegenseitig ausschließen; und zweitens, wie kam es denn da, daß sie, die so Stolze, einen Mann zu einer Zusammenkunft einlud, – einen Mann, der ihr doch Verachtung bezeigen konnte . . . und noch dazu an einem öffentlichen Orte – auf dem Boulevard.« – Hier erinnerte sich Aratow der ganzen Scene auf dem Boulevard, und mußte sich fragen: – hatte er ihr wirklich Verachtung gezeigt? Er entschied – nein! Es war ein anderes Gefühl, ein Gefühl des Mißverständnisses, des Mißtrauens vielleicht! – »Unglückliche Klara!« tönte es wieder in seinem Innern. Ja, unglückliche, entschied er wieder, das ist die passendste Bezeichnung. Und wenn es so ist – so war ich ungerecht. Alls sie sagte, ich verstände sie nicht, hatte sie Recht. Schade! Es war vielleicht ein sehr bemerkenswerthes Wesen, das da nahe an mir vorüber ging . . . und ich verstand es nicht den Zufall zu benutzen, . . . . stieß sie von mir. – Nun, was thuts! Mein Leben liegt noch vor mir. Wer weiß vielleicht stehen mir noch ganz andere Begegnungen bevor!

– Aber wie kam sie nur dazu, gerade mich zu wählen? Er blickte in den Spiegel, an dem er grade vorüberging. Was ist an mir besonderes? Was bin ich denn für eine Schönheit? – Ein Gesicht wie andere. Uebrigens auch sie war ja keine Schönheit.

Keine Schönheit? . . . aber welch‘ ausdrucksvolles Gesicht! Ein unbewegliches und doch ausdrucksvolles! Noch nie ist mir solch, ein Gesicht vorgekommen. Auch Begabung hat sie – das heißt hatte sie, – ein unbestreitbares Talent. Ein formloses, unentwickeltes, sogar rohes – aber zweifellos ein Talent. Auch in dieser Beziehung war ich ungerecht ihr gegenüber. Aratow ließ die literarisch-musikalische Matinée in Gedanken an sich vorüberziehen, und bemerkte, daß er außerordentlich klar und deutlich sich jedes von ihr gesungenen und gesprochenen Wortes, jeder Intonation erinnern konnte. Hätte sie kein Talent gehabt, so wäre das unmöglich gewesen.

– Und jetzt liegt das Alles im Grabe, in das sie sich selbst gestürzt hat! . . . Aber ich bin daran unbeteiligt, – bin nicht Schuld daran! . . . Es wäre sogar lächerlich anzunehmen, daß mich eine Schuld trifft. Aratow überlegte: Wenn wirklich »etwas dergleichen« bei ihr vorhanden war, so hätte sein Benehmen, bei der Zusammenkunft, sie doch jedenfalls enttäuscht haben müssen. Deshalb auch dieses unbarmherzige Lachen beim Abschiede! . . . Ja, wo ist denn überhaupt der Beweis, daß es unglückliche Liebe gewesen sei, die sie veranlaßte Gift zu nehmen? Zeitungskorrespondenten pflegen einen jeden derartigen Todesfall unglücklicher Liebe zuzuschreiben. Menschen mit solchem Charakter, wie der Klara‘s wird das Leben leicht gleichgültig und unerträglich. Ja, Lebensüberdruß – Kupfer hatte ganz Recht, – das Leben war ihr einfach zuwider geworden.

– Trotz der Erfolge und Ovationen? – Aratow sann nach. Diese psychologische Analyse, der er sich hingab, war ihm sogar angenehm. Bis jetzt hatte er jede Berührung mit dem weiblichen Geschlechte vermieden, er konnte daher auch nicht beurtheilen, wie sehr eine solche hartnäckige Zergliederung einer weiblichen Seele für ihn bezeichnend war.

– Es scheint also, – fuhr er in seinem Nachsinnen fort, daß die Kunst sie nicht befriedigt, die Leere ihres Lebens nicht ausgefüllt hat. Echte Künstler leben ausschließlich für ihre Kunst, für das Theater. . . Alles muß erbleichen gegen das, was sie ihren Beruf nennen . ., . Sie war eine bloße Dilettantin!

Aratow mußte abermals nachdenken. – Nein, die Bezeichnung Dilettantin paßte nicht zu dem Ausdruck dieses Gesichts, dieser Augen . . .

Und jetzt erschien das Bild Klara‘s wieder, mit den auf ihn gerichteten, thränenvollen Augen, mit den halbgeöffneten Lippen, mit den zusammengepreßten Händen . . .

– »Ach, nicht doch! . . . nicht!« . . . flüsterte er. »Wozu denn . . . «

So verging der ganze Tag. Während des Mittagessens sprach Aratow viel mit Platoscha, er fragte nach der Vergangenheit von der sie übrigens »nur noch wenig wußte; und dies Wenige konnte sie nur ungenügend wiedergeben, – die Gabe der Rede war bei ihr nur mangelhaft entwickelt. Sie hatte sich in ihrem Leben fast um nichts gekümmert, außer um ihren Jascha, und freute sich nun, dass er heute so gut, so freundlich mit ihr war. Gegen Abend war Aratow wieder so ruhig, daß er mit der Tante Karten spielen konnte.

So verging der Tag . . . dagegen aber die Nacht!!

XI

Sie begann ganz gut; er schlief bald ein, und als die Tante auf den Fußspitzen zu ihm hineinging, um über den Schlafenden dreimal das Zeichen des Kreuzes zu machen – sie that das jede Nacht! – athmete er ruhig, wie ein Kind. – Aber bevor der Morgen anbrach, hatte er einen Traum.

Es träumte ihm, er ginge über eine öde, mit Steinen besäete Wüste, ein niedrighängender Himmel war darüber ausgebreitet. Zwischen den Steinen hindurch schlängelte sich ein Fußsteg den er verfolgte.

Plötzlich erhob sich vor ihm etwas, was einer zarten Wolke ähnlich sah. Er blickte es aufmerksam an, – und das Wölkchen verwandelte sich in eine Frauengestalt in weißem Kleide mit einem hellen Bande umgürtet. Sie schien vor ihm zu fliehen. Er sah weder ihr Gesicht noch ihr Haar – ein langer Schleier verhüllte beides. Er wollte durchaus sie einholen, ihr in die Augen blicken, aber wie er auch eilte – sie war schneller wie er.

Quer vor dem Wege lag ein breiter, flacher Stein, einem Grabstein ähnlich: er versperrte ihr den Weg. Die Frauengestalt blieb stehen; Aratow holte sie ein. Sie wandte sich zu ihm aber er konnte ihre Augen dennoch nicht sehen, sie waren geschlossen. Ihr Gesicht war weiß so weiß wie Schnee; die Arme hingen regungslos herab. Sie war wie eine Bildsäule.

Langsam und ohne ein Glied zu beugen neigte sie sich zurück und ließ sich auf den Stein nieder . . . und plötzlich lag Aratow neben ihr, ausgestreckt wie eine Grabfigur, wie ein Todter, mit gefaltenen Händen.

Jetzt aber erhob sich die Frauengestalt und entfernte sich. Aratow versuchte gleichfalls sich zu erheben, konnte sich aber weder rühren, noch die Hände entfalten, – verzweiflungsvoll blickte er ihr nach.

Nun wandte sich die Frauengestalt um – und er erblickte helle, lebendige Augen, in einem ihm unbekannten Antlitze. Sie lacht, sie winkt ihm . . . aber er kann sich noch immer nicht regen.

Wieder lacht sie auf – und entfernt sich eilig, den mit einem Kranze von rothen Rosen geschmückten Kopf heiter hin- und herwiegend.

Aratow will rufen, will diesen fürchterlichen Alp von sieh abwerfen . . .

Plötzlich aber wird Alles rings um ihn finster . . . und die Frauengestalt kehrt zu ihm zurück. Jetzt ist es nicht mehr eine fremde Statue – es ist Klara. Sie steht vor ihm still, kreuzt die Arme und blickt ihn streng und starr an. Ihre Lippen sind zusammen gepreßt, – Aratow aber glaubt folgende Worte zu vernehmen:

– Willst Du wissen, wer ich bin, so reise dorthin!

– Wohin? fragte er.

– Dorthin! – hörte er die klagende Antwort; – dorthin!

– Aratow erwachte.

Er richtete sich auf, zündete das Licht an, welches sich auf dem Nachttischchen befand, – stand aber nicht auf. Lange saß er fröstelnd da und blickte langsam rings umher. Es war ihm, als ob, seitdem er sich niedergelegt hatte, etwas geschehen sei; als ob sich etwas in ihm eingenistet, sich seiner bemächtigt habe. »Ja, ist denn das möglich?« – flüsterte er unbewußt. »Giebt es denn eine solche Macht?«

Es duldete ihn nicht länger im Bette. Er kleidete sich sachte an und irrte bis zum Tagesanbruch im Zimmer auf und ab. Und sonderbar, an Klara dachte er jetzt gar nicht mehr – und zwar deshalb, weil sein Entschluß am nächsten Tage die Reise nach Kasan anzutreten, gefaßt war.

Er dachte nur noch an diese Reise: wie er sie einzurichten habe, was er mitnehmen müsse, wie er dort Alles aufsuchen, Alles erfahren und wieder ruhig werden würde. – »Fährst Du nicht hin,« – räsonierte er mit sich selbst, – »so wirst Du schließlich noch verrückt!« – Er fürchtete sich davor, fürchtete für seine Nerven. Er war überzeugt, wenn er dort Alles mit eigenen Augen gesehen haben würde, daß dann alle Phantom, wie jener nächtliche Alp, verschwinden würden. – »Die ganze Reise dauert höchstens eine Woche, – was bedeutet eine Woche! – Ich werde es sonst nicht los,« – dachte er.

Die aufgehende Sonne beschien seine Stube, aber das Tageslicht verscheuchte die auf ihn lagernden, nächtlichen Schatten nicht und änderten nichts an seinem Entschluß. Platoscha war fast wie vom Schlage gerührt, als er ihr seine Absicht mittheilte. Sie mußte niederhocken . . . die Beine knickten ihr ein. – »Wie, nach Kasan? . . . weshalb nach Kasan?« – flüsterte sie und riß ihre blöden Augen auf. Ihr Staunen wäre sticht größer gewesen, wenn sie gehört hätte, daß Jascha die Bäckerin von nebenan heirathen, oder nach Amerika auswandern wolle. – »Und wirst Du lange in Kasan bleiben?«

– In einer Woche bin ich wieder da, – antwortete Aratow, der sich von seiner Tante, die noch immer dahockte, halb abgewandt hatte.

 

Platonida Iwanowna wollte noch etwas entgegnen – aber Aratow schrie sie ganz unerwartet und in ungewohnter Weise an: »Ich bin kein Kind.« – rief er, erbleichend; seine Lippen bebten und die Augen funkelten zornig. »Ich bin über fünfundzwanzig Jahr alt, und weiß was ich thue; – ich habe das Recht zu thun was ich will! Ich gestatte Niemandem . . . Geben Sie mir Geld zur Reise, machen Sie meinen Koffer mit Wäsche und Kleidung zurecht . . . und quälen Sie mich nicht! . . . Ich komme in einer Woche wieder, Platoscha«, fügte er mit sanfterer Stimme hinzu.

Platoscha erhob sich, krächzte und schlich, ohne etwas zu erwidern, in ihre Stube. Jascha hatte sie erschreckt. – »Ich habe meinen Kopf nicht mehr auf den Schultern,« – sagte sie zu der Köchin, die ihr den Koffer zu packen half, – »ein Bienenkorb ist an seiner Stelle, . . . und was darin für Bienen summen, – das weiß ich nicht. Nach Kasan reist er, mein Mütterchen nach K—a—s—a—a—n!« – Die Köchin welche am Tage vorher bemerkt hatte, wie der Hausknecht sich mit dem Revierpolizisten unterhielt, wollte dies Ereigniß der Herrin anvertrauen, fürchtete sich aber. Sie dachte auch: »Nach Kasan? . . . wenn nur nicht weiter noch! . . . Platonida Iwanowna war so bestürzt, daß sie ihr gewohntes Gebet sogar vergaß. Solch‘ ein Elend! Da konnte selbst der Herr nicht mehr helfen!

Noch am gleichen Tage reiste Aratow nach Kasan ab.

XII

Kaum war er dort angelangt und hatte in einem Gasthause Wohnung genommen, als er auch schon das Haus der Wittwe Milowidow aufsuchte. Während der ganzen Reise war sein Zustand eine Art von Erstarrung gewesen, die ihn übrigens durchaus nicht verhinderte alle nothwendigen Anordnungen zu treffen. In Nishnij-Nowgorod fuhr er vom Bahnhof zum Dampfboot hinüber, auf den Stationen hielt er seine Mahlzeiten u.s. w. Noch war er immer in der festen Ueberzeugung, daß dort sich Alles aufklären müsse, er verscheuchte daher alle Gedanken und Voraussetzungen und begnügte sich damit, die Rede, mit der er bei Klaras Familie den Grund seiner Reise erklären wollte, einzustudieren. – Endlich war er am Ziel seines Strebens angelangt; er ließ sich anmelden. Er durfte eintreten, . . . mit Staunen und Schrecken zwar ließ man ihn herein, – aber man wies ihn doch nicht ab.

Das Haus der Wittwe Milowidow entsprach genau dem Bilde, welches Kupfer davon entworfen hatte. Auch die Wittwe selbst sah einer Kaufmannsfrau aus Ostrowskij‘s Komödien sprechend ähnlich, obschon sie eine Beamtenfrau war. Ihr Mann hatte im Range eines Kollegien-Assessors gestanden. Nicht ohne einige Schwierigkeit hielt Aratow – nachdem er sich zuvor wegen der Kühnheit seines Besuches entschuldigt hatte – die einstudierte Rede und theilte der Wittwe mit, darüber die Absicht habe alle Nachrichten über die so frühzeitig dahingegangene, talentvolle Künstlerin zu sammeln, und daß ihn nicht bloß Neugier, sondern tiefe Sympathie für ihr Talent, dessen Verehrer er gewesen sei, (er brauchte wirklich den Ausdruck Verehrer) dazu bewege. Er sagte, es sei eine Sünde, wenn man das Publikum in Unkenntniß ließ über das, was es verloren, und daß man Rechenschaft ablegen müsse, weshalb die Hoffnungen, die man auf ihr Talent gesetzt, sich nicht verwirklichen konnten. Frau Milowidow unterbrach Aratow nicht; sie begriff kaum was dieser unbekannte Gast ihr da vorsprach – sie athmete nur tief und starrte ihn an; fand aber doch, daß er ein sanftes Wesen habe, anständig gekleidet, also doch wohl kein Gauner sei, – und darüber wohl nicht die Absicht habe Geld von ihr herauszulocken.

– Sie meinen doch die Katja? fragte sie, nachdem Aratow seine Rede beendet hatte.

– Ja, wohl . . . ihre Tochter.

– Und deshalb sind Sie aus Moskau hierher gekommen?

– Nur deshalb allein!

Frau Milowidow schien sich plötzlich zu ermuntern. – »Sie sind wohl Schriftsteller? . . . schreiben für die Zeitungen?«

– Nein, Schriftsteller bin ich nicht. – habe auch bisher noch nichts für die Zeitungen geschrieben.

Die Wittwe ließ den Kopf sinken. Das ging über ihre Begriffe.

– Also . . . blos aus eigener Liebhaberei? . . . fragte sie endlich. Aratow wußte nicht gleich was er antworten sollte.

– Aus Mitgefühl, aus Achtung vor dem Talent – sagte er endlich.

Das Wort »Achtung« gefiel der Frau Milowidow. – »Nun, meinetwegen!« – brachte sie endlich mit einem Seufzer hervor . . . »Ich bin zwar ihre Mutter, – habe sehr um sie getrauert . . . solch‘ ein Unglück! . . . muß aber doch sagen, daß sie von jeher überspannt war, – und das wird wohl auch der Grund ihres Todes gewesen sein. Solch‘ eine Schande! . . . Urtheilen Sie selbst, was die Mutter dabei gelitten haben muß. Ich bin nur dankbar, daß man ihr wenigstens ein christliches Begräbniß gönnte!« . . . Frau Milowidow bekreuzte sich. – »Schon seit ihrer frühesten Kindheit folgte sie Niemand – endlich verließ sie das elterliche Haus und ging, – denken Sie nur, – unter die Schauspieler! Das Haus hab‘ ich ihr natürlich deshalb nicht verboten, – ich liebte sie ja trotz alledem! Bin ja doch ihre Mutter! . . Von Fremden brauchte sie nicht abzuhängen – brauchte nicht zu betteln!« . . . Dabei traten der Wittwe die Thränen in die Augen. – »Und wenn Sie, Herr,« – fuhr sie wieder fort, und trocknete die Thränen mit dem Zipfel ihres Halstuches, – »wirklich die Absicht haben, und uns gegenüber nichts Ehrloses im Sinne führen – sondern im Gegentheil – uns eine Aufmerksamkeit erweisen wollen, – so sprechen Sie nur mit meiner anderen Tochter, sie wird Ihnen Alles besser erzählen, als ich es kann. . . Annotschka! rief Frau Milowidow, – Annotschka, komm mal her! Da ist ein Herr aus Moskau, er will etwas über Katja erfahren!«

Im anstoßenden Zimmer hörte man ein Geräusch, es erschien aber Niemand. – »Annotschka! rief die Wittwe wieder, Anna Ssemjonowna! hörst Du nicht? Komm‘ doch!«

Die Thüre öffnete sich leise und aus der Schwelle erschien ein nicht mehr junges Mädchen. Sie sah kränklich aus und war unschön, hatte aber sehr sanfte, traurige Augen. Aratow stand auf, ging ihr entgegen, stellte sich vor und erwähnte dabei seines Freundes Kupfer. – »Ah! Feodor Feodorowitsch!« – sagte sie leise und ließ sich auf einen Stuhl nieder.

– Nun also, unterhalte Dich mit dem Herrn, fügte Frau Milowidow hinzu, indem sie sich schwerfällig erhob; – er hat sich hierher bemüht, ist extra aus Moskau hergereist, will Nachrichten über Katja sammeln. Sie aber, Herr, – wandte sie sich an Aratow – entschuldigen mich wohl. . . ich gehe; meine Wirthschaft wartet auf mich. Mit Annotschka werden Sie sich gut verständigen – sie kann Ihnen auch vom Theater erzählen . . . und all‘ dergleichen. Sie ist meine kluge, gebildete Tochter, spricht auch französisch und liest Bücher – wie ihre selige Schwester. Man kann sogar sagen, daß sie es war, die Katja erzogen hat. . . Sie war ja die ältere . . . mußte sich daher auch viel mit ihr beschäftigen.

Frau Milowidow entfernte sich. Als Aratow mit Anna Ssemjonowna allein geblieben war, wiederholte er seine Rede; bemerkte aber aus den ersten Blick, darüber wirklich ein gebildetes Mädchen vor sich habe, nicht etwa eine Kaufmannstochter blos; er war deshalb etwas ausführlicher und brauchte auch andere Wendungen. Zuletzt kam er selbst in Erregung, erröthete und fühlte, daß sein Herz zu klopfen anfing. Anna hörte ihm schweigend zu; die gefalteten Hände lagen auf ihrem Schoße und ein trauriges Lächeln umspielte ihre Lippen. Man erblickte in diesem Lächeln einen bitteren und dauernden Kummer.

– Kannten Sie meine Schwester? fragte sie Aratow.

– Nein; ich kannte sie eigentlich nicht, – antwortete er. – Ich sah und hörte sie nur einmal . . . aber es genügte ihre Schwester einmal zu sehen und zu hören. . .

– Wollen Sie ihre Biographie schreiben? – fragte Anna wieder.

Aratow war aus diese Frage nicht gefaßt, antwortete aber sogleich: Warum nicht? Hauptsächlich aber wolle er das Publikum bekannt machen mit . . .

Anna unterbrach ihn durch eine Handbewegung.

– Wozu das? . . . Das Publikum hat ihr ohnedies Leid genug verursacht, übrigens fing ja Katja kaum erst an zu leben. Aber wenn Sie selbst (Anna blickte ihn an und lächelte wieder mit demselben kummervollen, jetzt aber schon etwas freundlicheren Lächeln – es war, als ob sie darin ausdrücken wollte: ja, Du flößest mir Vertrauen ein) – wenn Sie selbst so großen Antheil an ihr nehmen, so erlauben Sie, daß ich Sie bitte, uns heute Abend zu besuchen . . . nach dem Mittagessen. Ich kann jetzt nicht . . . so plötzlich . . . Ich werde bis dahin Kräfte sammeln . . . werde versuchen . . . Ach, ich liebte sie zu sehr! . . .

Anna wandte sich ab, sie war im Begriff zu weinen.

Aratow erhob sich sofort, dankte für die Einladung, sagte, daß er bestimmt kommen würde, ganz bestimmt, – und ging. Er trug in seiner Seele den Eindruck einer sanften Stimme und bescheiden-traurig blickender Augen mit sich fort, und war in spannender qualvoller Erwartung.