1866

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Bismarck und das Trauma von Olmütz 1850

„Aber wer, wie Euer Majestät alleruntertänigster Diener, seit 16 Jahren mit der österreichischen Politik intim zu tun gehabt hat, kann nicht zweifeln, dass in Wien die Feindschaft gegen Preußen zum obersten, man möchte sagen, alleinigen Staatszwecke geworden ist.“

Otto von Bismarck am 22. April 1866 an König Wilhelm I.16

Preußens Gang nach Canossa

Die Österreicher seien in vollem Rückzug auf Olmütz, schrieb Preußens Kriegsminister Albrecht von Roon am 5. Juli 1866, zwei Tage nach dem Sieg von Königgrätz, aus dem Quartier im böhmischen Horwitz an seine Frau. „Und dieser Gang nach Olmütz“, so fügte er mit grimmiger Genugtuung hinzu, „ist wohl demütigender als der unsrige vor 16 Jahren.“17

Als nur drei Tage später die Spitze der preußischen Mainarmee siegesgewiss das hessische Bronzell passierte, wusste jeder preußische Soldat, dass sich hier das Grab des berühmten Schimmels befand, der 1850 im Verlauf eines Scharmützels mit den Bayern getötet worden war.18 Theodor Fontane beschreibt die Szene: „Woran sich einst so viel bitterer Spott für uns geknüpft hatte, jetzt war es ein Gegenstand der Heiterkeit. Lachend zogen die Regimenter daran vorbei.“19

Anderthalb Dekaden nach dem spektakulären Scheitern von Preußens Unionspolitik und seinem bedingungslosen Einlenken gegen Österreich in der mährischen Hauptstadt war der „Gang nach Olmütz“ längst zu einer stehenden Redewendung geworden, vergleichbar mit dem legendären Gang Kaiser Heinrichs IV. nach Canossa. Die Angst vor einem „neuen Olmütz“ ließ sich dann auch im Frühjahr 1866 trefflich für einen strammen Kriegskurs instrumentalisieren, wenn etwa der preußische Gouverneur in Schleswig, General Edwin von Manteuffel, am 22. April 1866 in einem Immediatbericht an König Wilhelm I. von Österreichs „bösem Willen“ sprach und warnte, seinen Forderungen nachzugeben.20 Selbst der britische Botschafter in Berlin, Lord Augustus Loftus, benutzte in diesen kritischen Tagen die Olmütz-Metapher, als er nach London berichtete, dass Wilhelm zwar froh wäre, einem Krieg gegen Österreich zu entgehen, einen Waffengang aber wohl akzeptieren würde, wenn er dadurch ein „zweites Olmütz“ vermeiden könne.21

Knapp 16 Jahre zuvor, im Herbst 1850, hatte die nach den Revolutionswirren erneuerte Habsburgermonarchie mit der Rückendeckung des russischen Zaren den Hohenzollernstaat zur Aufgabe seiner revolutionären Unionspolitik gezwungen und sogar offen mit Krieg gedroht. Dabei war zu diesem Zeitpunkt der überhastete Versuch Preußens einer Lösung der deutschen Frage unter Ausschluss Österreichs schon längst gescheitert. Deutsche Mittelstaaten wie Hannover, Sachsen, Bayern und selbst Baden hatten König Friedrich Wilhelm IV. unter dem Druck Wiens die Gefolgschaft verweigert und waren wieder aus der Union ausgetreten. Doch der Habsburgerstaat wollte noch mehr. Aus österreichischer Sicht hatte Preußen offen mit der Revolution geliebäugelt und sich damit außerhalb der konservativen Solidarität der alten „Heiligen Allianz“ gestellt. Denn das in Erfurt zusammengetretene Unionsparlament war kein Fürstenbund mehr gewesen, sondern eine aus direkten Wahlen hervorgegangene Abgeordnetenkammer. Preußen, so sah es Staatskanzler Felix Fürst zu Schwarzenberg, musste wieder an die Kandare genommen und die 1815 etablierte Hierarchie zwischen beiden deutschen Führungsmächten demonstrativ wiederhergestellt werden. Schwarzenberg schien nun selbst vor einem großen militärischen Konflikt nicht mehr zurückzuschrecken, und tatsächlich schien die Lage zu eskalieren.

Als im Oktober 1850 Kurfürst Friedrich Wilhelm I. von Hessen-Kassel im Frankfurter Rumpfbundestag eine Bundesexekution gegen seine wieder einmal rebellierenden Behörden erwirkte, waren preußische Truppen präventiv zum Schutz ihrer wichtigen Militärstraßen zum Rhein ins Nachbarland einmarschiert. Bayerische Kontingente hatten daraufhin ebenfalls die kurhessische Grenze überschritten, während die österreichische Armee in Böhmen mehr als 100.000 Mann versammelte und Wien unverhohlen drohte, damit auf Berlin zu marschieren, sollte Preußen nicht der Wiederherstellung des Deutschen Bundes in seiner alten Form zustimmen. Auch der Hohenzollernstaat hatte damals seine Armee mobilisiert und nur wenig hatte gefehlt und der Krieg von 1866 wäre bereits im Herbst 1850 ausgefochten worden. Doch Friedrich Wilhelm IV. war angesichts der offenkundigen Isolierung Preußens in Deutschland und auf Druck Russlands vor dieser letzten Konsequenz zurückgeschreckt. Der Protagonist seiner ambitionierten Deutschlandpolitik, Joseph Maria von Radowitz, musste am 2. November 1850 von seinem Amt als preußischer Außenminister zurücktreten. Seinem Nachfolger Otto von Manteuffel, als trockene Bürokratennatur das genaue Gegenteil des von großen Projekten träumenden Radowitz, blieb es überlassen, im mährischen Olmütz vier Wochen später die sprichwörtlich gewordene Unterwerfungserklärung zu unterzeichnen. Preußen rückte von sämtlichen seiner Positionen in der deutschen Frage ab und akzeptierte sogar, zuerst mit der Demobilisierung seiner Streitkräfte zu beginnen.

Das konservative Lager, wo man die antirevolutionäre Solidarität mit Österreich beharrlich pflegte, begrüßte zwar das endgültige Scheitern des verhassten Unionsprojektes, empfand aber wie die einflussreichen Brüder Leopold und Ludwig von Gerlach die sogenannte Punktation von Olmütz als schmerzhafte Demütigung, nicht anders als die liberalen Kräfte in Preußen. Am 11. Dezember 1850 notierte etwa Karl August Varnhagen von Ense in seinem Tagebuch: „Die Niederlage Preußens wird täglich deutlicher. Unser lappiges, hinterlistiges und dabei feiges Wesen tritt hell an den Tag.“22 Manche fragten sich, ob Preußen überhaupt noch eine Großmacht sei. Und in Magdeburg klagte ein Oberst Helmuth von Moltke, damals Chef des Stabes des dort stationierten IV. Preußischen Armeekorps: „Ein schimpflicher Friede hat noch nie Bestand gehabt. Was für eine Streitmacht haben wir zusammen gehabt! Was für eine Truppe! 30 Millionen verausgabt für eine Demonstration und um alle und jede Bedingung anzunehmen. Aber die schlechteste Regierung kann dies Volk nicht zugrunde richten, Preußen wird doch an die Spitze von Deutschland kommen.“23

Bismarcks Einstieg in die große Politik

Einzig ein verlorener Krieg hätte nach damaligem Verständnis eine europäische Großmacht dazu zwingen können, eine derart einseitige Vereinbarung zu unterzeichnen. Wohl kaum jemand empfand die „Schmach von Olmütz“ tiefer als Otto von Bismarck. Erst drei Jahre zuvor hatte der pommersche Gutsherr erfolgreich für den erstmals einberufenen preußischen Landtag kandidiert. Als Sohn einer ehrgeizigen Mutter aus akademischem Hause und eines eher antriebslosen märkischen Junkers mit langem Stammbaum und niedrigem Reserveoffizierdienstgrad hatte der junge Bismarck als Student in Göttingen und später als Assessor in Aachen jahrelang ein zielloses und von amourösen Eskapaden geprägtes Leben geführt, ehe er, hofnungslos verschuldet, auf eines seiner ererbten Güter in Ostpommern zurückgekehrt war. Wirtschaftlich zwar nun erfolgreich, konnte ihn das geruhsame Landleben, das auch der Selbstfindung und der Familiengründung gedient hatte, auf Dauer nicht befriedigen. Seine alten Hoffnungen auf eine Karriere als Politiker und Diplomat, ohne zugleich die ihm verhasste Fron einer bürokratischen Laufbahn auf sich nehmen zu müssen, waren noch nicht begraben. Die Einberufung des ersten allgemeinen preußischen Landtages im April 1847 sollte ihm tatsächlich einen anderen Weg in die hohe Politik ebnen. Während der Revolution von 1848 war Bismarck zunächst als antirevolutionärer Scharfmacher aufgefallen, der sogar seine Schönhausener Bauern bewaffnen wollte, um die Monarchie in Berlin zu retten. Gegner sahen in ihm allerdings nur eine „verkrachte Existenz“, der seine Göttinger Studententage mit Trinkgelagen und Raufereien verbracht hatte und dessen Laufbahn im preußischen Justizdienst schließlich an seinem unsteten Wesen gescheitert war.24 Die Konservativen schätzten ihn immerhin als Mann fürs Grobe, und Bismarcks rhetorischem Talent mussten auch die Gegner unwillig ihren Tribut zollen. Seine Rede zur Olmützer Punktation im preußischen Landtag am 3. Dezember 1850 war dann auch ein meisterlicher Hieb gegen die Liberalen und ihren waghalsigen Kriegskurs. Von der konservativen Fraktion um die Gebrüder Gerlach wurde sie sogleich in 20.000 Exemplaren gedruckt und verbreitet.25

Nur kurz nachdem der designierte Ministerpräsident Otto von Manteuffel dem Landtag einen Bericht von den Verhandlungen in Olmütz gegeben hatte, ohne allerdings den Abgeordneten über den tatsächlichen Umfang des preußischen Zurückweichens reinen Wein einzuschenken, war Bismarck ans Rednerpult getreten. Es war eine der wichtigsten Reden in seiner gesamten politischen Laufbahn und weit mehr als nur eine simple Verteidigung des Manteuffelschen Verhandlungsergebnisses.

Eindringlich wies er die Forderungen einiger seiner Vorredner nach einem Krieg gegen Österreich zurück. Nur wenige Wochen zuvor hatte Bismarck einen Waffengang allerdings selbst noch befürwortet. Jetzt warnte er davor, mit dem populären Wind in die Kriegstrompeten zu stoßen, und belehrte die Kammer, dass die einzige gesunde Grundlage eines großen Staates der staatliche Egoismus sei und nicht die Romantik.26 Nur darin unterscheide er sich von den kleineren Staaten. Keinesfalls dürfe daher die preußische Armee, auch wenn sie tatsächlich dazu gerüstet wäre, für das Scheitern der falsch angelegten Radowitzschen Politik in die Bresche springen. Preußens Demütigung müsse vorerst hingenommen werden, denn für die deutschen Ambitionen der Liberalen könne es unmöglich zu den Waffen greifen. Hier zeigte sich überdeutlich, dass Bismarck sich durch und durch als Preuße fühlte. Die nationalstaatliche Einigung lehnte er nicht grundsätzlich ab, aber sie war vorerst für den später so sehr als Reichsgründer verehrten Politiker nicht mehr als ein Mittel, um die Macht Preußens zu stärken. Zu keinem Zeitpunkt seiner Karriere empfand er sie als eine Herzensangelegenheit, eher als notwendiges Übel, um bei Bedarf die Liberalen auf seine Seite zu ziehen.

 

Trotz aller in seiner Rede demonstrierten Besonnenheit blieb die Kapitulation von Olmütz für den ambitionierten märkischen Junker ein politisches Schlüsselerlebnis. Selbst nachdem Schwarzenberg in den anschließenden Dresdner Verhandlungen mit seinem grandiosen Plan gescheitert war, den gesamten Habsburgerstaat in den erneuerten Deutschen Bund einzubringen, stand Österreich ganz oben auf Bismarcks Liste der passionierten Feinde Preußens. Zahllose Invektiven gegen das „selbstherrliche Wien“ und seine verschiedenen politischen Vertreter aus der folgenden Dekade belegen eine seit Olmütz konstante antiösterreichische Besessenheit. Mehr noch als Habsburg aber hasste der Schönhausener seither die deutschen Mittelstaaten, die Preußen und der Union von der Fahne gegangen waren, obwohl einige Souveräne es doch nur den preußischen Bajonetten zu verdanken hatten, dass sie noch auf ihren Thronen saßen. Doch Hannover, Sachsen und Kurhessen fürchteten Preußen mehr als Österreich und richteten sich daher wie Magnetspäne mit physikalischer Gesetzmäßigkeit stets nach Wien aus, was Österreich dreist auszunutzen versuchte, den Hohenzollernstaat immer wieder in die zweite Reihe zu stellen. Bismarcks Rache an Österreichs deutschen Vasallen sollte 1866 brutal ausfallen.

Anders als seine konservativen Förderer aus dem Umfeld der berüchtigten Kreuzzeitung war Bismarck keineswegs mehr bereit, die Preußen seit 1815 zugedachte Rolle als gefügiger Juniorpartner im antirevolutionären Kampf zu akzeptieren. Auch eine paritätische Regieführung beider Mächte im Deutschen Bund schien ihm nicht zu genügen. In seiner Radikalität ging er zeitweilig noch weiter und plädierte zum Jahresende 1853 in einem Brief an Leopold von Gerlach sogar freimütig für Österreichs Ausscheiden aus Deutschland: „Unsere Politik hat keinen anderen Exerzierplatz als Deutschland, schon unserer geographischen Verwachsenheit wegen, und gerade diesen glaubt Österreich auch für sich zu gebrauchen; für beide ist kein Platz nach den Ansprüchen, die Österreich macht; […]. Wir atmen einer dem anderen die Luft vor dem Munde fort, einer muss weichen oder vom anderen gewichen werden, bis dahin müssen wir Gegner sein.“27

Seine wiederholt betonte Konfliktbereitschaft bedeutete allerdings nicht, dass Bismarcks politische Agenda notwendig auf einen Krieg gegen Österreich hinauslaufen musste. Sein späterer Antipode in Frankfurt, Johann Graf Rechberg, Sohn eines bayerischen Ministers und österreichischer Karrierediplomat mit Stationen in Stockholm, Rio de Janeiro und Konstantinopel, lag nicht ganz falsch, wenn er vermutete, dass der preußische Gesandte wohl trotz seines glühenden Hasses gegen Österreich bei veränderten Verhältnissen einer Politik, die auf einem guten Einvernehmen mit Wien beruhte, seine Dienste nicht versagen würde.28 Dies galt jedoch ausschließlich auf der europäischen Handlungsebene, wo Österreich, anders als im Deutschen Bund, Preußens Großmachtstatus nicht anfechten konnte. Das gemeinsame Vorgehen von Bismarck und Rechberg in der Schleswig-Holsteinkrise von 1863/64 war hierfür das prominenteste Beispiel, zeigte aber auch, dass sich der österreichisch-preußische Dualismus zwar zeitweise in den Hintergrund schieben ließ, aber nur, um dann umso heftiger wieder hervorzutreten.

Tatsächlich glaubte Bismarck, dass die Frage von Krieg und Frieden zwischen den beiden deutschen Vormächten weder in seiner Macht noch in der eines anderen Politikers lag, wie er in einem Brief an Ministerpräsident von Manteuffel am 26. April 1856 betonte: „Ich will nur meine Überzeugung aussprechen, dass wir in nicht zu langer Zeit für unsere Existenz gegen Österreich werden fechten müssen“, schrieb er wenige Wochen nach dem Pariser Frieden, der nach drei verlustreichen Jahren den Krimkrieg beendet hatte, „und dass es nicht in unserer Macht liegt, dem vorzubeugen, weil der Gang der Dinge in Deutschland keinen anderen Ausweg hat.“

Bismarcks sogenannte Olmützrede am 3. Dezember 1850 hatte nicht nur vor einem großen Krieg gewarnt, der Preußens wirk lichen Interessen nicht diente. Sie war auch ein erstes offenes Bekenntnis zu einer Politik jenseits moralischer Prinzipien und ideologischer Fiktionen, die nach der Reichsgründung von 1871 weithin als Realpolitik verherrlicht werden sollte. Nicht zuletzt war sie aber die sorgfältig formulierte Bewerbung des einfachen preußischen Landtagsabgeordneten an die Adresse der maßgeblichen konservativen Kamarilla um König Friedrich Wilhelm IV., ihm ein neues und möglichst auch lukratives Amt zu verschaffen.

Bismarck als Gesandter Preußens am Frankfurter Bundestag

Dass der diplomatische Novize im folgenden Frühjahr sogar auf Empfehlung des neuen Ministerpräsidenten von Manteuffel mit der Vertretung Preußens am wiederbelebten Frankfurter Bundestag betraut wurde, dürfte dem 36-jährigen Vollblutpolitiker, der gern und regelmäßig den „Souveränitätsschwindel“ der deutschen Fürsten brandmarkte, wie ein Treppenwitz vorgekommen sein. Die Frankfurter Gesandtschaft war auch in finanzieller Hinsicht eine der attraktivsten Positionen der preußischen Diplomatie und sie wird Bismarck, dessen Aufnahme in den diplomatischen Dienst Außenminister Friedrich Ancillon noch 15 Jahre zuvor entschieden abgelehnt hatte, im Rückblick nicht wenig Genugtuung verschafft haben.29

Sosehr sich Bismarck in seinem neuen Amt sofort wohlfühlte, sowenig schätzte er den Deutschen Bund, dessen Mitglieder er gern als „Bundesphilister“ verhöhnte. In einem Brief an seine Schwester spottete er, dass Heinrich Heines berühmtes Diktum „Oh Bund, Du Hund. Du bist nicht gesund“ zum Nationallied der Deutschen erhoben werden sollte.30 Vorderhand war die Bundesversammlung seit 1815 ein Instrument der deutschen Fürsten zur Niederhaltung der Revolution, in Bismarcks Augen benutzte Österreich ihn aber vor allem, um Preußen möglichst kleinzuhalten. Als Preuße empfand er es daher als seine oberste Pflicht, das Funktionieren dieses Gremiums nach Möglichkeit zu behindern und damit der Wiener Präsidialmacht, wo es nur ging, Steine in den Weg zu werfen. Im Rückblick behauptete er im März 1859 anlässlich seiner Berufung nach St. Petersburg, seine achtjährige Amtstätigkeit sei ein ununterbrochener Kampf gegen Übergriffe aller Art gewesen, gegen die unablässigen Versuche, den Bund auszubeuten als ein Instrument zur Erhöhung Österreichs, zur Verminderung Preußens.31 Eine launige Spielerei war es da noch, wenn er gleich zu Beginn seiner Frankfurter Amtszeit sich im Plenum die gleichen Freiheiten wie sein erster Wiener Antipode, Friedrich Franz Graf von Thun und Hohenstein, herausnahm und sich etwa seines Rockes entledigte, sobald jener es vormachte, oder auch demonstrativ im Engeren Rat der Bundesversammlung eine Zigarre rauchte, wenn es der Österreicher tat.

Soeben erst durch das Eingreifen russischer Truppen in Ungarn dem politischen Abgrund entronnen, hatte Wien seit der Niederschlagung der Revolution ein geradezu ungesundes Selbstbewusstsein entwickelt, das seine Kräfte bald hoffnungslos überfordern sollte. Mehr als noch im Vormärz ließ Österreich den preußischen Rivalen nun deutlich spüren, dass man es seit Olmütz nur noch als zweitklassige Macht betrachtete. Auch Karl Ferdinand Graf Buol-Schauenstein, der Nachfolger des bereits im April 1852 überraschend verstorbenen Fürsten Schwarzenberg, machte hier keine Ausnahme. Der Karrierediplomat und Zögling Schwarzenbergs erwies sich in seiner siebenjährigen Amtszeit im Zentrum der österreichischen Politik als eine wahre Verhängnisgestalt. So glaubte er tatsächlich, Österreichs Dominanz in Italien, auf dem Balkan und in Deutschland gleichzeitig aufrechterhalten und dabei das industriell erstarkende Preußen als eine Art Vasall behandeln zu können. Sein ambitionierter Kurs war allerdings kaum durch die Wirtschaftskraft der Donaumonarchie gedeckt.

Schon die gescheiterten Verhandlungen zur Aufnahme Österreichs in den Deutschen Zollverein hatten gezeigt, dass Preußen gegenüber Wien ganz und gar nicht wehrlos war. Trotz aller antipreußischen Vorbehalte in den deutschen Mittelstaaten wirkte die ökonomische Dynamik schlussendlich auf ein Zusammengehen mit der norddeutschen Großmacht hin. Preußen konnte sich in seiner Haltung gegen Österreich sogar bestätigt fühlen, als 1854 auch Hannover und Oldenburg der Zollunion beitraten, deren Außengrenzen damit bereits die spätere kleindeutsche Lösung der nationalen Frage vorwegnahmen.

Österreich wiederum hatte es nie in voller Konsequenz realisiert, dass schon die Wiener Beschlüsse von 1814/15 Preußen zur zukünftigen Führungsmacht in Deutschland gemacht hatten, als man ihm das Königreich Sachsen vorenthalten und es stattdessen allein als „Wachhund“ gegen Frankreich am Rhein platziert hatte. Habsburg wurde inzwischen nördlich des Mains immer weniger als deutscher Staat wahrgenommen. Wenn Bismarck im Frühjahr 1860 in einem Brief an Moritz von Blanckenburg, einem engen Freund aus seiner Zeit als pommerscher Gutsherr, von einem slawisch-romanischen Mischlingsstaat sprach, war dies längst keine Einzelmeinung mehr. Auch der junge Generalstabsoffizier Alfred Graf von Schlieffen bezweifelte wie viele seiner Kameraden, dass ein katholischer Kaiser an der Spitze von Tschechen und Kroaten über Deutschland gebieten sollte.32

Dahinter steckte jetzt auch ein wachsendes Unbehagen an Österreichs wiederholten Versuchen, die deutschen Staaten einschließlich Preußen für seine reichsfremden Ambitionen auf dem Balkan und in Italien zu instrumentalisieren.

Wiens Bruch mit Russland – Preußens große Chance

Nur drei Jahre nach dem Olmützer Triumph beging Wien seinen ersten entscheidenden Fehler. Als im November 1853 der türkische Sultan Russland den Krieg erklärte und wenige Monate später Frankreich, die Schutzherrin des päpstlichen Stuhls, und die Regierung ihrer allerchristlichsten britischen Majestät an die Seite der moslemischen Macht traten, glaubte Buol den Zeitpunkt gekommen, Österreichs alte Vormachtposition von 1815 im Konzert der europäischen Staaten wieder einnehmen zu können. Beeinflusst von Metternich, dem berüchtigten Staatskanzler des Vormärz und entschiedenen Gegner Russlands seit den Tagen des Wiener Kongresses, wagte Buol einen antirussischen Kurs, ließ österreichische Truppen die Moldau und die Walachai besetzen und schloss sogar ein Bündnis mit Frankreich und Großbritannien. Schließlich nötigte Wien den neuen Zaren, Alexander II., im Frühjahr 1856 mit einem scharfen Ultimatum an den Pariser Verhandlungstisch. Es war die Urkatastrophe der österreichischen Politik, die fortan mit Russland einen unversöhnlichen Feind im Rücken hatte. Ohne Not hatte Buol die zuletzt noch in Ungarn bewährte „Heilige Allianz“ mit dem Zarenreich beerdigt, dafür aber von den beiden Westmächten nicht den geringsten politischen Gegenwert erhalten. Österreich fürchte mit Recht für sein Italien, spottete selbst Leopold von Gerlach in einem Brief an Bismarck noch während des Krieges in Frankfurt, und verfeinde sich ausgerechnet mit Preußen und Russland, den einzigen Mächten, die es ihm gönnen.33 Vier Jahre später konnte Bismarck, inzwischen zum preußischen Gesandten in St. Petersburg ernannt, seiner Frau mit unverhohlener Freude berichten, dass hier der Hass auf Österreich ohne jedes Maß sei und seine kühnsten Hoffnungen überträfe. Die ganze russische Politik scheine keinem anderen Gedanken Raum zu geben, als dem, wie man Österreich ans Leben kommt.34

 

Statt die erstrebte Schlüsselposition im Konzert der europäischen Mächte wiedererlangt zu haben, war der Habsburgerstaat seit dem Ende des Krimkriegs beinahe völlig isoliert. Preußen dagegen hatte sich als einzige Großmacht des Wiener Systems im orientalischen Konflikt neutral verhalten, mehr allerdings aus Unsicherheit denn aus echter Überzeugung. Versuche der England gewogenen Wochenblattpartei, einer gemäßigten Abspaltung der Konservativen, die preußische Politik in das Fahrwasser der beiden Westmächte zu lenken, hatte ein in Frankfurt schier verzweifelnder Bismarck mit einem Bombardement warnender Briefe nach Berlin zu torpedieren versucht: Kein Zusammengehen mit Österreich und den Westmächten! Schließlich riet er, einen schon geplanten preußischen Aufmarsch wenigstens auf Schlesien zu beschränken, sodass er sich wahlweise als Drohung gegen Russland wie auch gegen Österreich deuten ließe.

Tatsächlich rettete das Zögern der süddeutschen Staaten, die ein Bündnis mit dem Neffen des kriegerischen Korsen aus verständlichen Gründen ablehnten, Preußen vor einem engeren Schulterschluss mit Frankreich und Großbritannien und damit vor einem militärischen Konflikt mit Russland. Zugleich gelang es Bismarck im Frankfurter Bundestag, einem Schutz- und Trutzbündnis Österreichs mit den deutschen Staaten die antirussische Spitze zu nehmen, was in Petersburg dankbar registriert wurde. Der Preußische Gesandte legte damit, so sein Biograf Ernst Engelberg, sein erstes diplomatisches Meisterstück ab.35 Der Hass der Pariser und auch der Wiener Diplomatie, die einmal mehr davon träumte, Preußen mithilfe der Westmächte auf „eine unschädliche Größe zu reduzieren“, kümmerten Bismarck wenig. In Berlin hielt ihm Ministerpräsident von Manteuffel den Rücken frei und ließ sogar Buol abblitzen, der angefragt hatte, ob der Preußische Gesandte nicht aus Frankfurt abberufen werden könne, da dessen Handlungen und Äußerungen das „Gepräge der Feindseligkeit gegen Österreich“ besäßen.36

Der Leiter der österreichischen Politik hatte nun allerdings ganz andere Probleme. Während Wien mit leeren Händen dastand, war Preußen trotz seiner schwankenden Neutralität der tatsächliche Gewinner des Krimkrieges. Zornig, enttäuscht und gebrochen wandte sich das besiegte Russland in den kommenden Dekaden Zentralasien und dem Fernen Osten zu, derweil die peinlichen Schwächen ihrer Armee vor der Festung Sewastopol die Lust britischer Politiker an zukünftigen Interventionen auf dem Kontinent erheblich gedämpft hatten. Der Sepoyaufstand in Indien und danach der amerikanische Bürgerkrieg absorbierten ohnehin einen erheblichen Teil der öffentlichen Aufmerksamkeit im Inselreich.

Erstmals seit drei Jahrhunderten hatte damit der Druck der europäischen Flügelmächte auf die Mitte des Kontinents nachgelassen. Mit Begeisterung realisierte Bismarck Preußens erweiterten politischen Spielraum. Selbst eine Allianz mit Paris, wo sich die Vertreter der Großmächte inzwischen die Klinke in die Hand gaben, erschien ihm nun nicht mehr abwegig. Hauptsache, Österreich ließe sich damit unter Druck setzen. Dass er diese Option überhaupt erwog, beschleunigte allerdings den Bruch mit seinen konservativen Förderern in Berlin, für deren ideologisch erstarrtes Weltbild Napoleon III. als Verkörperung der Revolution stets eine Persona ingrata blieb. Um sich für das Außenministerium zu empfehlen, forderte Bismarck nach dem Krimkrieg von Berlin eine zielstrebigere Außenpolitik und beklagte die „passive Planlosigkeit“ Preußens, das froh sei, wenn es in Ruhe gelassen werde. Man könne dies in der Mitte Europas nicht durchhalten, mahnte er am 30. Mai 1857 in einem Brief an Leopold von Gerlach, den Generaladjutanten des Königs, und erinnerte an das preußische Desaster von 1806: „Wir werden Amboss, wenn wir nichts tun, um Hammer zu werden.“

Doch die konservative Kamarilla um König Friedrich Wilhelm IV. hatte den Zenit ihrer Macht längst überschritten. Preußens stürmisch wachsende Ökonomie stärkte mit jedem Tag das liberale Lager, während der Monarch immer häufiger an geistiger Verwirrung litt.

Kaum zwei Jahre später endete, nicht ganz unerwartet, Bismarcks Zeit in Frankfurt, die er im Rückblick die glücklichste seines Lebens genannt hatte. Der Wechsel der politischen Verhältnisse in Berlin hatte auch für den nun völlig zwischen den Fronten stehenden Gesandten gravierende Folgen. Bereits im Oktober 1857 war Friedrich Wilhelm IV. durch mehrere Schlaganfälle regierungsunfähig geworden und hatte seinem jüngeren Bruder Wilhelm die Stellvertretung und schließlich ein Jahr später die Regentschaft übertragen. Ministerpräsident Manteuffel und sein gesamtes Kabinett mussten gehen. Obwohl durch und durch Soldat und bei den Berlinern seit 1848 zu Unrecht als „Kartätschenprinz“ in Verruf geraten,37 kündete Prinz Wilhelm einen Politikwechsel an, der in ganz Deutschland vielfach als Beginn einer liberalen Ära verstanden wurde. Unter dem Einfluss der anglophilen Wochenblattpartei sprach der neue Mann an der Spitze Preußens in seiner Rede vor dem Kabinett, in dem sogenannten Novemberprogramm, sogar von moralischen Eroberungen in Deutschland, wobei er als Beispiel Einigungselemente wie den Zollverband hervorhob. Obwohl darin Anklänge an das alte Radowitzsche Programm unüberhörbar waren, konnte Bismarck der neuen Linie durchaus etwas abgewinnen. Es war immerhin eine Strategie nach Jahren der Ziellosigkeit und des sich ängstlichen Versteckens.

Doch eine Chance auf das erhoffte Außenministerium hatte Bismarck nicht. Seine ausführlichen Denkschriften an die Adresse des Prinzregenten hatten kaum Resonanz gefunden. Er konnte von Glück reden, dass ihn Wilhelm zum neuen preußischen Gesandten in St. Petersburg ernannte. Bismarck empfand das als „Kaltstellung“, obwohl es ihn angesichts seines ramponierten Rufes als prinzipienloser Karrierist viel härter hätte treffen können. Entscheidend für den Fortgang seiner Laufbahn war wohl das Kalkül der neuen Regierung um Außenminister Alexander Graf von Schleinitz, dass ein konservativer Gesandter am Zarenhof, der zugleich als russophil galt, für Berlin in den kommenden Verwicklungen auf europäischer Ebene von erheblichem Nutzen sein konnte. Denn noch während sich Bismarck im März 1859 über Berlin auf den beschwerlichen Weg in die russische Hauptstadt machte, eskalierte in Norditalien der Konflikt Österreichs mit Piemont-Sardinien. Es war ein Krieg mit Ansage und kein europäischer Diplomat zweifelte daran, dass Napoleon III. an den entscheidenden Fäden zog.

Am 19. April 1859 forderte Wien das mit Frankreich verbündete norditalienische Königreich ultimativ auf, seine Rüstungen einzustellen und die Freischaren zu entwaffnen. Zehn Tage später, nachdem Turins Antwort ablehnend ausgefallen war, überschritt die österreichische Armee die Grenze. Wieder sah Bismarck sich in der Pflicht, die neue Regierung in Berlin von einem Eingreifen in den Italienischen Krieg zugunsten Österreichs abzuhalten, wie es die öffentliche Meinung in Deutschland vehement forderte. Er schreckte nicht einmal davor zurück, seinen neuen Chef mit russischen Interventionsdrohungen zugunsten Frankreichs in die Irre zu führen. Bismarck agierte hierbei in vollem Einvernehmen mit Russlands Außenminister Alexander M. Gortschakow, der damals über sein Verhältnis zum preußischen Gesandten erklärte, man sei wie die Hand und der Handschuh.38 Der um 17 Jahre jüngere Preuße übernahm in diesem Zusammenspiel willig die Rolle des Famulus, solange es nur gegen Österreich ging.

Tatsächlich hatte Außenminister von Schleinitz nie beabsichtigt, sich als österreichischer Vasall in den Italienischen Krieg hineinziehen zu lassen. Erzherzog Albrecht, der mit genau dieser Forderung nach Berlin gekommen war, musste mit einer klaren Absage den Rückweg antreten. Zum Verdruss Österreichs wollte sich Preußen lediglich auf eine bewaffnete Neutralität gegenüber beiden Konfliktparteien einlassen und bestand darauf, nur mit dem Oberbefehl über alle Bundestruppen am Rhein aufzumarschieren. Das war eine kluge Strategie, da sie Preußens Selbstständigkeit als europäische Großmacht wahrte und sich alle Optionen offenhielt. Aus der Ferne sah Bismarck das anders. Weitab vom Schuss in Petersburg zur Untätigkeit verurteilt ließ er in diesen Tagen nichts unversucht, um seine meist unaufgeforderten Ansichten im politischen Berlin zu verbreiten und sich als ministerielle Alternative im Spiel zu halten. Opfer dieser Taktik war auch der General Gustav von Alvensleben, als enger Vertrauter des Prinzregenten und späterer Generaladjutant eine der ersten Adressen, um Bismarcks politischen Kalkulationen an allerhöchster Stelle Gehör zu verschaffen. Weder seine Neutralität noch eine vasallenhafte Teilnahme am Krieg würde Preußen im Falle eines österreichischen Sieges irgendeinen verwertbaren Gewinn bringen, so der Petersburger Gesandte an den General, den er im selben Schreiben auch um die Ernennung zum Reservemajor bat. Preußens Position im Bund würde durch Wiens auftrumpfendes Gebaren nur noch weiter geschwächt werden. Dabei halte die gegenwärtige Konstellation, so glaubte Bismarck, wieder einmal das große Los für Preußen im Topf. „Falls wir den Krieg Österreichs mit Frankreich sich scharf einfressen lassen, und dann mit unsern ganzen Armeen nach Süden aufbrechen, die Grenzpfähle im Tornister mitnehmen und sie entweder am Bodensee oder da, wo das protestantische Bekenntnis aufhört, vorzuwiegen, wieder einschlagen. Alle diese Leute schlagen sich ja 24 Stunden, nachdem wir sie in Besitz genommen haben, für uns besser wie je für ihre eigene Obrigkeit.“39