Handbuch des Strafrechts

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II. Gemeinsamer Tatentschluss

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Der „gemeinsame Tatentschluss“ bildet damit das Fundament der Mittäterschaft. Die Mittäter setzen sich durch ihre gleichberechtige, wechselseitige Willensvereinigung gegenseitig zum Zweck ein und begreifen die Tathandlung des jeweils anderen als Mittel bezogen auf ihre gemeinsam gesetzte Unrechtsrealisierung. Damit bestärken sie sich zugleich gegenseitig in ihrem Unrechtsentschluss und erweitern ihre jeweils eigene Tatmacht um die des anderen.[110] In der Wechselseitigkeit der Willensvereinigung unterscheidet sich die Mittäterschaft von der (täterschaftsgleichen) Anstiftung, welche durch den Missbrauch einer Machtstellung des Anstifters gekennzeichnet ist.[111] Ebenfalls unterscheidet sich die Mittäterschaft durch die gleichberechtigte Willensvereinigung von der Gehilfenschaft, bei welcher der Gehilfe seinen Unrechtsentschluss dem Unrechtsentschluss des Täters unterordnet und daher keine wesentliche Rolle in der Tatausführung übernimmt.

1. Willensübereinstimmung der Mittäter

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Der gemeinsame Tatentschluss fordert danach zunächst eine Willensübereinstimmung zwischen den Beteiligten, der sich auf die gemeinsame Ausführung der Tat richten muss.[112] Ein solcher Tatentschluss ist aber nur dann ein gemeinsamer, wenn er sich als Vereinbarung der Beteiligten darstellt, was einen geistigen Austausch zwischen den Handelnden über den Tatentschluss voraussetzt.[113] Dieser geistige Kontakt verlangt keine ausdrückliche Abstimmung, sondern kann sich auch aus den Umständen ergeben, nicht aber aus einer bloßen Verkehrserwartung, weil es sich bei der Mittäterschaft gerade um kein redliches Geschäft handelt.[114] Maßgeblich ist also stets nur, welche Bedeutung beide „Mittäter“ einer nonverbalen Kommunikation zugemessen haben, nicht hingegen, was der Erklärungsempfänger unter dem Schweigen des anderen verstehen durfte. Ferner müssen sich zwar die Beteiligten nicht untereinander persönlich kennen, zu verlangen ist aber, dass sie sich der einzelne Beteiligte bewusst ist, mit einem anderen überhaupt zusammen-wechselseitig zu agieren.[115]

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Der gemeinsame Tatentschluss muss nicht notwendigerweise vor Versuchsbeginn getroffen werden. Möglich ist auch eine während der Tat entstehende Willensübereinstimmung, sofern diese kommuniziert wird und dazu führt, dass die Mittäter sich gegenseitig in ihrem Unrechtsentschluss bestärken.[116] Ein solcher Entschluss führt jedenfalls hinsichtlich des später verwirklichten Unrechts zur Mittäterschaft (zur sukzessiven Mittäterschaft Rn. 65 ff.). Ein bloßer „Einpassungsbeschluss“, mit dem sich der eine Beteiligte dem Tatplan des anderen anschließt, genügt aber entgegen Jakobs[117] nicht. Eine bloß einseitige, sei es auch noch so wesentliche Unterstützung, von der der andere keine Kenntnis hat, reicht daher für mittäterschaftliches Handeln nicht aus.[118] Die Mittäter müssen sich vielmehr gegenseitig in ihrem Unrechtsentschluss bestärken, den eigenen Tatbeitrag mit Rücksicht auf die Unterstützung durch den anderen erbringen wollen und sich so wechselseitig zum Tatmittel machen.[119] Erst das wechselseitige Zusammenwirken (nicht dagegen die einseitige Mitwirkung) begründet die Einbeziehung des jeweils anderen in die eigene Tatmacht, welche erst die wechselseitige Zurechnung erlaubt.

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Eine gemeinsame Ausarbeitung des Tatplans ist nicht erforderlich, der Tatplan als solcher kann also auch der Tatplan nur eines Mittäters oder sogar eines Dritten sein, der nur als Teilnehmer auftritt.[120] Die Bezeichnung als „gemeinsamer Tatplan“ ist in diesem Sinne ungenau, da sich die Mittäter auch den Plan eines anderen zu eigen machen und diesen so zum gemeinsamen Tatplan erheben können. Der gemeinsame Unrechtentschluss muss jedoch zu einer wechselseitig bestimmenden Einflussnahme der Mittäter aufeinander führen. Diese bestärkt den jeweils eigenen Unrechtsentschluss und stärkt zugleich die Tatmacht. Aus diesem Grund reicht es nicht aus, wenn dem Haupttäter der Tatbeitrag des anderen gleichgültig ist,[121] denn eine solche Tätigkeit mag die Tatbegehung fördern und eine Beihilfe begründen, sie vermag es aber nicht, in tatmächtiger Weise den Unrechtsentschluss des Haupttäters zu bestärken. Eine solche Bestärkung wird indes zumeist durch eine Zusage im Hinblick auf die Ausführung der Tat gegeben sein.

2. Der Inhalt des Tatentschlusses

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Der gemeinsame Tatentschluss muss sich auf die (konkrete) gemeinsame Tatausführung hinsichtlich des in den Tatbeständen des Besonderen Teils „vertypten Unrechts“[122] (vgl. hierzu → AT Bd. 3: Noltenius, § 50 Rn. 53) richten. Daher reicht es, unabhängig von der Frage hinsichtlich der Reichweite der gemeinsamen Ausführung, nicht aus, wenn mehrere Personen ihre gemeinsam gewonnenen Erkenntnisse zur Begehung gleichartiger Straftaten nutzen[123] oder wenn mehrere Personen verabreden, jeder für sich gleichartige Straftaten zur Erreichung eines gemeinsamen Ziels zu begehen.[124] Letzteres wird namentlich in den „Verfolgerfällen“ relevant, in denen mehrere Beteiligte verabreden, auf mögliche Verfolger zu schießen. Eine solche Abrede zielt nicht auf eine gemeinsame Deliktsbegehung, sondern auf parallele, gleichartige Deliktsbegehungen durch jeden der Beteiligten.[125] Dies aber vermag keinen auf gemeinsame Tatausführung gerichteten gemeinsamen Tatentschluss zu begründen.[126]

3. Die sog. Scheinmittäterschaft

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An einem derart wechselseitigen Zusammenwirken fehlt es auch, wenn beispielsweise bei einem Diebstahl der eine Beteiligte dem anderen vorspiegelt, mit dem Einverständnis des Eigentümers zu handeln, der andere aber die Täuschung durchschaut und gleichwohl handelt.[127] Der Täuschende kann in diesem Fall ggf. als Anstifter und daneben jedenfalls als versuchter Mittäter strafbar sein. Umgekehrt kann ein innerer Vorbehalt des einen Beteiligten zwar die Bestärkung des anderen nicht hindern, führt aber dazu, dass der andere den Scheinmittäter nicht bestärken kann und daher ebenfalls ein gemeinsamer Tatentschluss nicht vorliegt. Dies bedingt es auch, dass dann, wenn einer der Planenden die Vollendung der Tat nicht will – insbesondere als agent provocateur – sowohl seine eigene Mittäterschaft ausscheidet,[128] als auch eine (vollendete) Mittäterschaft generell scheitern muss. Auch dem Überbleibenden fehlt nämlich (für ihn unerkannt), die durch eine echte Vereinbarung begründete Erweiterung der eigenen Tatmacht durch wechselseitige Mitbestimmung des anderen. Eine Zurechnung von Handlungen kann in dieser Konstellation nicht erfolgen. Daher bleibt auch hier nur eine versuchte Mittäterschaft. Diese setzt aber voraus, dass derjenige, der an den gemeinsamen Tatplan glaubt, selbst zur Deliktsverwirklichung ansetzt. Ein vermeintliches Ansetzen des Scheinmittäters begründet daher noch keinen Versuch.[129]

4. Das Aufgeben des gemeinsamen Tatentschlusses

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Der gemeinsame Tatentschluss kann auch von einem Mittäter wieder aufgegeben werden. Erfolgt diese Rücknahme nach Versuchsbeginn, so stellt dies allein freilich noch keinen Rücktritt dar (§ 24 Abs. 2 StGB). Aber selbst wenn der Rückzug aus dem gemeinsamen Tatplan vor Beginn der Ausführung der konkreten Tat erfolgt, will die Rechtsprechung eine Mittäterschaft bejahen, wenn der Aufgebende schon einen (vorbereitenden) Tatbeitrag erbracht hat.[130] Das soll sogar dann gelten, wenn der Aufgebende seinen Mittätern den Rückzug aus dem Tatplan kommuniziert hat[131] und selbst dann, wenn die Mittäter schon – wenn auch nur zum Schein – auf seinen Umstimmungsversuch eingegangen sind.[132] Erst wenn die Mittäter ebenfalls den gemeinsamen Tatplan aufgegeben haben und erst später aufgrund eines neu gefassten Tatplans tätig geworden sind[133] oder die ausgeführte Tat so wesentlich von dem ursprünglichen Tatplan abweicht, dass eine „andere Tat“ vorliegt,[134] scheide eine Zurechnung aus.

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Dies wirft Abgrenzungsschwierigkeiten auf, welche sich systemkonform nur dadurch vermeiden lassen, dass „die gleiche Tat“ nur eine in unmittelbar räumlich-zeitlichem Zusammenhang von den anderen Mittätern ausgeführte Tat sein kann.[135] Wird dagegen der ursprüngliche gemeinsame Tatplan trotz Rückzugs eines Mittäters ausgeführt, so soll nach der Rechtsprechung eine Mittäterschaft aber dann ausgeschlossen sein, wenn durch den Rückzug beim Rückziehenden zugleich vor Tatvollendung ein „notwendiges Tatbestandsmerkmal“ (wie z.B. die Zueignungsabsicht beim Raub) entfalle.[136] Unklar bleibt, warum nicht auch der Vorsatz ein derart notwendiges Tatbestandsmerkmal ist, mit der Folge, dass zumindest dann, wenn der Rückziehende nach einem vermeintlich erfolgreichen Umstimmungsversuch gar nicht mehr mit der Tat rechnet, eine Mittäterschaft ausscheiden müsste.[137]

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Richtigerweise muss in den genannten Fällen des Rückzugs aus dem gemeinsamen Tatplan eine Mittäterschaft scheitern. Für die Aufgabe im Vorbereitungsstadium folgt das schon daraus, dass vorbereitende Tatbeiträge keine mittäterschaftliche, „gemeinsame“ Tatausführung begründen können. Vor allem aber kann eine gegenseitige Bestärkung des Unrechtsentschlusses nicht mehr vorliegen, wenn sich der eine Beteiligte aus dem Tatplan zurückzieht und diesen Rückzug kommuniziert. Der andere erbringt dann seinen Beitrag gerade nicht mehr mit Rücksicht auf die Unterstützung durch den Aufgebenden. Aber selbst in den Fällen, in denen es an einer solchen Kommunikation fehlt, entfällt mit dem Rückzug aus dem gemeinsamen Tatentschluss die wechselseitige Erweiterung der Tatmacht, so dass danach ausgeführte Beiträge nicht mehr wechselseitig zugerechnet werden können. Eine mittäterschaftliche Zurechnung scheidet bei einem Rückzug im Vorbereitungsstadium damit unabhängig von der Kommunikation der Aufgabe des Tatentschlusses aus.[138]

 

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Erfolgt der Rückzug erst im Ausführungsstadium, gelten für den Rücktritt vom Versuch die allgemeinen Rücktrittsregeln (vor allem § 24 Abs. 2 StGB). Zu beachten ist aber, dass es stets nur um das Ausführungsstadium eines konkreten Delikts gehen kann. Deshalb kann danach versuchtes Unrecht, mit dessen Ausführung noch nicht begonnen wurde, dem Aufgebenden nicht mehr zugerechnet werden. Gibt ein Mittäter während der Ausführung eines Diebstahls den gemeinsamen Tatplan auf, ohne dass dies einen wirksamen Rücktritt darstellt, so ist ihm zwar die versuchte Wegnahme, nicht aber eine erst nach seinem Rückzug begonnene Gewaltanwendung zuzurechnen, selbst wenn sich diese im Rahmen des ursprünglichen Tatplans hielt. Doch selbst hinsichtlich des schon begonnenen Unrechts liegt bei einer Aufgabe des gemeinsamen Tatplans keine Mittäterschaft mehr vor. Deshalb scheidet eine Mittäterschaft am vollendeten Diebstahl auch dann aus, wenn die Aufgabe des Tatentschlusses nach Versuchsbeginn aber vor der Wegnahme liegt. Bei der Wegnahmehandlung besteht die mittäterschaftsspezifische wechselseitige Erweiterung der Tatmacht dann nämlich nicht fort. § 24 Abs. 2 StGB schließt den Rücktritt vom Versuch aus, soweit nicht die speziellen Voraussetzungen der Norm erfüllt sind, besagt aber nichts über die Auswirkungen der Tataufgabe auf die Mittäterschaft.[139] In Betracht kommt stets nur eine Beihilfe zu der vom anderen allein begangenen Tat.

5. Mittäterschaft mit einem schuldlos Handelnden

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Nicht einheitlich beurteilt wird, ob eine „isolierte Mittäterschaft“ in dem Sinne möglich ist, dass ein voll verantwortlich Handelnder die Tat gemeinsam mit einem schuldlos Handelnden ausführt. Entgegen der überwiegenden Ansicht ist der voll verantwortlich Handelnde, selbst wenn er die Schuldlosigkeit des anderen kennt, solange jener Einsicht in die Verletzung hat und damit hinsichtlich dieser Verletzung als freies Subjekt handelt, bezogen auf dessen Handlung nicht als mittelbarer Täter, sondern als Anstifter zu sehen.[140] Aber auch eine Mittäterschaft ist in dieser Konstellation denkbar.[141] Denn auch mit einem schuldlos Handelnden ist ein gemeinsamer Unrechtsentschluss ebenso möglich wie eine wechselseitige Erweiterung der jeweiligen Tatmacht. Ob sich der voll verantwortlich Handelnde einen schuldlosen oder einen schulhaft handelnden Mittäter vorstellt, ist danach unerheblich. Erkennt allerdings der andere den Tatentschluss nicht als Verletzungsentschluss, muss eine Mittäterschaft ausscheiden und eine Zurechnung kann allenfalls nach § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB erfolgen. Gleiches gilt, wenn beide Mittäter keinen Unrechtsentschluss vereinbaren, weil einer der beiden in Kenntnis und aufgrund einer Rechtfertigungslage handelt.[142]

III. Die gemeinsame Tatausführung

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Objektive Voraussetzung der Mittäterschaft und zugleich Bezugspunkt der Willensübereinstimmung ist die gleichwertig-gemeinsame Ausführung der Tat. Zu verlangen ist keine eigenhändige Verwirklichung der einzelnen Tatbestandsmerkmale durch jeden Mittäter. Erforderlich ist aber, dass die Mittäter bei der Tatausführung Beiträge erbringen, die in gleichgewichtiger Abhängigkeit zueinander stehen.[143] Der Tatbeitrag des einen wirkt mit dem Tatbeitrag des anderen in einer Weise zusammen, dass sich die Verletzung als Erfolg aller Mittäter ansehen lässt. Diese Grundlegung bedarf der Präzisierung im Hinblick auf zwei wesentliche Punkte: Die Qualität und den Zeitpunkt des Tatbeitrags.

1. Die Qualität des mittäterschaftlichen Tatbeitrags

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Hinsichtlich der Qualität des mittäterschaftlichen Tatbeitrags gilt, dass sich dieser nicht auf eine rein untergeordnete Tätigkeit beschränken darf. Auch die Rechtsprechung geht grundsätzlich vom Leitbild des Mittäters als gleichberechtigtem Partner aus[144] und sieht eine nur untergeordnete Mitwirkung als Indiz gegen eine Mittäterschaft.[145] Es muss vielmehr ein dem Beitrag des anderen wesentlich gleichgewichtiger und gleichermaßen erforderlicher Beitrag geleistet werden. Nur dann kann davon gesprochen werden, dass dem Mittäter die Herrschaft über die Verletzung des in den Tatbeständen vertypten Unrechts (mit-)zukommt. Nicht notwendig ist eine physische Mitwirkung bei der Erfolgsherbeiführung. Auch Weisungs- und Organisationstätigkeiten können im Gewicht der eigenhändigen Tatausführung gleichstehen und folglich Mittäterschaft begründen.[146] Eine bloß untergeordnete Hilfe physischer oder psychischer Art stellt dagegen selbst dann, wenn sie am Tatort bei Ausführung der Tat geleistet wird, nur Beihilfeunrecht dar.[147] Das gilt entgegen der Rechtsprechung[148] besonders für psychische Unterstützungen wie Ratschläge und eine untergeordnete Bestärkung des Tatentschlusses.

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Eine mittäterschaftliche Zurechnung setzt eine Mitwirkung an der Unrechtstat voraus. Gemeint ist damit nicht notwendig eine physisch-kausale Mitwirkung im Ausführungsstadium, erforderlich ist aber eine gleichberechtigte Handlung, die auf einen gemeinsamen Zweck, die Realisierung des Tatbestandes gerichtet ist.

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Auch wenn man sich weitgehend darüber einig ist, dass der Mittäter einen wesentlichen Tatbeitrag erbringen muss, ist nicht geklärt, was im Einzelnen mit diesem Erfordernis gemeint ist. Zwei Fallgruppen bei denen sich diese Abgrenzung immer wieder als schwierig darstellt, sind die Fälle des Festhaltens des Opfers z.B. im Rahmen einer körperlichen Misshandlung und des „Schmierestehens“ bei einer Tat. Beide Fälle werden von der h.M. als mittäterschaftliche Beiträge eingeordnet.[149] Hier offenbart sich die verfehlte Reduktion der Mittäterschaft auf eine bloße „funktionale Abhängigkeit“. Allein dadurch, dass ein Beitrag für die Rechtsverletzung wesentlich war, folgt nicht automatisch die Mittäterschaft. Diese „Sicherungsfunktionen“ können zwar durchaus wesentliches Gewicht für die gemeinsame Tatverwirklichung gewinnen, sind aber nicht zwangsläufig mitbestimmende Tatbeiträge und lassen sich daher nicht pauschal der Mittäterschaft oder der Beihilfe zuordnen. Entscheidend ist, ob sich die Beteiligten gleichberechtigt-wechselseitig in ihren jeweiligen Unrechtsentschluss einbinden und sich so gegenseitig tatmächtig zum Mittel des gemeinsamen Zwecks setzen. Dabei ist differenzierend zu betrachten, ob demjenigen, der das Opfer festhält, kraft dieses Beitrags schon die Mitherrschaft über das Verletzungsgeschehen zukommt, ob also die „Sicherung“ Element der gemeinsamen, sich wechselseitig zum Mittel setzenden Zweckverfolgung ist oder der Tatausführung nur untergeordnet hinzugefügt ist. Hält jemand das Opfer fest, damit der andere ihm eine Sache wegnehmen kann, so verübt der Festhaltende Gewalt, der andere vollzieht die Wegnahme. Die Willensfreiheit und das Eigentum werden im gleichberechtigt-arbeitsteiligen Zusammenwirken beider verletzt, Mittäterschaft (am Raub) liegt mithin vor. Hingegen kann das bloße Festhalten des Opfers, damit ein anderer eine körperliche Misshandlungen begehen kann, nicht per se Mittäterschaft begründen. Entscheidend ist, ob das Festhalten auf der Basis des gemeinsamen Tatplans zur Erreichung des (dann gemeinschaftlichen) tatbestandlichen Erfolges notwendig ist. Bei den Fällen des sog. Schmierestehens ist ebenfalls zu unterscheiden: Soll das „Schmierestehen“, z.B. vor dem Haus bei einem Einbruchdiebstahl, nur die Flucht nach der Verletzungshandlung ermöglichen, ist nur Beihilfe anzunehmen. Ist das „Schmierestehen“ dagegen für das Gelingen auf der Grundlage des gemeinschaftlichen Tatentschlusses für die Verletzung wesentlich und der Erfolg der Handelnden ohne das „Schmierestehen“ gefährdet, so ist der Schmierestehende Mittäter. Das gilt namentlich dann, wenn der Schmierestehende seine Mittäter nicht nur warnen soll, sondern z.B. auch Vorbeikommende abwehren soll.

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Für den Zeitpunkt der Beurteilung des Gewichts des Tatbeitrags ist auf eine subjektive ex-ante-Sicht, die Sicht der Mittäter beim Fassen des Tatentschlusses, abzustellen.[150] Grundlage der Mittäterschaft ist der gemeinsame Unrechtsentschluss, der von den Mittätern arbeitsteilig umgesetzt wird. Ob sich die Mitwirkung an dieser Umsetzung als wesentlich darstellt, ist demnach auf Grundlage des gemeinsamen Tatplans zu beurteilen. Dieser Tatplan kann sich freilich bis zur Ausführung verändern und (in Teilen) neu gefasst werden. Danach ist es für einen wesentlichen Tatbeitrag ausreichend, wenn dem Mittäter eine Funktion zukommt, die bedeutsam hätte werden können, selbst wenn sie es in concreto nicht war.[151] Unter diesem Blickwinkel kann auch ein bloßes Danebenstehen ausreichen, wenn sich die Funktion des Herumstehenden darauf beschränkt, notfalls wesentlich in das Geschehen einzugreifen. Umgekehrt scheidet Mittäterschaft aus, wenn der Beteiligte nur eine untergeordnete Bedeutung erhält, dann aber abredewidrig verstärkt eingreift. Insoweit fehlt dann der gemeinsame Tatplan. Zur ebenfalls mit dem Zeitpunkt der Beurteilung zusammenhängenden Probleme der sog. alternativen und sog. additiven Mittäterschaft s. Rn. 110 f.

2. Der Zeitpunkt des Tatbeitrags

a) Beiträge vor Versuchsbeginn

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Nicht einheitlich beurteilt wird, ob eine Mittäterschaft auch möglich ist, wenn ein Beteiligter nur im Vorbereitungsstadium der Tat, d.h. vor Versuchsbeginn tätig wird. Ist beispielsweise der sog. Bandenchef im Vorbereitungsstadium in besonderer Weise tätig, indem er die gesamte Tat plant und die einzelnen Tatbeiträge an die Ausführenden verteilt, während der eigentlichen Tatausführung jedoch nicht mitwirkt, mag er Organisator der Tat sein, ist jedoch – mangels Mitwirkung im Rahmen der Ausführung der Tat – nicht als Mittäter zu qualifizieren.

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Wie dargelegt, lässt die Rechtsprechung demgegenüber jeden nicht ganz untergeordneten Tatbeitrag genügen.[152] Auch eine Mitwirkung im Vorbereitungsstadium ist demnach hinreichend für die Begründung von Mittäterschaft.[153] Einige Vertreter der Tatherrschaftslehre folgen dieser Sehweise im Ergebnis. Nach der sog. „weiten Tatherrschaftslehre“ kann eine funktionelle Tatherrschaft auch dann vorliegen, wenn ein Täter nicht im Ausführungsstadium mitwirkt, soweit sein „Minus“ im Stadium der Tatausführung durch ein „Plus“ im Stadium der Tatplanung – insbesondere durch umfangreiche Mitgestaltung bei der Deliktsplanung – ausgeglichen wird.[154]

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Dagegen verneint die sog. „enge Tatherrschaftslehre“ die Möglichkeit einer Mittäterschaft im Vorbereitungsstadium. Mittäter kann nur sein, wer das unmittelbare Geschehen am Tatort beeinflussen kann. Ohne einen solchen Tatbeitrag im Ausführungsstadium – zwischen Versuchsbeginn und formeller Vollendung der Tat – ist Mittäterschaft nicht möglich.[155] Die Unterschiede ebnen sich insofern ein, als auch Vertreter der engen Tatherrschaftslehre jedenfalls zum Teil keine körperliche Anwesenheit am Tatort fordern, sondern es ausreichen soll, dass der Mittäter das konkrete Verhalten der Anwesenden (z.B. über dauernde Handykommunikation) steuern kann.[156]

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Aus dem Verständnis der Mittäterschaft als (Mit-)Herrschaft über die Verletzung des im „Tatbestand vertypten Unrechts“ ist mit der „engen Tatherrschaftslehre“ eine Mitwirkung im Ausführungsstadium zu fordern. Die Macht über die Verletzung darf nicht isoliert von der Herrschaft über die einzelne Rechtsgutsobjektsverletzung betrachtet werden. Wer das Delikt umfassend plant und „als eigenes will“, dann aber einen anderen bei der Tatausführung allein lässt, erweitert nicht seine eigene Tatmacht um die des anderen, sondern begibt sich gerade der Tatmacht über das Delikt. Die Gegenansicht verortet die Mittäterschaft zu nah an eine durch das Tatstrafrecht überholte Komplottlehre, in welcher die Verbrechensverabredung als solche schon strafrechtliches Unrecht begründen konnte, und verwischt die Grenze zwischen den Beteiligungsformen.[157] Die „weite Tatherrschaftslehre“ verlässt insofern ihre eigenen Prämissen, als eine vermeintlich tatbezogene Tatherrschaft hinsichtlich der konkreten Tat auf ein Vortatverhalten gegründet wird.

 

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Soweit vorgebracht wird, die enge Tatherrschaftslehre falle zurück in eine formal-objektive Betrachtungsweise,[158] ist zu betonen, dass jene Lehre keine eigenhändige Begehung voraussetzt und daher auch nicht mit einer formal-objektiven Theorie gleichgesetzt werden kann.[159] Soweit – wie früher vom Reichsgericht – behauptet wird, dass sich die Möglichkeit der Täterschaft ohne reale Mitwirkung schon aus der Rechtsfigur der mittelbaren Täterschaft bzw. der wechselseitigen Repräsentanz ergebe,[160] wird übersehen, dass sich die alleinige Täterschaft des Hintermannes bei der mittelbaren Täterschaft gerade aus der Unfreiheit des Vordermanns ergibt.[161] Der Mittäter aber bezieht einen verantwortlich und insbesondere vorsätzlich Handelnden in seine Tat mit ein und macht sich damit diese fremde freiheitliche Tatmacht zu eigen. Dies erfordert eine bedeutende Mitwirkung im Ausführungsstadium der Tat. Auch kriminalpolitische Argumente für ein weites Verständnis der Mittäterschaft[162] tragen nicht, denn diese können den Wortlaut des § 25 Abs. 2 StGB nicht überwinden. Das Begehen einer (Straf-)Tat im Sinne dieser Norm wird durch § 8 S. 1 StGB auf das Ausführungsstadium konkretisiert. Daran kann in einem dem Bestimmtheitsgebot verpflichteten Strafrecht kein kriminalpolitisches Bedürfnis etwas ändern, zumal das Bedürfnis nach einer Bestimmung des Bandenchefs als Mittäter statt als Anstifter sich jedenfalls nicht aufdrängt bzw. nur deshalb entsteht, weil die Bedeutung der Anstiftung durch die h.M. herabgestuft wird.[163] Vielmehr ist daran festzuhalten, dass die Gemeinschaftlichkeit des tatbestandlichen Handelns Kennzeichen des intersubjektiv-gemeinsamen Unrechtshandelns ist. Mittäterschaft erfordert danach gleichgewichtige, wechselseitig-abhängige Tatbeiträge im Ausführungsstadium.[164] Eine Organisations- und Leitungsfunktion kann daher eine mittäterschaftliche sein und wird auch im Ausführungsstadium wirksam, wenn der Leiter nicht physisch am Tatort anwesend ist, sondern die Tatausführung über ständige Fernkommunikation leitet.