Handbuch des Strafrechts

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C. Verantwortlichkeit von Verbänden im bisherigen Recht



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Auch wenn das geltende deutsche Recht keine Verbandsstrafen vorsieht, ist schon lange sichergestellt, dass auch Verbände sanktioniert

werden können. Bereits seit 1968 kann bundesweit eine

Verbandsgeldbuße

 festgesetzt werden (

Rn. 17 ff.

), die präventiven, repressiven und reparativen Zwecken dient und ein „Verbands- bzw. Unternehmensstrafrecht im weiteren Sinne“ konstituiert (

Rn. 27

). Der Grundsatz „societas delinquere non potest“ gilt daher nur noch für das Kriminalstrafrecht. Weiter lässt sich insb. mit Blick auf die

Einziehung

 feststellen, dass der Grundsatz im Kriminalstrafrecht bereits partiell durchbrochen ist. So kann mit der Einziehung von Tatprodukten, Tatmitteln und Tatobjekten (§§ 74 ff. StGB) – für die Einziehung von Taterträgen (§ 73 ff. StGB) und die Mehrerlösabführung (§ 10 Abs. 2 WiStrG 1954)

ist der Strafcharakter umstritten (

Rn. 36

,

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) – gegen Verbände schon heute z.T. eine „Nebenstrafe“ ausgesprochen werden. Insgesamt betrachtet erfüllt schon das bisherige System

die

Grundfunktionen

 eines „echten“ Verbandsstrafrechts.





I. Verbandsgeldbuße (§ 30 OWiG)






1. Entstehung, Zweck und Rechtsnatur



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Die Verbandsgeldbuße wurde im Zuge der

Großen Strafrechtsreform

 (

Rn. 11

) zum 1. Oktober 1968 in

§ 23 OWiG 1968

 geschaffen. Seit 1975 ist die Regelung in

§ 30 OWiG

 enthalten. Durch die Einführung einer allgemeinen, einheitlichen und abschließenden Regelung für die Bußgeldverantwortlichkeit juristischer Personen und Personenvereinigungen sollte die vorherige Privilegierung im Verhältnis zu natürlichen Personen beseitigt und die Abschöpfung der Vorteile, die durch Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten Verbänden zugeflossen sind, ermöglicht werden. Bereits zuvor konnten z.T. Sanktionen festgesetzt werden:



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In der

Weimarer Republik


bestand im Kartellrecht die Möglichkeit, gegen Verbände sog.

Ordnungsstrafen

 festzusetzen, die jedoch keine Kriminalstrafen waren, sondern als „wertneutral“ galten. § 17 der „Verordnung gegen Mißbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen“ vom 2. November 1923 (RGBl. I S. 1067) gestattete, ohne den Täterkreis näher zu bestimmen („wer“), die Festsetzung einer Ordnungsstrafe in unbeschränkter Höhe. 1929 entschied das Kartellgericht, dass die Vorschrift auf die Norddeutsche Cementverband GmbH Anwendung fand, da ihr Grundgedanke, die Einhaltung von Geboten und Verboten zu gewährleisten, auch auf juristische Personen zutreffe. Während des

Nationalsozialismus

, in der das Ordnungsstrafrecht zugunsten der Exekutive stark ausgeweitet wurde, um der richterlichen Kontrolle zu entgehen, drohten z.B. § 8 der Preisstrafrechtsverordnung vom 3. Juni 1939 (RGBl. I S. 999) und § 4 der Verbrauchsregelungs-Strafverordnung vom 26. November 1941 (RGBl. I S. 734) dem „Inhaber“ eines Geschäftsbetriebes, der ausdrücklich auch „eine Handelsgesellschaft, eine juristische Person oder sonstige Personenvereinigung“ sein konnte, Ordnungsgeldstrafen an.



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In der

Nachkriegszeit

 führten die Bestrebungen nach einer rechtsstaatlichen Bereinigung dazu, dass nunmehr zwischen Straftaten und

Ordnungswidrigkeiten

, die mit Geldbußen geahndet werden konnten, unterschieden wurde. §§ 23, 24 des Gesetzes zur Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts vom 26. Juli 1949 (WiStG 1949) und später § 5 des Gesetzes zur weiteren Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts vom 9. Juli 1954 (WiStG 1954) bezogen auch Verbände ein. Im Fall einer Verletzung der Aufsichtspflicht konnten Geldbußen gegen den „Inhaber“ festgesetzt werden, der eine „juristische Person“ oder „Handelsgesellschaft“ bzw. „Personengesellschaft des Handelsrechts“ sein konnte. Da das kriminalpolitische Bedürfnis für eine Sanktionierung von Unternehmen angesichts ihres wachsenden Einflusses zunahm, entstand in den Gesetzen des Bundes und der Länder eine „Flut“ von Sondervorschriften, welche die Festsetzung von Verbandsgeldbußen ermöglichten. Die dadurch entstandene Rechtslage war uneinheitlich: Z.T. stellten die Vorschriften auf eine Aufsichtspflichtverletzung ab, z.T. auf die Begehung der Tat durch Inhaber oder Organ, und in zahlreichen Gesetzen fehlten entsprechende Vorschriften vollständig.



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Bei der Schaffung der einheitlichen Regelung zur Verbandsgeldbuße war dem Gesetzgeber bewusst, dass gegen die Verurteilung von Verbänden zu Kriminalstrafen

dogmatische Bedenken

 bestanden, er war aber der Auffassung, bei einer Geldbuße würden diese Bedenken „nicht oder jedenfalls nicht in dem gleichen Maße“ gelten, da sie „kein sittliches Unwerturteil“

ausdrücke. Die Bedenken wurden durch die gewählte

materiell- und verfahrensrechtliche Lösung

 als „beseitigt“ angesehen: Zum einen wurde von einem aliud-Charakter der Verbandsgeldbuße ausgegangen, und zum anderen sollte es sich nur um eine Nebenfolge der Tat des Organs handeln, deren Festsetzung grds. in einem einheitlichen Verfahren erfolgen musste; eine selbstständige Festsetzung kam nur ausnahmsweise in Betracht (vgl. § 30 Abs. 4 OWiG a.F.). Seit der Neufassung von § 30 OWiG durch das 2. WiKG vom 15. Mai 1986 ist die Verbandsgeldbuße jedoch als

Hauptfolge

 ausgestaltet. Der Zusammenhang mit der Verfolgung des Organs wurde gelockert, da in der Praxis die Verfahren, insb. bei bedeutsameren Zuwiderhandlungen wie den Kartellordnungswidrigkeiten, vielfach von vornherein gegen den Verband gerichtet waren und von der Verfolgung des Organs abgesehen wurde.



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Dem Standpunkt des Gesetzgebers, dass die Verantwortlichkeit von Verbänden

im Ordnungswidrigkeitenrecht

dogmatisch unproblematischer

 ist, wird heute mit Recht widersprochen. Zunächst ist festzustellen, dass die bei Einführung der Verbandsgeldbuße herrschende, auf die Lehre vom Verwaltungsstrafrecht zurückgehende Auffassung, wonach zwischen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten ein

qualitativer

 Unterschied („aliud“) bestehen soll, überholt ist. Danach sollten Strafvorschriften vor allem die Rechtsgüter des Einzelnen schützen, Ordnungswidrigkeiten dagegen das Allgemeininteresse an einer funktionierenden Verwaltungstätigkeit. Hiergegen spricht jedoch, dass heute zahlreiche Ordnungswidrigkeiten (z.B. im Bereich des Straßenverkehrs) den Schutz von Individualrechtsgütern bezwecken. Daher folgert die heute h.M. (nur) einen

quantitativen

 Unterschied („plus-minus“). Dies entspricht der Sichtweise des BVerfG, wonach zum Kernbereich des Strafrechts „alle bedeutsamen Unrechtstatbestände“ gehören, während das Ordnungswidrigkeitenrecht „Fälle mit geringerem Unrechtsgehalt“ erfasst; die Geldbuße ist daher nur eine „nachdrückliche Pflichtenmahnung“, der „der Ernst staatlichen Strafens“ fehlt, während in der Kriminalstrafe „ein ehrenrühriges, autoritatives Unwerturteil“ zum Ausdruck gelangt; hierbei kann der Gesetzgeber „im Grenzbereich“ verbindlich festlegen, ob es sich um Kriminal- oder Ordnungsunrecht handelt. Mit Blick auf diese

Einschätzungsprärogative

, die dem Gesetzgeber die Entscheidung gestattet, ob Verhaltensweisen bestraft oder nur geahndet werden sollen, ist häufig von einer

gemischt qualitativ-quantitativen

 Unterscheidung die Rede.



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Weiter ist festzustellen, dass die Verbandsgeldbuße zwar nicht zum Strafrecht im engeren, kriminalstrafrechtlichen, aber zum „

Strafrecht im weiteren Sinn

“ zählt. § 30 OWiG verfolgt nach ganz h.M. – wie jede Ordnungswidrigkeit – nicht nur

reparative

, sondern auch

präventive und repressive Zwecke

. Bei Geldbußen geht es ebenfalls um eine „Bestrafung“ i.S.d. Art. 103 Abs. 2 GG, da das BVerfG darunter jede Maßnahme versteht, die eine „missbilligende hoheitliche Reaktion auf ein schuldhaftes Verhalten“ darstellt. Damit findet von Verfassungs wegen das Gesetzlichkeitsprinzip (nulla poena sine lege) Anwendung, wie § 3 OWiG einfachgesetzlich klarstellt. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG, der dem Bund für das „Strafrecht“ die Gesetzgebungskompetenz zuweist, schließt gleichfalls das Ordnungswidrigkeitenrecht ein. Und ebenso hat der EGMR bei der Beurteilung der Frage, ob eine „strafrechtliche Anklage“ i.S.v. Art. 6 EMRK vorliegt, was er gemäß den „Engel-Kriterien“ autonom feststellt (Einstufung im nationalen Recht; Natur des Tatvorwurfs; Art und Schwere der Sanktion), entschieden, dass die deutschen Ordnungswidrigkeiten einbezogen sind. Die

strafrechtlichen Prinzipien und Garantien

 gelten daher auch für Ordnungswidrigkeiten. Dementsprechend hat das BVerfG den

Schuldgrundsatz


(nulla poena sine culpa) explizit auf Ordnungswidrigkeiten angewandt.



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Dies bedeutet schließlich, dass die Verbandsgeldbuße genauso wie eine potentielle Verbandsstrafe mit den

strafrechtlichen Grundkategorien

 (

Rn. 55 ff.

) in Einklang stehen muss. Es überrascht daher nicht, dass verbreitet von einem „

Etikettenschwindel

“ die Rede ist. Soweit damit gemeint sein sollte, dass in Wahrheit eine „Strafe“ festgesetzt wird, ginge dies allerdings zu weit, da die Verbandsgeldbuße keine Kriminalstrafe ist. Soweit damit aber zum Ausdruck gebracht werden soll, dass eine Sanktion geschaffen wurde, die einer Strafe nahe kommt, also „der Sache nach“ bereits ein Verbandsstrafrecht existiert, § 30 OWiG in Zusammenschau mit §§ 9, 130 OWiG (

Rn. 31

) den „Kern eines Unternehmensstrafrechts“ bildet, ist dies nicht von der Hand zu weisen. Freilich handelt es sich (nur) um ein

Verbands- bzw. Unternehmensstrafrecht „im weiteren Sinne“

.

 





2. Voraussetzungen der Festsetzung



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Die Festsetzung einer Verbandsgeldbuße knüpft § 30 OWiG an

enge Voraussetzungen

, die der Gesetzgeber im Laufe der Zeit mehrfach erweitert

hat. Bei § 30 OWiG handelt es sich nach h.M. um eine „Zurechnungsnorm“ in dem Sinne, dass bestimmten Verbänden (

Rn. 29

) bestimmte Straftaten und Ordnungswidrigkeiten ihrer Leitungspersonen („Repräsentanten“;

Rn. 30 ff.

) zugerechnet werden.



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Sanktionsfähig

 sind nur

juristische Personen

,

nichtrechtsfähige Vereine

 und seit dem 30. August 2002

alle rechtsfähigen Personengesellschaften

 (§ 30 Abs. 1 Nr. 1–3 OWiG); zuvor waren nur Personenhandelsgesellschaften einbezogen. Erfasst sind nach h.M. auch juristische Personen des öffentlichen Rechts (z.B. Körperschaften, Anstalten), da der Wortlaut keine Einschränkung enthält, öffentliche Unternehmen in privat- oder öffentlich-rechtlicher Form betrieben werden können und eine Privilegierung unangemessen wäre. Umstritten ist, ob der „Staat“ (Bund, Länder) sanktionsfähig ist. Im Falle einer (partiellen)

Gesamtrechtsnachfolge


kann die Verbandsgeldbuße seit dem 30. Juni 2013 gegen den bzw. die Rechtsnachfolger festgesetzt werden (§ 30 Abs. 2a OWiG). Zuvor bestand eine Sanktionslücke, da eine Geldbuße wegen des Analogieverbotes (Art. 103 Abs. 2 GG) nur dann festgesetzt werden konnte, wenn zwischen der früheren und der neuen Vermögensverbindung nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise („nahezu“) Identität bestand.



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§ 30 Abs. 1 OWiG setzt die Begehung einer

Anknüpfungstat

 durch einen Menschen voraus, der als

Leitungsperson


fungiert: bei der juristischen Person das vertretungsberechtigte Organ oder ein Mitglied des Organs (Nr. 1); beim nichtrechtsfähigen Verein der Vorstand oder das Mitglied des Vorstands (Nr. 2); bei einer rechtsfähigen Personengesellschaft ein vertretungsberechtigter Gesellschafter (Nr. 3). Seit dem 1. November 1994 sind auch bestimmte gewillkürte Vertreter, nämlich Generalbevollmächtigte, in leitender Stellung tätige Prokuristen und Handlungsbevollmächtigte (Nr. 4) einbezogen, um einer Verschleierung der Verantwortung entgegenzutreten. Schließlich sind seit dem 30. August 2002 alle sonstigen Personen einbezogen, die für die Leitung verantwortlich handeln, wozu auch die Überwachung der Geschäftsführung oder die sonstige Ausübung von Kontrollbefugnissen in leitender Stellung gehört (Nr. 5). Damit wurde europäischen Vorgaben Rechnung getragen und einer Verlagerung der Verantwortlichkeit auf untergeordnete Ebenen weiter entgegengewirkt.



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Die

Straftat oder Ordnungswidrigkeit

 muss entweder Pflichten verletzt haben, welche die juristische Person oder Personenvereinigung treffen (§ 30 Abs. 1 Alt. 1 OWiG), oder diese bereichert bzw. der Täter dies beabsichtigt haben (§ 30 Abs. 1 Alt. 2 OWiG). Die

Pflichtverletzungsalternative

 bezieht nur die Verletzung betriebsbezogener Pflichten ein, also von Sonderpflichten, die speziell dem Verband obliegen, und von Allgemeinpflichten im Zusammenhang mit dem Betrieb des Verbandes. Dagegen sollen durch die

Bereicherungsalternative


unrechtmäßige Vorteile abgeschöpft werden, die dem Verband zugeflossen sind. Die Anknüpfungstat muss schuldhaft bzw. vorwerfbar begangen worden sein, da dem Verband die Schuld der natürlichen Person als eigene zugerechnet wird. Wichtigste Anknüpfungstat ist

§ 130 OWiG

, da Taten i.d.R. durch Personen unterhalb der Leitungsebene begangen werden und die Aufsichtspflicht (des Inhabers bzw. seiner Vertreter,

§ 9 OWiG

) eine betriebsbezogene Pflicht ist. Hierdurch ist der „Durchgriff“ auf den Verband möglich, wenn ein Mitarbeiter eine Tat begangen hat und die Aufsichtspflichtverletzung einer Leitungsperson i.S.v.

§ 30 OWiG

 festzustellen ist. Maßgebend ist diesbezüglich, ob die Zuwiderhandlung „durch gehörige Aufsicht verhindert oder wesentlich erschwert worden wäre“ (§ 130 Abs. 1 S. 1 OWiG). Damit wurde die sog.

Risikoerhöhungslehre

 im Ordnungswidrigkeitenrecht normiert. Wegen der engen Verzahnung von §§ 9, 30 und 130 OWiG ist von einer „Troika“ die Rede.

Sanktionslücken

 bestehen aber dann, wenn ein Mitarbeiter eine Tat begangen hat und lediglich die Aufsichtspflichtverletzung einer Person vorliegt, die

nicht zu dem herausgehobenen Kreis

 der Leitungspersonen zählt. Weiter ist es gut möglich, dass Aufsichtsmaßnahmen ergriffen werden, die nach außen hin Rechtstreue dokumentieren, im Innenverhältnis jedoch nicht ernsthaft Anwendung finden („

window-dressing

“). Schließlich sind Lücken bei der Erfassung von

Auslandstaten

 durch das Ordnungswidrigkeitenrecht denkbar, da die Anwendbarkeit des deutschen Rechts und damit die Möglichkeit zur Festsetzung einer Verbandsgeldbuße davon abhängig sein kann, dass der Verband im Ausland Leitungspersonen mit deutscher Staatsangehörigkeit einsetzt, auf deren Straftaten nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB deutsches Recht anwendbar ist.



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Bei beiden Tatalternativen ist ein

Vertretungsbezug

 erforderlich, d.h. die Leitungsperson muss „als“

vertretungsberechtigtes Organ (usw.) gehandelt haben. Auch § 14 StGB und § 9 OWiG setzen dies beim „Handeln für einen anderen“ voraus. Nach der Gesetzesbegründung wird der Täter „in aller Regel“ nicht als Vertreter tätig, wenn er „in seinem eigenen Interesse handelt“. Dementsprechend folgte die Rechtsprechung lange der Interessentheorie, wonach der Vertretungsbezug besteht, wenn der Täter bei wirtschaftlicher Betrachtung „wenigstens auch“ im Interesse des Vertretenen handelt, nicht aber, wenn er ausschließlich eigennützig tätig ist. Diese Differenzierung führte jedoch „zu einer dem Schutzzweck zuwiderlaufenden Zurückdrängung der Delikte des Insolvenzstrafrechts“ und war bei Fahrlässigkeitsdelikten nicht durchführbar. Im Schrifttum setzte sich deshalb eine Funktionstheorie durch, wonach der Täter rechtliche oder tatsächliche Wirkungsmöglichkeiten genutzt haben muss, die sich aus seiner Stellung ergeben. Mittlerweile hat der BGH die Interessenformel aufgegeben und fordert ein Tätigwerden „im Geschäftskreis des Vertretenen“ (

Geschäftskreistheorie

), nicht bloß „bei Gelegenheit“.






3. Bußgeldrahmen und Bußgeldzumessung



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Der

Bußgeldrahmen

 richtet sich nach der Anknüpfungstat. Bei einer

Straftat

 beträgt das Höchstmaß der Verbandsgeldbuße seit dem 30. Juni 2013 bei vorsätzlicher Begehung 10 Mio. Euro, bei fahrlässiger Begehung 5 Mio. Euro (§ 30 Abs. 2 S. 1 OWiG). Die vorherigen Höchstbeträge wurden verzehnfacht, da der Bußgeldrahmen nicht mehr ausreichend erschien und es bei hohen wirtschaftlichen Vorteilen dazu kommen konnte, dass „ein unverhältnismäßig hoher Anteil“ ausschließlich der Abschöpfung diente. Bildet eine

Ordnungswidrigkeit


die Anknüpfungstat, ist dagegen das für die Ordnungswidrigkeit angedrohte Höchstmaß maßgebend (§ 30 Abs. 2 S. 2 OWiG), wobei fahrlässiges Handeln i.d.R. ebenfalls nur mit der Hälfte des angedrohten Höchstbetrages geahndet werden kann (vgl. § 17 Abs. 2 OWiG). Auch hier verzehnfacht sich seit dem 30. Juni 2013 das Höchstmaß gemäß § 30 Abs. 2 S. 3 OWiG, wenn das Gesetz auf diese Vorschrift verweist. Im Blick hatte der Gesetzgeber insb. vorsätzliche Aufsichtspflichtverletzungen nach § 130 OWiG, weshalb er gleich eine entsprechende Verweisung (§ 130 Abs. 3 S. 2 OWiG) einfügte. Denn im Jahr 2008 war zwar im Siemens-Korruptionsskandal eine Verbandsgeldbuße von 395 Mio. Euro verhängt worden, hierbei dienten aber nur 250 000 Euro (0,06 %) der Ahndung der Aufsichtspflichtverletzung des Gesamtvorstandes, der Rest bezweckte die Abschöpfung unrechtmäßig erlangter Vorteile. Allerdings konnte auch die Verzehnfachung der Höchstbeträge – jedenfalls im Hinblick auf Großkonzerne – den Ahndungsanteil (

Rn. 34

) kaum erhöhen. So wurde im VW-Abgasskandal im Juni 2018 eine Geldbuße von 1 Mrd. Euro festgesetzt, wovon der Ahndung der fahrlässigen Aufsichtspflichtverletzung der Höchstbetrag von 5 Mio. Euro (0,5 %) diente; der Rest bezweckte die Abschöpfung.



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Die

Zumessung

 der Verbandsgeldbuße

bestimmt sich nach h.M. – trotz fehlender Verweisung – nach § 17 Abs. 3 OWiG. Grundlage ist daher die

Bedeutung

 der Anknüpfungstat für den Verband und der

Vorwurf

, der den Täter der Anknüpfungstat trifft und dem Verband zugerechne