Seewölfe - Piraten der Weltmeere 143

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 143
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-467-8

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1.

Kapitel 2.

Kapitel 3.

Kapitel 4.

Kapitel 5.

Kapitel 6.

Kapitel 7.

Kapitel 8.

Kapitel 9.

Kapitel 10.

1.

Der Sturmwind, auflandig und von staubfeinem Nieselregen begleitet, grub sich in Pinho Brancates Bartgeflecht und zerrte daran. Er schien diesem rauschenden Vollbart und dem ganzen wuchtigen Mann mit den breiten Schultern den Kampf angesagt zu haben. Der aber ließ sich nicht umwerfen, nicht einmal aus dem Gleichgewicht bringen. Wie eine aus dem Gestein der wilden Küstenlandschaft gehauene Statue stand Pinho da, breitbeinig und mit vor der Brust verschränkten Armen.

Unbewegt war seine Miene, und er schien sich der Anwesenheit seiner Frau Emilia nicht bewußt zu sein. Sie hatte neben ihm auf den schroffen Klippfelsen verharrt. Der Wind heulte und zerzauste ihre schwarzen Haare.

Schweigend blickten sie eine Weile auf den schäumenden Atlantik. Das Bild der aufsteigenden und gischtend gegen die Felsen anspringenden Wogen drohte jede Minute in der herabsinkenden Dunkelheit zu verschwinden.

Jenen schwärzlichen Widerstand draußen im Wasser, nur eine Viertelmeile von der Küste entfernt, der für die Brancates von so großer Bedeutung war, konnte man bereits nicht mehr erkennen.

Ohne den Kopf zu wenden sagte Pinho Brancate: „Wenn der Wind in dieser Nacht auch nur ein einziges Schiff weit genug auf Legerwall drückt, gibt es endlich wieder Arbeit für uns.“

„Es wird höchste Zeit“, entgegnete Emilia, eine verblühte herbe Schönheit aus der Serra da Guardunha, mit Würde. „Unsere Vorräte sind fast aufgebraucht, und in dem ausgehöhlten Ziegelstein, den wir als Versteck für unsere bescheidenen Besitztümer benutzen, befindet sich kein einziger Piaster mehr.“

„Das Riff läßt uns nicht im Stich, Emilia.“

„Die hungrigen Mägen wollen zu essen haben.“

„Laß mich nur machen“, erwiderte der große, bärenstarke Mann. „Mich und meine beiden Söhne.“

„Gott schicke uns ein Schiff“, äußerte Emilia ihren frommsten Wunsch.

„Dessen Mannschaft wir retten können“, murmelte Pinho, und seine Frau fügte sofort hinzu: „Dessen Ladung wir bergen können.“

Der Sturmwind dauerte an, nahm an Stärke zu und beugte die Wipfel der Pinien und Zypressen, die weiter landeinwärts standen. Pinho Brancate schritt aufrecht von den Klippfelsen zu dem eine halbe Meile entfernt stehenden Steinhaus zurück. Seine Frau hielt sich an seinem Arm fest, um nicht doch noch umgerissen zu werden. Pinho sah zu dem einsamen Licht, das nun in der Dunkelheit erschien und ihnen den Weg nach Hause wies.

Dort, in dem roh aus Granitgestein und primitiven Schindeln zusammengefügten Haus, erwartete sie der Rest der Familie. Charutao, mit seinen vierundzwanzig Jahren der älteste Sohn Pinhos und Emilias. Iporá, der nur ein Jahr jünger war als sein Bruder. Die Mädchen Josea, zwanzig Jahre, Segura, siebzehn, sowie die dreizehnjährige Franca. Schließlich noch die Abuela, die Großmutter, wie alle sie nannten – Pinhos Mutter, von der keiner mehr genau wußte, wie alt sie wirklich war.

Pinho dachte an seine große Familie und sagte: „Die ganze Nacht über werden wir auf dem Posten sein, Emilia.“

„Ja, dies ist eine zu wichtige Nacht für uns. Keiner von uns kann es sich erlauben, die Zeit mit Schlafen zu vergeuden.“

„Auch die Mädchen erhalten ihre Aufgabe.“

„Vergiß nicht die kleine Bucht im Süden, Pinho.“

„Segura und Franca sollen dort Wache halten“, beschloß Pinho Brancate, der bei sich zu Hause uneingeschränkte Befehlsgewalt genoß wie ein Kapitän an Bord eines Segelschiffes. „Falls irgendein Fahrzeug in die Bucht verholt, melden sie es uns – und wir sehen dann zu, daß wir das Beste für uns herausholen.“

Sie sahen sich an. Pinho schnitt eine Grimasse, zog dann die ziemlich füllige Frau mit den kräftigen Hüften zu sich heran und hob sie ein Stück hoch. Emilia strampelte mit den Beinen. Er ließ sie wieder zu Boden, sie lachten beide und legten schneller schreitend das letzte Stück Weg zurück, das sie noch von dem Haus trennte.

Jeder Fremde mußte bei seiner Ankunft vor dem Haus bestätigen, daß es weitaus größer war, als man von weitem den Eindruck hatte. Es konnte noch viel mehr Menschen ein Dach über dem Kopf bieten als denen, die bereits darin wohnten.

Und so unterhielt Pinho Brancate sein Heim als eine Art Herberge in einem Landstrich einer der ungastlichsten Gegenden Portugals, die nur selten von einem Reiter oder Wanderer besucht wurde. Hätte Pinhos die Seinen in dieser Umwelt tatsächlich unterhalten sollen, so wäre die ganze Familie inzwischen längst eines bitteren Hungertodes gestorben.

Die niedrige Eingangstür knarrte leicht in ihren eisernen Angeln, als sie von innen geöffnet wurde.

Die Gestalt eines schlanken, von einer durchaus nicht geizigen Natur reif ausgestatteten Mädchens erschien vor dem Licht, das im Inneren des Hauses flackerte.

„Josea!“ rief Pinho Brancate. „Wir sind wieder da!“

„Ist es schon soweit?“ fragte das Mädchen.

„Nein, aber mit ein wenig Glück kriegen wir heute nacht noch alle Hände voll zu tun“, sagte Emilia zuversichtlich.

Nordwärts segelte der stattliche Fünferverband portugiesischer und spanischer Schiffe, der an diesem Abend die Felsenküste passierte. Er bestand aus einer Viermast-Galeone, zwei Galeonen mit je drei Masten und zwei lateinergetakelten Karavellen, die jeweils zwei Masten führten: „Candia“, „Sao Sirio“, „Sao Joao“, „Extremadura“ und „Santa Angela“.

Nordwärts segelte die „Candia“ schon seit geraumer Zeit, denn sie hatte in der Walfischbucht im fernen Südafrika den Kommandanten Lucio do Velho und dessen Bootsmann Ignazio, der aus Porto gebürtig war, aufgelesen.

Kurs nach Lissabon hatte die stattliche Viermast-Galeone seither eingeschlagen. Do Velho hatte das Schiff, das man ihm in Manila übergeben hatte, ohne Rücksicht auf Verluste vorangetrieben und keine zeitraubenden Reisepausen eingelegt.

Das Ergebnis war gewesen, daß ein Teil der Mannschaft vom Skorbut dahingerafft worden war. Do Velho war der Ansicht, daß ein solches Opfer selbstverständlich war – falls es nicht auf seine ganz persönlichen Kosten ging.

Er selbst war ja dem Tod mit knapper Not entronnen, ebenso Ignazio – beide waren dem Teufel sozusagen von der Schippe gesprungen. Es war ein regelrechtes Wunder, daß sie ausgerechnet im Land der Buschmänner doch noch mit heiler Haut davongekommen waren.

Entsprechend hatten sich die hochdekorierten Almirantes und Comodoros ausgedrückt, denen Lucio do Velho in Lissabon seinen Bericht erstattet hatte. Do Velho war nun ein „Milagrolado“, ein vom Wunder Heimgesuchter.

Ignazio wurde dieser Ruhm nicht zuteil, denn do Velho hatte rechtzeitig darauf hingewiesen, daß der etwas einfältige Mann natürlich nur noch am Leben war, weil er, do Velho, sich für ihn eingesetzt hatte. Die Realität sah etwas anders aus. Aber die lag weit hinter ihnen im tiefsten Afrika.

Die hohe Admiralität konnte do Velho nachempfinden, was er durchgestanden hatte, als er diesen verfluchten Engländer Philip Hasard Killigrew gehetzt hatte. Anschaulich hatte do Velho, der ein geborener Mime war, dargestellt, daß er den Seewolf schon in der Bengkalis-Bucht hätte stellen und vernichten können – wenn nicht ein unvorhersehbarer Fall „höherer Gewalt“ eingetreten wäre.

Und so war es dann immer wieder ein böser Zufall, ein peinliches Zusammentreffen von Unglück und Naturereignissen gewesen, das Lucio do Velho den Triumph vorenthalten hatte.

Rügen konnte und wollte man diesen Kommandanten in Lissabon nicht, danach stand niemand der Sinn. Zu frisch war die Niederlage, die das spanisch-portugiesische Königreich im allgemeinen und die Armada im besonderen erlitten hatte – der Überfall Admiral Drakes auf Cadiz.

Nach einem solchen Schlag der Engländer konnte nicht einmal König Philipp II. persönlich einem do Velho vorwerfen, er sei ein Versager. Seine Allerkatholischste Majestät konnte im Augenblick nur gereizt in den dunklen Sälen des Escorial auf und ab wandern und auf Vergeltung sinnen.

Wie aber sollte er sich rächen, wenn seine glorreiche und unüberwindliche Armada durch Drakes Raid in Cádiz so empfindlich getroffen worden war?

Erschüttert hatte Lucio do Velho in Lissabon den Bericht einiger Augenzeugen vernommen. Laut zu wettern hatte er begonnen, als er gehört hatte, daß auch ein Schiff an Drakes Seite gewesen sei, das er anhand der Beschreibungen nur allzu gut wiedererkannte: die „Isabella VIII.“. Zornig hatte do Velho seinen Vorgesetzten Aufschluß darüber gegeben, wer der Kapitän und die Mannschaft dieses „Teufelsschiffes“ war und daß es auf der Welt nur eine große, schnittige Galeone mit so hohen Masten und einer so tolldreisten Crew gäbe.

 

Nichts hatte do Velho halten können.

Er hatte beantragt, daß alle verfügbaren Kriegsschiffe im Hafen von Lissabon seinem Kommando unterstellt wurden und er Jagd auf den englischen Bastard, den Todfeind, machen durfte – und dies hatte man ihm auch bewilligt. Mehr als die portugiesischen Galeonen „Sao Sirio“ und „Sao Joao“ sowie die spanischen Karavellen „Extremadura“ und „Santa Angela“ hatte man ihm an Schiffsmaterial für die Zusammenstellung eines Verbandes jedoch nicht bewilligen wollen, da der Hafen und die Stadt Lissabon nicht ungeschützt bleiben durften.

Verbissen führte do Velho seinen neuen Verband nach Norden.

Juni war es geworden, aber Lucio do Velho hoffte, wenigstens den Seewolf auf der Heimreise nach England noch zu stellen und vor die Kanonen fordern zu können.

Alle Ermahnungen der Almirantes und der Comodoros, der Feind sei zu stark, hatten do Velho nicht von seinem Vorhaben abhalten können.

„Der Seewolf ist ein Einzelgänger“, sagte do Velho an diesem Abend, bevor ihn die bedenkliche Entwicklung des Wetters an Oberdeck rief. „Wenn man den Schilderungen recht geben darf, die wir in Lissabon vernommen haben, hat Killigrew zwar Seite an Seite mit Francis Drake, dieser Kanaille, gefochten. Aber wie ich Killigrew kenne, hat er sich inzwischen wieder von Drake getrennt und ist allein unterwegs.“ Ober das Pult in der schwankenden Kapitänskammer der „Candia“ hinweg blickte er Ignazio an, den er zu einer kurzen Lagebesprechung herbeigeordert hatte. „Glaubst du etwa, ich wüßte nicht, wie dieser tollwütige Lobo del Mar sich verhält?“

„Senor Comandante“, beeilte sich Ignazio zu sagen. „Keiner kann ihn besser einschätzen als Sie.“

„Ich will ihn einholen.“

„Sie schaffen es, Comandante!“

„Ignazio, das sagst du nur, weil du keine eigene Meinung hast“, sagte der eitle Portugiese verächtlich. „Du läßt den Dingen ihren Lauf und harrst der Dinge, die da kommen – im Guten wie im Argen. Was für ein hirnloser Einfaltspinsel du doch bist. Was wärest du ohne mich?“

„Nichts, Senor Comandante“, erwiderte Ignazio pflichtschuldigst, während er sich in der immer bedrohlicher schwankenden Kammer an einem der Schapps festhielt.

„Ohne mich wärst du verloren.“

„Aber immerhin habe ich es zum Bootsmann gebracht!“ rief Ignazio gegen das Sturmbrausen an, das von außen hereindrang.

„Weil ich dich dazu ernannt habe!“

„Si, Senor!“

„Allein bist du eine Null, Ignazio, und vergiß nicht, daß ich dich immer noch wieder degradieren kann!“ Do Velho brüllte es fast, er redete sich in Eifer und Zorn. Er brauchte einen Ausgleich für sein gestörtes seelisches Gleichgewicht, und immer wieder mußte der bullige Mann aus Porto für de Velho als Prügelknabe herhalten.

„Aber Senor“, sagte Ignazio. „Wenn es erforderlich ist, kann ich mächtig dreinschlagen und schwer aufräumen. Ich will mich bewähren, ich warte nur auf die Gelegenheit dazu.“

Do Velho ging die untertänige Verhaltensweise des Bootsmanns auf die Nerven, obwohl er gleichzeitig genau wußte, daß es seine Schuld war, wenn Ignazio sich derart unterwürfig benahm.

Mühsam beherrscht erwiderte do Velho: „An Bord der ‚Isabella‘ hättest du richtig dreinschlagen sollen. Da hättest du dich bewähren können – als die ‚Santa Monica‘ uns angriff und die Seewölfe die Chance nutzten.“

Ignazio schwieg. Senor Comandante, warum schmieren Sie mir das immer wieder aufs Brot, hätte er gern gesagt, aber er hütete sich, es auszusprechen, denn Lucio do Velho hätte nicht gezögert, ihn für eine so aggressive Frage zu bestrafen.

Der Westsüdwest-Wind raste pfeifend gegen die „Candia“ und die anderen Schiffe des Verbandes an. Weit krängte die Viermast-Galeone nach Steuerbord. In do Velhos Kammer purzelten zusammengerollte Karten und einige andere Utensilien vom Pult.

Iganzio taumelte durch den schräggestellten Raum, dessen Fußboden ein stark abschüssiger Hang geworden war. Er fiel, rappelte sich wieder auf und versuchte, do Velhos Karten und Gerätschaften aufzulesen. Doch die Tücke des Objekts siegte. Immer wenn der Bootsmann zugreifen wollte, kollerten die Gegenstände ein Stück weiter.

Ignazio kroch auf allen vieren durch die Kapitänskammer.

Do Velhos barsche Stimme stoppte ihn. „Hör auf! Wir haben Wichtigeres zu tun. Unsere Anwesenheit an Oberdeck ist nötig, wir müssen zusehen, daß wir Sturmsegel setzen, Manntaue spannen, die Luken und Schotten verschalken, Kurs halten und nicht zu nah unter Land geraten. Steh gefälligst auf und begleite mich, Ignazio!“

Der Mann aus Porto hielt inne und schaute auf.

Ihre Blicke trafen sich.

„Sieh mich nicht so dämlich an!“ rief Lucio do Velho aufgebracht. „Ich weiß, was du sagen willst – daß es besser wäre, bei dieser Windstärke und diesem Seegang eine geschützte Bucht anzulaufen und das Abklingen des Sturmes abzuwarten. Aber daraus wird nichts! Wir reiten den Sturm ab, koste es, was es wolle!“

Ignazio erhob sich und folgte seinem Comandante wankenden Ganges durchs Achterkastell der „Candia“ zum nächsten Schott. Er wußte, daß es keinen Zweck hatte, irgendwelche Einwände zu erheben. Do Velho ließ sich nicht beirren oder von seinen Plänen abbringen. Nordwärts führte sein Weg, immer weiter nordwärts, und er ließ sich nicht durch einen läppischen Sturm aufhalten.

Zu groß war sein Haß auf Philip Hasard Killigrew, zu groß sein Verlangen, Spaniens Todfeind endlich zur Strecke zu bringen.

Er erreichte das Schott zur Kuhl und öffnete den Auslaß. Regen peitschte Lucio do Velho ins Gesicht. Er hielt sich mit beiden Händen fest und brüllte seine Befehle.

Zu diesem Zeitpunkt trieb der Verband bereits auseinander. Wenig später verloren sowohl die zwei Dreimast-Galeonen als auch die beiden Zweimast-Karavellen jeglichen Kontakt zu ihrem Flaggschiff „Candia“. Und auch untereinander wurden sie weit auseinandergerissen.

Jeder war seinem Schicksal ausgeliefert.

Das, was man in Regen und hereinbrechender Dunkelheit noch von der Felsenküste erkennen konnte, schien vor dem Bug der „Isabella VIII.“ wild auf und ab zu tanzen. Für einen Moment gab Hasard sich der Illusion hin, die Dimensionen und Elemente wären durcheinandergeraten und die Rollen anders verteilt. Die „Isabella“ lag als ruhender Pol unbewegt in der See, während die Wogen ganz Iberien hochhoben und durchschüttelten.

„Schön wär’s“, sagte der Seewolf. „Aber leider doch zu schön, um wahr zu sein.“ Er stand auf der Back seines Schiffes und hielt sich an den Fockwanten fest. Der Sturmwind drückte die Galeone genau auf die Küste zu. Nur noch das Großsegel war gesetzt, aber auch das schien zuviel zu sein.

Smoky, der Decksälteste, war neben seinen Kapitän getreten. Auch er klammerte sich an den Wanten fest, kniff die Augen zusammen und fragte: „Was hast du gesagt? Ist was nicht in Ordnung?“

„Ich habe nur laut gedacht, Smoky. Es wäre großartig, wenn man Spanien und Portugal zusammen aus den Angeln heben könnte.“

„Aye, Sir, aber ohne auf Grund zu laufen!“

„Würdest du lieber durch den Sturm segeln?“

„Das nicht. Bill hat die kleine Bucht in der Dämmerung gerade noch erkannt – und sie kommt uns wie gerufen“, antwortete Smoky. „Nur wär’s mir lieber gewesen, wir hätten die Wassertiefe ausloten können!“

„Du kannst es ja mal versuchen“, schrie Old Donegal Daniel O’Flynn, der sich an sie herangearbeitet hatte und so verstehen konnte, was sie sprachen. „Sobald du dich über die Galion hinausbeugst, steigt die Seehexe aus den Fluten auf und reißt dir was ab, Smoky!“

„Mann – rutsch mir doch den Bukkel runter“, knurrte Smoky.

Hasard drehte sich zu den beiden um. „Wir haben auflaufendes Wasser, und daher hoffe ich, daß wir mit Riffs und anderen Untiefen keine Scherereien kriegen. Möge der Herrgott unser Stoßgebet erhören! Im Moment macht mir nur eines Sorgen. Wir haben zuviel Fahrt drauf.“ Er blickte nach achtern und schrie: „Ed, he, Ed! Profos!“

„Sir?“ dröhnte das mächtige Organ Edwin Carberrys durch das Sturmtoben. „Hier bin ich!“

„Das Großsegel wegnehmen, Ed!“

„Geit auf das Großsegel!“ brüllte der Profos. „Los, weg mit dem Fetzen! Sitzt ihr auf euren Ohren, ihr triefäugigen Kakerlaken? Oder habt ihr Bohnen darin stecken? Hopp, hopp, willig, willig, schneller, schneller, ihr Satansbraten, oder ich bringe euch auf Trab. He, Matt Davies, hast du Schlick auf den Augen? Hölle, der Himmelhund sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht, dabei baumelt das Fall genau vor seinen Schielaugen herum. Kutscher, du fällst noch über deine eigenen Füße, wenn du nicht aufpaßt, wohin du trittst! He, Sir John, du Geier, wenn ich dich zu fassen kriege! Wer hat dir die Erlaubnis gegeben, hier rumzuflattern?“

Es war die altbekannte Musik, aber eigentlich waren die Männer der „Isabella“ recht froh darüber, ihren Profos mitten im Sturm so angeregt brüllen und fluchen zu hören. Wenn Carberry nämlich nicht mehr lärmte, war die Lage wirklich ernst, oder, anders ausgedrückt: Solange er brüllte, waren er und die Crew gesund, und längst nicht alle Zeichen standen auf Sturm.

So herrschte bei Hasards Männern Zuversicht. Die „Isabella“ war eine „mit Schätzen bis zur Halskrause vollgestopfte Lady“, wie Ferris Tukker zu sagen pflegte, sie hatte beachtlichen Tiefgang, aber trotzdem, man würde es schon schaffen, die „verdammte Bucht“ anzulaufen.

Carberry stieß einen beruhigten, grunzenden Laut aus, als das Großsegel im Gei hing. Der Wind aus Westsüdwest bauschte jetzt nur noch die Blinde unter dem Bugspriet. Die „Isabella“ lief allmählich langsamer, hatte aber immer noch genügend Geschwindigkeit, um bis in die Bucht zu laufen, die man jetzt mehr ahnen als sehen konnte.

Carberrys linke Hand löste sich vom Manntau und schoß hoch. Sie unterbrach Sir Johns Flugbahn. Der karmesinrote Aracanga krächzte und kreischte erbost, aber alles Geplärr und Flügelschlagen nutzte ihm nichts. Carberry war unerbittlich. Er stopfte sich den Papagei ins Wams und sagte: „So, und da bleibst du jetzt, bis du keinen anderslautenden Befehl erhältst, du Nebelkrähe. In dem Scheißwind könnten wir dich leicht verlieren, und was tun wir dann, he?“

Darauf wußte Sir John selbstverständlich keine Antwort zu geben. Er lugte aus des Profos’ Wamsausschnitt hervor, hütete sich aber, noch weiter hervorzukrabbeln, weil er wußte, daß der Profos dann wirklich rabiat wurde.

Carberry hielt nach allen Seiten Ausschau. Sollten sich Philip und Hasard, diese Lümmel, erdreisten, ihre naseweisen Gesichter aus einer Luke oder einem Schott hervorzustrecken, würde er ihnen gehörig den Marsch blasen.

Aber die Söhne des Seewolfes zeigten sich nicht. Sie blieben unter Deck – im Mannschaftslogis, das bei Sturm und Gefecht zu ihrem Refugium geworden war. Kinder vergaßen schnell, aber die Erinnerung an das, was nördlich von Tanger in der Straße von Gibraltar geschehen war, schien unauslöschlich in den beiden Siebenjährigen zu sein. Einer von ihnen war über Bord gegangen, und der Seewolf hatte ihn nur knapp vor dem Ertrinken retten können.

Einer der beiden, aber, Teufel auch, welcher war es gewesen? Philip oder Hasard? Carberry stieß einen ellenlangen Fluch aus. Hol’s der Henker, er hatte es immer noch nicht gelernt, die Zwillinge auseinanderzuhalten. Sie ähnelten sich wie ein Ei dem anderen. Und man konnte schließlich nicht ständig nach den Haifisch-Symbolen suchen, die Keymis, dieser Schurke, seinerzeit auf ihre Schulterblätter hatte tätowieren lassen.

Der Profos lenkte seine Gedanken in andere Bahnen. Er legte den Kopf in den Nacken und spähte zum Großmars hinauf.

„Bill!“ brüllte er. „Bursche, bist du noch da, oder hat es dich von deinem Posten gerissen?“

„Alles in Ordnung, Mister Carberry“, antwortete Bill, der Schiffsjunge und Ausguck der „Isabella“, von seinem luftigen Standort.

„Kannst du die Bucht noch sehen?“

„Nein, Sir.“

„So ein Mist“, sagte der Profos. „Dann müssen wir uns jetzt doch in die Bucht hineintasten wie blinde Seehunde.“

„Ja“, sagte Matt Davies, der sich gerade in seiner Nähe befand. „Nach dem Leitsatz: Wenn es bummst, noch einen Yard.“

„Der Teufel soll dich und deine blöden Sprüche holen, Davies!“ rief Carberry in den Sturm.

„Das mußt du auch gerade sagen, Profos“, erwiderte Matt. Er sagte es aber nur halblaut, so daß Carberry ihn nicht verstehen konnte. Das war gut so, denn Ed Carberry als der Zuchtmeister und Hüter der Borddisziplin konnte fuchsteufelswild werden, wenn man ihm Kontra gab.

 

Ben Brighton hatte sich zu Hasard, Smoky und Old O’Flynn auf die Back gesellt. Angestrengt blickten die Männer voraus, und immer wieder gab der Seewolf Anweisungen nach achtern.

Rudergänger Pete Ballie tat sein Mögliches, um die „Isabella“ sicher in die Felsenbucht zu dirigieren. Der Schweiß der Anstrengung lief ihm übers Gesicht. In diesen Minuten hing alles von ihm ab.

Endlich rauschte das Schiff durch die Einfahrt der Bucht, die sich nun doch als breiter erwies, als die zweiundzwanzig Männer anfänglich angenommen hatten.

Mit dem letzten achterlichen Schub, den die „Isabella“ durch den Sturmwind erhielt, drehte Pete Ballie bei, ohne Gefahr zu laufen, daß das Schiff querschlug – bis auf die Blinde hingen ja sämtliche Segel im Gei.

Hasards Befehle tönten durch die Dunkelheit. Der Anker klatschte ins Wasser und sank tief, bis er Grund fand. „Hurra!“ rief Bill aus dem Großmars. „Wir haben es geschafft!“

Hasard lächelte seiner Crew zu. Er winkte den Kutscher heran und sagte: „Ich spendiere eine Ration Whisky für die gesamte Mannschaft. Laß die Kerle aber nicht zu tief in die Flasche gucken. Wir befinden uns immerhin in feindlichem Gebiet und müssen heute nacht Posten aufstellen, die in der Lage sind, anrückende Dons rechtzeitig zu erkennen.“

„Aye, Sir.“

„Ich rechne bei diesem Wetter mit keinem Angriff von Land her“, sagte der Seewolf. „Aber man muß trotzdem immer auf alles gefaßt sein.“

Er ahnte nicht, wie knapp sie dem Unheil schon entronnen waren. Keine Meile weiter nördlich erstreckte sich das gefährliche Riff, das schon manchem Schiff, das sich zu dicht unter Land gewagt hatte, zum Verhängnis geworden war. Auf die scharfkantigen Unterwasserfelsen zu laufen, wäre auf jeden Fall ein größeres Verhängnis gewesen als eine Auseinandersetzung mit den Spaniern oder Portugiesen.

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