Seewölfe - Piraten der Weltmeere 527

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 527
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Impressum

© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-935-2

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Roy Palmer

Schergen des Kaisers

Während die Mannschaft Brandsätze besorgt, geht’s für die Schiffswache der „St. Barbara“ ums Überleben …

Kim Il Loo sah, daß sich seine kleine Dschunke kaum noch vorwärts bewegte. Er gab seinen Männern ein Handzeichen. Sie lachten, geiten die Mattensegel auf und begannen, die im Wasser hängenden Taue Hand über Hand binnenbords zu holen.

Das prall gefüllte Fischernetz hob sich aus der See. Grölend hievten die Chinesen es hoch. Kim Il Loo öffnete es, und platschend ergoß sich eine Flut von zappelnden Fischleibern auf das Deck. Die Männer johlten und pfiffen und stießen sich mit den Ellenbogen an. Ein guter Fang – es hatte sich wirklich gelohnt.

Umber und Oraden, Barsche und Seeaale, Garnelen und Tintenfische – es war alles vorhanden, was das Herz begehrte. Kim, der kleine, hagere Kapitän des Schiffes, atmete erleichtert auf. Endlich, nach einer ziemlich langen Wartezeit, hatten die Fischer von Zhelin wieder auslaufen können. Müßiggang und zähes Ausharren waren vergessen.

Dank dieser Ausbeute würden die Familien wieder genug zu essen haben. Von dem Fisch, den man verkaufte, würde man einige Wochen leben können. Kim wußte schon jetzt, daß er einen guten Erlös dafür erzielen würde …

Die Hauptpersonen des Romans:

Kim Il Loo – Der Fischer von Zhelin macht mit seinen Kameraden einen guten Fang, aber Soldaten des Kaisers beschlagnahmen die Hälfte der Beute.

Zen Bot – Genannt „die Schlange“, geht mit fünf anderen Kerlen auf Raubzüge und hält die „Santa Barbara“ für einen besonders fetten Happen.

Philip Hasard Killigrew – Der Seewolf läßt sich mit einem Trupp Arwenacks in die Stadt Shanghai einschmuggeln und gerät in Teufels Küche.

Ben Brighton – Der Erste Offizier der „Santa Barbara“ muß sich etwas einfallen lassen, wenn er die Kameraden befreien will.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

1.

Stürme hatten das Ostchinesische und das Gelbe Meer in den vergangenen Tagen zum Kochen gebracht. Kim nahm an, daß es auch weiter südlich nicht anders gewesen war. Die Fischer waren zum Nichtstun verurteilt gewesen. Anschließend hatte es einige Tage Flaute gegeben. Kim Il Loo und seine Mannen waren wie die anderen Fischer zwar mit Sampans hinausgewriggt, doch so dicht unter Land war der Fang höchst erbärmlich ausgefallen.

Jetzt war die Welt wieder in Ordnung. Kim holte zur Feier des Tages einen Krug Reisschnaps und prostete seinen Männern zu. Er nahm den ersten Schluck, dann ließ er die anderen trinken. Die kleine Mannschaft war ausgelassen wie selten. Besser hätte die Laune an Bord der Dschunke nicht sein können.

Kim und seine Kameraden begannen, die Fischbeute zu verstauen. Die Luke wurde aufgerissen. Mit hölzernen Rechen schoben die Männer das zappelnde Gut in den Laderaum. An Land würden die Fische von den Frauen und Kindern ausgenommen werden. Die Garnelen, Tintenfische und Langusten würden zum Teil sogleich in kochendes Wasser geworfen werden.

Die Chinesen waren derart beschäftigt, daß sie kaum noch auf das achteten, was um sie herum vorging. Der Mann, der eigentlich als Ausguck eingesetzt war, packte mit bloßen Händen zu und beförderte ein paar große Barsche und Oraden in die offene Luke. Es waren Fische, die sich verzweifelt aufbäumten und versuchten, durch die Speigatten ins Wasser zurückzugelangen.

Schließlich war es Kim selbst, der sich aufrichtete. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dann warf er einen prüfenden Blick zur Kimm. Und plötzlich sichtete er das große Schiff, das sich ihnen näherte.

„Achtung“, sagte Kim Il Loo. „Dschunke von Backbord!“

Sofort waren die Männer alarmiert. Sie wischten noch die letzten Fische in den Laderaum unter dem Hauptdeck, dann rammten sie die Luke wieder zu und hasteten ans Schanzkleid. Aus schmalen Augen spähten sie zu der fremden Dschunke.

„Piraten“, sagte Pan Pai, Kims bester Freund.

„Warte ab“, erwiderte Kim. „Da bin ich noch nicht sicher.“

„Sie werden schon sehen, daß es bei uns nichts zu holen gibt!“ rief ein anderer Fischer.

Kim ließ vorsichtshalber die armbrustähnlichen Waffen holen, mit denen man sich hin und wieder gegen Küstengesindel zur Wehr setzte. Wenn sich die Kerle an Bord der großen Dschunke einbildeten, Kims Schiff überfallen zu können, würden sie eine herbe Überraschung erleben. Allzu leicht ließen sich die Fischer nicht überrumpeln. Sie waren zähe Kerle und mutige Kämpfer.

Und Brandsätze hatten sie auch. Es waren nicht viele, aber Kim Il Loo war sehr stolz darauf, diese Feuerbäume, Flammenblumen und Pfirsichblüten zu besitzen, wie sie im Reich der Mitte genannt wurden.

Es handelte sich um Raketen, die von einem Spezialisten, einem Meister seines Faches, angefertigt worden waren. Zündete man sie, und sie flogen dem Gegner heulend und jaulend um die Ohren, dann verging diesem im wahrsten Sinne des Wortes das Hören und Sehen.

Pan Pai holte fünf von den Brandsätzen an Deck, und Kim legte sie mit aller Sorgfalt am Schanzkleid bereit. Auch ließ er dafür sorgen, daß genug Holzkohlenglut für das Entfachen der Lunten vorhanden war.

Mit gemischten Gefühlen warteten die Fischer das Heransegeln der großen Dschunke ab. Kim nahm ein Spektiv zu Hilfe, um Genaueres erkennen zu können. Bald ließ er das Rohr sinken und schaute seine Kameraden betroffen an.

„Schlimmer als Piraten“, sagte er. „Das sind Soldaten des Großen Chan. Ich kann ihre Helme und Panzer sehen.“

„Zur Hölle mit ihnen“, sagte Pan. „Zerspringen sollen sie. Der Schwarze Tod soll sie zerfressen und hinwegraffen wie die Ratten.“

„Deine Wünsche werden nicht in Erfüllung gehen“, entgegnete sein Kapitän.

„Was wollen die hier?“ fragte einer der Fischer.

„Das weiß nur der Himmel“, antwortete Kim. „Wir müssen uns überraschen lassen.“

„Warum hauen wir nicht einfach ab?“ fragte Pan.

„Das weißt du so gut wie ich“, erwiderte sein Freund. „Erstens haben wir nichts zu verbergen. Wenn wir Reißaus vor dem Schiff des Kaisers nehmen, belasten wir uns mit einer Schuld, die es nicht gibt. Zweitens ist die Dschunke schneller als wir. Der segeln wir nicht davon. Und sie ist bestimmt auch gut armiert.“

„Mit anderen Worten, wir sitzen in der Falle“, erklärte Pan mit verkniffener Miene.

„Was können die uns schon anhaben?“ fragte der Ausguck. „Wir haben ihnen nichts getan, wir sind anständige Menschen. Wir gehen unserer Arbeit nach, sonst nichts weiter.“

Kim Il Loo preßte die Lippen zusammen. Er äußerte sich nicht weiter zu dieser Bemerkung. Er wollte seine Leute nicht kopfscheu machen. Doch er selbst hatte mit den Soldaten des Großen Chan unangenehme Erfahrungen gesammelt. Einmal hatte er in Shanghai in einem Lokal gegessen und getrunken, in dem Soldaten eine „Säuberungsaktion“ vorgenommen hatten.

Sie hatten ihn brutal niedergeknüppelt. Im Kerker war er wieder aufgewacht. Drei Tage hatte er hinter Gittern hocken müssen, obwohl er nichts verbrochen hatte. Erst dann hatte man ihn wieder freigelassen. Kim hatte nicht vergessen, wie es war, mit Räubern, Dieben, Opiumschmugglern und Frauenhändlern in einem Raum zu sitzen.

Ein anderes Mal war Kim über Land zu seinem Bruder gewandert, der in einem Ort westlich von Zhelin – etwa dreißig Li entfernt – eine Schmiede besaß. Unterwegs war Kim von einer Truppe berittener Soldaten niedergepeitscht worden.

Sie hatten ihn als Herumtreiber bezeichnet und beschimpft. Seine Beteuerungen, er sei ein redlicher Mann, hatten ihm nichts genutzt. Sie hatten sogar ein Porträt von ihm gezeichnet. Dann hatten sie ihn doch wieder laufen lassen. Aber sie hatten ihm noch wüste Drohungen nachgeschrien.

Seitdem traute sich Kim nur noch selten von Zhelin fort. China war kein gutes Land mehr, seit Kaiser Wanli regierte. Wanli war ein verschwenderischer und mißtrauischer Mann. Er liebte das Volk nicht, er haßte es. Er sah in jedem Untertanen einen Dieb oder Mörder. Seine Truppen mißhandelten die Menschen, wo sie nur konnten. Natürlich nutzten sie die Handlungsfreiheit und die Vollmachten, über die sie verfügten, zu ihren Gunsten aus.

Die große Dschunke schob sich an den Fischerkahn heran, die Distanz schrumpfte immer mehr zusammen. Bald konnte man sich gegenseitig durch Rufe verständigen. Kim Il Loo, Pan Pai und die anderen Fischer tauschten lange Blicke, als die Stimme des Dschunkenkapitäns zu ihnen herüberschallte.

„Achtung! Keiner rührt sich von der Stelle! Wir setzen zu euch über!“

Jeglicher Widerstand war sinnlos. Auf der Kriegsdschunke, so war nunmehr mit bloßem Auge zu erkennen, hatten die Soldaten Brandsätze auf Gestellen plaziert und zielten damit auf den Fischerkahn. Außerdem standen Armbrustschützen am Schanzkleid.

 

Kim schätzte die Zahl der Soldaten auf etwa hundert. Gegen eine so große Übermacht hatten er und seine Männer nicht die geringste Chance. Sie waren nur zu neunt.

Die Kriegsdschunke glitt noch näher auf den Fischerkahn zu. Als nur noch die Distanz von etwa einem Steinwurf zwischen beiden Schiffen lag, drehte die Dschunke bei. Ein Sampan wurde abgefiert. Zehn Soldaten enterten ab. Der Kapitän folgte ihnen und ließ sich zu dem Segler der Fischer hinüberpullen.

Kim und seine Begleiter waren machtlos gegen das, was sich nun abspielte. Das Sampan schob sich längsseits, der Kapitän und seine Soldaten enterten auf. Nur ein Mann blieb im Boot zurück. Die Soldaten zückten ihre Schwerter und bauten sich drohend vor den Fischern auf.

„Raus mit der Sprache!“ fuhr der Kapitän Kim Il Loo an. „Was seid ihr? Schmuggler oder Piraten?“

„Keines von beiden“, erwiderte Kim so ruhig wie möglich. „Wir sind Fischer.“

Der Kapitän, ein grob gebauter Mann mit einem Schnurrbart, dessen Enden sichelförmig über die Mundwinkel hingen, rümpfte die Nase und stieß einen angewiderten Laut aus. „Ja, daß ihr Fisch an Bord habt, rieche ich. Bist du der Kapitän?“ Sein Blick richtete sich kalt auf Kim.

„Ja.“

„Ja, Herr, heißt das.“

„Ja, Herr“, sagte Kim gepreßt. „Welchen Grund gibt es, uns anzuhalten?“

„Wir haben unsere Anweisungen“, entgegnete der Kapitän barsch. „Ich werde dieses Schiff selbst inspizieren und feststellen, ob ihr unter dem Fisch Opium oder anderes Schmuggelgut versteckt habt.“

„Das haben wir nicht“, sagte Kim.

„Das werden wir ja sehen“, sagte der Kapitän. Er gab einigen der Soldaten durch Gebärden zu verstehen, sie sollten sich mit dem Fisch befassen.

Kim, Pan und die anderen Fischer sahen voll ohnmächtiger Wut zu, wie die Soldaten die Luke des Laderaumes öffneten und in dem Fang herumstocherten und wühlten. Kim hätte den Kapitän der Kriegsdschunke am liebsten angesprungen, das war ihm anzusehen. Aber er mußte sich bezwingen. Wenn er gegen die Staatsmacht aufbegehrte, war er des Todes.

„Wir werden sonst nie überprüft“, sagte. Pan Pai. „Wir haben noch nie Schwierigkeiten mit den Soldaten des Kaisers gehabt.“

Der Kapitän grinste höhnisch. „Das hier ist eine ruhige Gegend, nicht wahr?“

„Ja“, erwiderte Kim.

„Und aus welchem elenden Nest seid ihr?“

„Von dort.“ Pan wies zur Küste. „Aus Zhelin.“

„Nie gehört. Aber ihr führt dort ein feines Leben, nicht wahr?“ fuhr der Kapitän spöttisch fort. „Ihr werdet von keinem belästigt, oder? Ihr könnt tun und lassen, was ihr wollt.“

„Wir sind ehrliche Männer“, sagte Kim. „Wir haben noch nie gegen die Gesetze verstoßen.“

„Das kann jeder sagen.“

„Herr!“ rief einer der Soldaten dem Kapitän zu. „Es ist wirklich nur Fisch an Bord!“

„Kein Opium?“

„Nichts“, erwiderte der Soldat. Er hielt einen großen Barsch in den Händen.

Der Kapitän deutete auf den Fisch. „Aufschlitzen. Vielleicht ist das Opium da drin.“

Kim Il Loo wollte protestieren, doch Pan Pai hielt ihn zurück. Was war schon ein Fisch? Wenn man den Kapitän dadurch friedlich stimmte, sollte man ruhig zulassen, daß er den Barsch öffnen ließ.

Die Soldaten weideten den Fisch aus, wurden aber, was das Rauschgift betraf, wieder nicht fündig. Der Kapitän ließ wieder einen Fisch aufschlitzen, dann noch einen. So ging es über eine halbe Stunde lang weiter.

Schließlich sagte der Kapitän: „Also gut, ich glaube euch. Ihr seid friedliche, ehrliche Fischer. Aber die Hälfte von eurem Fang werde ich requirieren.“

„Wie bitte?“ fragte Pan Pai entsetzt.

„Beschlagnahmen“, sagte der Kapitän mit hämischem Grinsen. „Wir führen hier einen Sonderauftrag aus. Wir sind nicht allein. Viele Soldaten haben sich in und um Shanghai eingefunden, und sie müssen alle ernährt werden.“

„Warum sind so viele Soldaten hier?“ fragte Kim betroffen.

„Das ist geheim“, erwiderte der Kapitän schroff. Wieder gab er seinen Männern Befehle. Sie fingen an, Fisch in ihr Sampan umzuladen.

Kim Il Loo, Pan Pai und die sieben anderen Fischer hätten den Kapitän am liebsten erdolcht, so hundeelend war ihnen zumute. Aber sie wußten ja, was ihnen blühte, wenn sie das taten. So verharrten sie wie gelähmt an Deck – und Tränen der Wut standen in ihren Augen.

Frisch wehte der Wind aus Südosten. Die Dreimastgaleone „Santa Barbara“ segelte mit Steuerbordhalsen über Backbordbug liegend auf Kurs Norden. Sie hatte die Hangtschou-Bucht hinter sich gelassen und lief nun Shanghai an. Ein neuer Tag war heraufgezogen. Hasard und seine Mannen waren vollzählig an Oberdeck versammelt.

Der Seewolf ließ Jack Finnegan und Paddy Rogers zu sich holen. Den beiden Männern ging es bedeutend besser. Der Ausschlag, an dem sie gelitten hatten, ging sehr rasch zurück – dank der Tiao-Pflanze, zu der das Mädchen Ching Yih ihnen verholfen hatte. Jack und Paddy waren bereits wieder voll einsatzfähig. Sie hatten sich denn auch freiwillig zum Dienst gemeldet.

Philip junior stand am Backbordschanzkleid der Back. Sein Blick war in weite Ferne gerichtet. Hin und wieder stieß er einen tiefen Seufzer aus. Er hatte fürchterlichen Kummer. Er hatte sich in das Chinesenmädchen verliebt, und jetzt hatte er sich von ihr trennen müssen.

Carberry warf Hasard einen Blick zu. Hasard schüttelte den Kopf.

Big Old Shane trat neben seinen Kapitän und brummte: „Vielleicht sollte ich mal ein Wörtchen mit dem Jungen reden.“

„Nein“, entgegnete der Seewolf. „Ich finde, wir sollten ihn ganz in Ruhe lassen. Allmählich vergeht das schon wieder.“

„Das“ bohrte in Philip juniors Brust wie glühendes Feuer. Sein Zwillingsbruder Hasard hatte auch nichts ausrichten können. So sehr er sich auch Mühe gegeben hatte, seinen Bruder umzustimmen – Philip stand nur da und schwieg. Er träumte von Ching Yih. Am liebsten wäre er auf der Stelle tot umgefallen, weil er nicht mehr bei ihr sein konnte.

Mac Pellew stand auf der Kuhl vorm Kombüsenschott und schaute so traurig zu dem Jungen, als müsse er jeden Augenblick anfangen zu heulen wie ein Schloßhund.

„Ja, dagegen gibt’s eben kein Mittel“, murmelte er.

„Kann man da gar nichts machen?“ fragte Higgy den Kutscher.

„Nichts, gar nichts“, erwiderte der Kutscher.

„Und wenn er zwei Pint Rum runterkippt?“ erkundigte sich Paddy Rogers.

„Dann wird alles nur noch schlimmer“, entgegnete der Kutscher.

„He“, sagte Higgy. „Wie wär’s mit Schröpfköpfen?“

„Mann“, sagte Mac mit grimmiger Miene. „Nun mach aber mal einen Punkt. So was Blödes habe ich mein Lebtag nicht gehört.“

„Ich bin mal dabeigewesen, wie sie einen Kerl, der total weggetreten war, in ein Faß voll lebendiger Aale gesteckt haben“, berichtete Jeff Bowie. „Hölle, das hat vielleicht gewirkt. Der Kerl ist aus dem Faß gesprungen und hat auf der Stelle getanzt, und dann war er wieder ganz normal.“

„Hört mal zu“, sagte der Kutscher zu den Männern. „Roßkuren nutzen hier gar nichts. Wenn wir Philip ignorieren, tun wir ihm sogar einen Gefallen. Er möchte mit seinem Problem allein sein. Und er wird auch ganz allein damit fertig, verlaßt euch drauf.“

„Ignorieren, was ist denn das?“ wollte Paddy wissen.

„Einfach nicht beachten“, erklärte sein Freund Jack Finnegan.

„Ach so. Aha.“

Etwas später gelang es Plymmie, der Wolfshündin, Philips großes Schweigen zu brechen. Sie setzte sich einfach neben ihn und legte ihren Kopf gegen sein rechtes Bein. Da gab Philip einen Seufzer von sich, der aus der Tiefe des Laderaums zu stammen schien. Er legte seine Hand auf Plymmies Kopf und kraulte die Hündin zärtlich.

„Wenn du wüßtest, wie mir zumute ist“, murmelte er.

Plymmie ließ einen winselnden Laut ertönen. Instinktiv schien sie zu begreifen, daß ihr Zweibeiner Sorgen hatte. Sie schnaufte und leckte seine Hand. Philip junior blickte zu ihr hinunter und lächelte schwach.

„Ja, irgendwie muß man damit fertigwerden“, sagte er. „Ich komme schon darüber hinweg.“

Plymmie wedelte mit dem Schwanz und jaulte, als wolle sie Philip junior etwas mitteilen.

„Keine Angst, ich bin noch voll bei Verstand“, sagte Philip. „Und schönen Dank für deine Hilfe.“

Kurze Zeit darauf wurde die Aufmerksamkeit der Arwenacks auf etwas ganz anderes gelenkt. Bill, der Ausguck im Großmars, sichtete Mastspitzen an der nordöstlichen Kimm. Sofort spähten die Männer in die angegebene Richtung. Die Kieker wurden reihum weitergereicht, jeder wollte sich ein Bild von den Schiffen verschaffen, die da plötzlich aufgetaucht waren.

Hasard und Dan O’Flynn nahmen die Mastspitzen vom Achterdeck aus in Augenschein.

„Das sind keine Galeonen“, sagte der Seewolf.

„Weder Dons noch Holländer“, bestätigte Dan. „Das sind Dschunken, und zwar ziemlich große.“

„Piraten oder Handelsfahrer?“ erkundigte sich Ferris Tucker.

„Genaueres ist noch nicht zu erkennen“, erwiderte Dan. „Aber was mir zu denken gibt, ist die Stärke des Verbandes. Ich kann sechs dreimastige Dschunken zählen.“

„Ich halte es für unklug, daß wir uns ihnen zeigen“, sagte Hasard. „Wenn wir uns auf ein Gefecht einlassen müssen, haben wir einen harten Stand. Das Risiko ist mir zu hoch.“

„Was hast du vor?“ fragte Old O’Flynn. „Willst du dich verziehen?“

„Die Küste kann nicht mehr weit entfernt sein“, entgegnete der Seewolf.

Dan warf einen raschen Blick auf die Karte. „Stimmt, bald müßte sie in Sicht geraten.“

Hasard schaute zu Bill hoch. „Welchen Kurs segeln die Dschunken?“

„Süden, Sir!“

„Wir fallen ab und gehen auf Kurs West-Nord-West“, befahl Hasard. „Vielleicht haben wir Glück, und die Kerle an Bord der Dschunken haben uns noch nicht gesehen. Wir versuchen, unter Land zu gehen und in eine Bucht zu verholen, wo sie uns nicht entdecken können.“

Pete Ballie legte das Ruder Steuerbord, die Crew schrickte die Schoten. Die „Santa Barbara“ fiel vom Wind ab und fuhr eine Halse. Dann befand sie sich auf ihrem neuen Kurs und lief die chinesische Festlandküste südlich von Shanghai an. Daß Hasards Vorsichtsmaßnahme richtig war, bestätigte sich: Der Dschunken-Verband bestand aus noch mehr Schiffen, als Dan O’Flynn vorher hatte zählen können – mehr als ein Dutzend!

Allmählich vergrößerte sich die Distanz zwischen der Galeone und dem fremden Verband wieder. Ob die Chinesen an Bord der Dschunken die „Santa Barbara“ entdeckt hatten oder nicht, ließ sich vorerst nicht feststellen. In diesem Punkt waren Hasard und seine Mannen auf reine Vermutungen angewiesen. Viel wichtiger war dem Seewolf aber, so schnell wie möglich die Küste zu erreichen.

Die „Santa Barbara“ rauschte unter Vollzeug dahin. Sie lief gute Fahrt, knapp sieben Knoten. Nur eine Stunde verstrich, und Bill konnte die Küste im Westen als grauschwarze Linie erkennen. Wenig später zeichneten sich die Umrisse von Hügeln und Senken ab.

Das Kartenmaterial, das Hasard von diesem Landstrich zur Verfügung hatte, war nicht sonderlich gut. Aufs Geratewohl steuerte er das Festland an. Das einzige, was er mit Sicherheit wußte, war die Tatsache, daß sie sich in der Nähe von Zhelin befanden.

Möwen und andere Seevögel schwebten auf die „Santa Barbara“ zu und umkreisten sie. Die Männer blickten zu ihnen auf, dachten aber an die Dschunken. Was hatte das Aufkreuzen so vieler Segler zu bedeuten? Was wollten sie in dieser Gegend?

Hasard hatte die Galeone gefechtsklar machen lassen. Nur die Stückpforten waren noch nicht geöffnet, doch es würde eine Sache von wenigen Augenblicken sein, die Pforten aufzuziehen und das Feuer auf den Gegner zu eröffnen – falls das erforderlich wurde.

„Freundlich sind die Zopfmänner uns bestimmt nicht gesonnen“, sagte Big Old Shane. „Wir haben ja unsere Erfahrungen. Ich glaube nicht, daß die uns mit offenen Armen begrüßen, wenn wir uns ihnen zeigen.“

„Bestimmt nicht“, pflichtete der alte O’Flynn ihm bei. „Für die sind wir fremde Teufel. Am liebsten würden sie uns in siedendem Öl backen.“

„Fest steht, daß wir wieder eine Verzögerung hinnehmen müssen“, sagte Ben Brighton. „Ich frage mich, wie das weitergehen soll! Wenn wir dauernd aufgehalten werden, sind wir auch den nächsten Monat noch hier. Dann können wir gleich überwintern.“

„Und ob wir überhaupt Brandsätze kriegen, ist noch fraglich“, sagte Old O’Flynn.

 

„Hört auf“, sagte der Seewolf. „Ich weiß, es ist schon Ende September geworden, und wir hätten längst auf der Rückreise sein können. Aber daß das Leben aus Kompromissen besteht und man eine Menge Geduld haben muß, um sein Ziel zu erreichen, solltet ihr ja wohl auch wissen.“

„Na klar“, brummte Ferris. „Aber so freundlich wie auf den Tschuschan-Inseln werden wir bestimmt nirgends mehr empfangen. Dieses Land steckt voller böser Überraschungen.“

„Darauf waren wir vorbereitet“, entgegnete Hasard. „Aber zurück zu den Dschunken. Wenn ihr meine Meinung hören wollt – ich bin ziemlich sicher, daß es Kriegsdschunken sind.“

„Hölle“, sagte Old Donegal. „Mit wem haben sich die Zopfmänner denn angelegt? Mit den Dons?“

„Es kann eine Menge Gründe für das Auftauchen des Verbandes geben“, sagte Hasard. „Aber die Zahl der Schiffe gibt mir zu denken. Chinesische Handelsfahrer bilden nicht so große Konvois, und die chinesischen Piraten segeln auch nicht in so starken Verbänden.“

„Der Henker soll die Zopfmänner holen“, sagte Shane. „Aber wenn sie hier die Küste kontrollieren, haben sie bestimmt einen handfesten Anlaß dafür. Vielleicht suchen sie jemanden.“

„Uns“, sagte Old O’Flynn.

„Quatsch“, sagte Ferris. „Wir sind doch offiziell Spanier.“

„Vielleicht haben sie erfahren, daß wir Gewürze an Bord haben, die eigentlich in Manila hätten abgeliefert werden sollen“, meinte der Alte. „Wir haben uns strafbar gemacht. Im Prinzip sind wir so was Ähnliches wie Schmuggler.“

„Donegal, das ist nun wirklich an den Haaren herbeigezogen“, erwiderte der Seewolf. „Erstens ist die Sache mit den Gewürzen eine rein spanische Angelegenheit. Und wie hätten die Dons von Mindanao so schnell erfahren sollen, daß ihre Ladung nie in Manila eingetroffen ist? Das ist unmöglich. Sie wissen es noch nicht. Und noch mehr Zeit würden sie brauchen, um die Chinesen zu verständigen – was sie zweifellos überhaupt nicht tun würden. Schließlich ist Spanien mit China weder verbündet noch befreundet.“

„Gut, das sehe ich ein“, sagte der Alte. „Aber hier ist dicke Luft, und das paßt mir nicht. Wahrscheinlich müssen wir uns einen anderen Hafen aussuchen als Shanghai. Wenn Kriegsdschunken die Stadt abschirmen, kriegen wir unsere Brandsätze nie und nimmer.“

„Warum segeln wir nicht nach Peking?“ fragte Ben. „Das ist gar nicht so weit entfernt.“

Old O’Flynn spuckte außenbords, dann wandte er sein verkniffenes Gesicht Ben zu. „Mister Brighton, du bist schon immer ein großer Witzbold gewesen.“

Bald darauf war die Küste so nah, daß man ihre Hügel und den alles zudeckenden Grüngürtel mit dem bloßen Auge erkennen konnte. Dan enterte zum Fockmars auf und unterstützte Bill in dem Versuch, irgendwo eine Bucht zu erspähen, in die das Schiff verholen konnte. Vorerst schien es aber keinen derartigen Ankerplatz zu geben. Das vor ihnen liegende Ufer verlief fast geradlinig.

Etwas später sichtete Bill einen kaum wahrnehmbaren Einschnitt in dem Dschungelgürtel. Dan bestätigte: Es handelte sich um die Einfahrt in eine Bucht. Hasard zögerte keinen Augenblick und ließ Kurs auf die Bucht nehmen. Die „Santa Barbara“ steuerte die Einfahrt an. Jeff Bowie begab sich auf die Galion und lotete die Wassertiefe aus.

Die Arwenacks hatten Glück, die Wassertiefe reichte aus. Die „Santa Barbara“ schob sich durch die enge Einfahrt. Mangroven und Lianen streiften zu beiden Seiten die Bordwände. Dann öffnete sich der Vorhang wieder, und das Schiff glitt in eine kleine Bucht, die gerade geräumig genug war. Hier ging die „Santa Barbara“ vor Anker.

Hasard inspizierte die Umgebung.

„Die Bäume sind hoch genug“, sagte er. „Von außen kann uns keiner entdecken.“

„Dann können die Zopfmänner kommen“, sagte Old O’Flynn. „Falls sie uns doch gesehen haben, können sie sich schwarz suchen. Sie finden uns nicht wieder.“

„Wir stellen sechs Wachposten auf“, sagte der Seewolf. „Ich will vor Überraschungen ganz sicher sein. Blacky, Batuti, Roger, Luke, Philip und Hasard – ihr fiert sofort die Jolle ab und setzt über! Drei Mann postieren sich nordöstlich unserer Bucht, drei Mann im Südwesten.“

„Aye, Sir“, erwiderten die Männer.

Unverzüglich führten sie den Befehl ihres Kapitäns aus. Sie setzten das Boot aus, enterten ab und pullten zum Ufer. Sie landeten, zogen die Jolle auf den schmalen Streifen Strand, der vom Wildwuchs des Regenwaldes noch nicht verschlungen war, und tauchten im Gestrüpp unter.

Batuti und die Zwillinge schlugen sich in nordöstlicher Richtung bis zu einem Platz durch, von dem aus sie durch das Uferdickicht auf die offene See spähen konnten. Blacky, Roger Brighton und Luke Morgan verteilten sich unterdessen auf drei strategisch günstige Positionen südwestlich der Ankerbucht. Von hier aus hatten sie einen guten Überblick über das Meer. Nichts würde ihrer Aufmerksamkeit entgehen.

Bill behielt seinen Posten als Ausguck im Großmars der „Santa Barbara“ bei. Unausgesetzt schaute er durch sein Spektiv. Die Buchteinfahrt ließ ihm eine Lücke offen, durch die er einen schmalen Bereich der See im Auge behielt.

Nicht sehr viel Zeit verstrich, und der Dschunkenverband erschien an der nordöstlichen Kimm. Philip junior war der erste, der die Mastspitzen sichtete. Verflogen war sein Liebeskummer. Philip unterrichtete seinen Bruder und den Gambia-Mann, dann spähten sie abwechselnd durch den Kieker, den sie mitgenommen hatten, zu den fremden Schiffen.

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