Kommunikationswissenschaft

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Kommunikation setzt Ordnung voraus

Dinge, die wir tun, sind niemals völlig identisch, wenn wir sie wiederholen. Typisch dafür ist die gesprochene Sprache. Ein und derselbe Satz, den wir mehrmals vorlesen, klingt jedes Mal etwas anders. Trotzdem würden wir den Inhalt des Satzes als identisch bezeichnen. Das kann sich ändern, wenn wir Phrasen im Satz anders betonen. Durch das Verschieben des Satzakzentes können wir etwas, was als Aussage formuliert ist, in eine Frage umwandeln. Es gibt somit eine Varianz.

OrdnungenVarietätenDer Umgang mit Varianz ist im Alltag etwas ganz Normales. Sie ist unproblematisch, wenn Regeln dafür sorgen, dass Überschreitungen dieser Varianz erkennbar sind. In der Phonologie ist z.B. das folgende Phänomen zu beobachten: Aus /bo:d ən/ wird, wenn die Rundung im /o/ zu schwach wird, /ba:d ən/, und das ist ein Wort mit einer ganz anderen Bedeutung. Wenn die Wortbedeutung eine andere wird, ist die Varianzgrenze überschritten.

Pragmatisch kann aus einer Aussage, deren Merkmal der Satzakzent auf der zweiten Phrase ist, eine andere Sprechhandlung werden, wenn die letzte Phrase betont wird. Aus der Aussage wird eine Frage, und dies ist eine andere sprachliche Handlung. Die ProsodieProsodie stellt weitere Mittel zur Verfügung, um das pragmatische Potenzial auszudifferenzieren. Bei gleicher morphosyntaktischer Struktur kann die gleiche Satzphrase als Bitte oder Warnung wahrgenommen werden, wenn eine bestimmte Stimmführung beobachtet wird. Phrasenteile können mit Nachdruck gesprochen werden und verweisen dadurch auf einen Unterschied gegenüber der normalen Stimmführung. Auch diese Abweichung ist nutzbar, um eine andere Handlung anzuzeigen. Die SprechakttheorieSprechakttheorie, wie sie von Austin (1962) und Searle (1971) entwickelt worden ist, hat versucht, Regeln zu formulieren, die das Erkennen solcher Varianzklassen erleichtern, indem sie Gebrauchsumstände benennen.Searle Austin, John L.

VarietätenDer Umgang mit Varianzen wird sicherer, wenn es hinreichend stabile Erwartungen gibt. Sie stehen im Zusammenhang mit den zur Verfügung stehenden Bezugsgrößen. Wenn es um das phonologische Wissen geht, kann aus dem /a/ ein /o/ herausgehört werden, weil in der Situation gerade nicht von Wasser die Rede ist, sondern über Pflanzen gesprochen wird. Das Wort „baden“ ist dann eher unwahrscheinlich, während sich „Boden“ mit dem Konzept „grüner Daumen“ verträgt.

Wenn der Erzählton in einer Situation verlassen wird, der typisch für das Erzählen einer Alltagsepisode ist, kommt es im Hinblick auf den Phrasenakzent und die Stimmführung zu einer Äußerungsvarianz. Sie kann unter dem Aspekt von Appellgesten geprüft werden. Der Sprecher ist mit seiner Geschichte am Ende und nun kann der Andere seine vortragen oder beide verabschieden sich und leiten die Verabschiedungsgeste ein. Im Rahmen des Erfahrungswissens über das gemeinsame sprachliche Handeln wird geprüft, in welchem Sinne die aufgetretene Varianz genutzt werden kann. Um kommunizieren zu können, sind daher Annahmen über Ordnungen nötig, die gemeinsame Verhaltensweisen voraussehbar machen und regeln.


01 F Ist es schon eins?
02 A SCHAUT AUF SEINE UHR vier vor eins.

Es liegen sprachliche Daten vor, die sich, bezogen auf ein linguistisches Bezugssystem, als Fragesatz und Antwortphrase identifizieren lassen. „Ist es schon eins?“ ist ein Fragesatz, „vier vor eins!“ eine Antwortphrase auf den Fragesatz. Die linguistische Ordnung besagt, dass laut Regel durch das Besetzen der Erstposition im Satz mit einem Verb eine Frageform erzeugt werden kann. Ist ist das Verb und steht an der ersten Position im Satz. Das Erfragte kann durch eine nominale Phrase sprachlich kodiert werden. Das geschieht mit der Formulierung vier vor eins. Die sprachlichen Daten zielen nun aber nicht nur auf die grammatische Ordnung des Deutschen ab. Diese wird implizit als wirksam unterstellt. Das Arrangieren der Daten nach den Regeln eines Fragesatzes folgt einem weiteren Bezugssystem. Der Fragende erwartet von dem Angesprochenen eine Antworthandlung. Das kann nur gelingen, wenn die sprachliche Ordnung dem Gefragten zur Verfügung steht. Diese allein reicht aber nicht aus, wenn er nicht auch über eine Ordnung von Sprechhandlungen Bescheid weiß.

Ein in Frageform codierter sprachlicher Ausdruck kann auf die Sprachhandlung eines Informationswunsches abzielen. Der Angesprochene muss daher Kenntnisse über Konventionen haben, die ihm erklären, dass Daten genutzt werden können, um ein Informationsdefizit des Sprechers zu beseitigen, wenn der Gefragte über entsprechendes Wissen verfügt. Kann er auf dieses Wissen zurückgreifen, weil er eine Uhr mit sich führt, muss er auf diese schauen und ihre Anzeige erkennen können, außerdem muss er die sprachlichen Regeln kennen, um die Daten gemäß dieser Ordnung zu strukturieren.

Der Umgang mit einer Sprachhandlung folgt aber nicht nur pragmatischen Ordnungen, die zu regeln versuchen, wie linguistische Daten einsetzbar sind, um Handlungseffekte zu erzielen. Die Daten werden in einen Raum der Interaktion von Individuen gestellt. Ein solcher existiert, weil es im physikalischen Raum Individuen gibt, die sich gemäß den von ihnen tolerierten sozialen Ordnungen miteinander arrangieren. Im vorliegenden Fall begegnen sich zwei Personen auf der Straße, einer geht auf den Anderen zu, spricht ihn an und erwartet eine Antwort. Das kann nur funktionieren, wenn es einen Bezugshintergrund gibt, der beiden hinreichend Hinweise darauf bietet, was sie tun können bzw. müssen und wie alles weitere zu deuten ist. Im konkreten Beispiel können sich die Individuen, die im öffentlichen Raum aufeinandertreffen, an der „Ordnung“ einen Fremden nach der Uhrzeit fragen orientieren. Denn für solche Situationen gibt es in unserem Kulturkreis gewisse Konventionen.

Feste Gebrauchsformate im öffentlichen RaumKontextinstitutionellJemand Fremden nach der Uhrzeit zu fragen, ist im Alltag nichts Ungewöhnliches. So kann erwartet werden, dass es dafür auch ein entsprechendes Format gibt, das allgemein bekannt ist. Die in einer solchen Situation verwendbaren Formen werden allerdings konkret von den jeweiligen Umständen beeinflusst. Dabei kommt der Örtlichkeit eine besondere Rolle zu. Wenn zum Beispiel der Raum Schule und dort die Pausenhalle betrachtet wird, so handelt es sich um eine Örtlichkeit, wo zwar sehr viele Personen ein- und ausgehen, sich aber anders als auf einem Marktplatz viele gegenseitig kennen, wenn es Schüler und Lehrer sind. Wie sie sich in einem solchen Raum verhalten, ist daher bis zu einem gewissen Grad abschätzbar. Würde hingegen auf einem Markt nach der Uhrzeit gefragt, muss eine gänzlich fremde Person angesprochen werden und dieser Vorgang ist mit Formen verbunden, die den sozialen Umgang miteinander bewusster in den Blick rücken. Mit einem Fremden in KontaktKooperation zu treten, erfordert ein weiterreichendes Wissen über mögliche Ausdrucksformen von Personen; wie sich der Angesprochene verhalten wird, ist weniger vorhersehbar als in der bekannten Umgebung Schule. Es ist auf alle Fälle mit einer größeren Varianz im Verhalten der Personen zu rechnen und die verschiedenen Formen müssen auf ihre kommunikative Tauglichkeit hin eingeschätzt werden. Das setzt eine breitere Kompetenz im Umgang mit anderen voraus, wenn diese für eine Kooperation gewonnen werden sollen.

OrdnungsprinzipienGrundsätzlich gibt es eine „Ordnung für das Erfragen der Uhrzeit. In dieser ist geregelt, dass jede Person angesprochen werden darf, die auskunftsfähig erscheint. Wenn eine Person angesprochen wird, erfolgt das nach einem verhältnismäßig strengen Format der Daten. Es gibt Daten, die den Kontakt herstellen sollen; sie werden als Grußhandlung codiert, für die feste Redewendungen benutzt werden. Dann werden Daten genutzt, in denen um Entschuldigung für die Kontaktherstellung gebeten wird, was durch eine formelhafte Redewendung erfolgen kann. Das Motiv dafür ist darin begründet, dass im öffentlichen Raum nicht ohne weiteres fremde Personen angesprochen werden dürfen. Geschieht dies doch, besteht der Verdacht auf einen Akt der UnhöflichkeitHöflichkeit oder sogar der Aggression. Eine solche Handlung wäre für das Anliegen, die Uhrzeit zu erfahren, kontraproduktiv. Es müssen deshalb Daten angeboten werden, welche die Handlung einer Bitte um Information zum Gegenstand haben und nach Möglichkeit dazu beitragen, den höflichen Umgang miteinander nicht in Gefahr zu bringen. Höflichkeit ist ein eigenes Verfahren, für das nach Brown und Levinson (1988) Datenformate zur Verfügung stehen, die dem Anderen gegenüber Respekt anzeigen sollen.

Stephen Curtis Levinson (1947): Britischer Sozialwissenschaftler,

Schwerpunkte: Studien und Beziehungen zwischen Kultur, Sprache und Kognitionspsychologie


Penelope Brown (*1944)

Amerikanische anthropologische Linguistin, Schwerpunkt: Höflichkeitsforschung

BezugskontexteWenn nun unter diesen Bedingungen das Beispiel betrachtet wird, dann braucht es weitere Bezugsgrößen, um verstehen zu können, was dort geschieht. Denn die Äußerung 01 F „Ist es schon eins?“ wurde bisher nur als linguistische Daten, als Wörter und als eine Satzkonstruktion gelesen. Um als soziales Ereignis verstanden zu werden, müssen Raum und Zeit der Begegnung zweier Akteure als Daten mit ins Spiel gebracht werden.Informieren Außerdem müssen Daten über die Personen vorliegen, welche die Interaktion vollziehen. Diese Daten werden in einer Ordnung Uhrzeit erfragen bearbeitet und helfen, das Verhalten der Akteure zu interpretieren. Denn zuerst müssen beide akzeptieren, dass ein kognitives Defizit, wie das Nichtwissen der Uhrzeit, durch das Ansprechen eines Fremden behoben werden darf. Das Ansprechen bzw. Angesprochen-Werden von Personen, die sich nicht kennen, erfolgt in bestimmten Formaten des Umgangs miteinander, d.h. es gibt eine Reihe von entsprechenden Äußerungsformeln. Die verwendeten Daten sollen ein Verhalten ausdrücken, das geeignet ist, die Beziehung zum Anderen als akzeptabel erscheinen zu lassen.

 

FragenDer Fragende muss durch die körperliche Distanz gegenüber dem Gefragten, die Körperhaltung und Bewegungen einzelner Körperteile, Kopf, Blick, Hände und Arme sowie die Wahl prosodischer Sprechmittel von diesem so wahrgenommen werden können, dass ein Kontakt zueinander als akzeptabel interpretiert werden kann. Erst wenn das gelingt, kann erwartet werden, dass sich der Andere darauf einlässt und eine Bitte um Information erkennt und zulässt.

VariantenSprachhandlungUhrzeit erfragenBesehen wir das Beispiel erneut und konstruieren konkrete Ausprägungen. Wir legen einen Akteur fest: Der Fragende ist ein junger Mann, der charmant wirkt, flott gekleidet ist und von seinem Habitus her zum Flirten aufgelegt erscheint, d.h. es gibt Daten im Bereich der Körperlichkeit der Person, die diese Effekte bei der potentiellen Kontaktperson auslösen können. Der Mann richtet seine Frage an eine junge Frau, die zu solchen Typen ein distanziertes Verhältnis hat. Mit dem Ansprechen der jungen Frau wird aus dem physikalischen ein sozialer Raum. In diesem entsteht eine Varianz gemäß der Ordnung nach der Uhrzeit fragen, die zugleich auch andere Bezugsordnungen zulässt. Die Daten, nach denen der junge Mann von der Frau „gelesen“ wird, weisen ihm Merkmale zu, die in ihr einen potentiellen, aber unerwünschten Sexualpartner sehen. Der Versuch einer Kontaktaufnahme wird so vorrangig im Rahmen der sexuellen Beziehungsordnung verarbeitet. Weil es in der Ordnung die Uhrzeit erfragen um das Überwinden eines kognitiven Defizits geht, wird dort das Verhalten als Bitte um Information gedeutet. Ist der Bezugshintergrund indes das Suchen eines Sexualpartners, erhalten die Daten den Handlungswert einer „Anmache“, d.h. dem Fragenden wird unterstellt, dass er ein konventionell akzeptiertes Handlungsmuster – die Frage nach der Uhrzeit – missbraucht, um den Kontakt zum anderen Geschlecht herzustellen.

Ein anderer Fall tritt ein, wenn der Fragende eine junge Person und der Gefragte eine ältere ist. Die jüngere Person wirkt in ihrem Habitus sehr locker und lässig. Die ältere ist ein Herr, der die Jugend von heute als distanzlos und unerzogen empfindet. Das Erscheinungsbild des jungen Mannes löst bei ihm genau diese Vorstellungen aus und erzeugt dadurch eine Ordnung, in der das Verhalten des Gegenübers entsprechend bewertet wird. Die Daten „ist es schon eins?“, die in einem saloppen Ton vorgetragen wurden, werden zwar als konventionelle Ordnung der Bitte um eine Information erkannt, die Daten der Kontaktherstellung indes werden als Unhöflichkeit „gelesen“. Dies kann als Begründung dafür genommen werden, den Kontakt abzulehnen und so zu tun, als habe man nichts gehört. Die Wirksamkeit einer solchen Ordnung bleibt den Beteiligten in der Regel unbewusst, wenn etwas nicht so verläuft, wie es erwartet worden ist, entsteht Irritation.

OrientierungDie Kommunikation selbst muss sich immer wieder dahingehend beobachten, was Daten sind und worauf sich diese beziehenReflexivität. Die Beispiele sollen deutlich machen, wie die Akteure, die sich an bestimmten Bezugsgrößen orientieren, um sie kommunikativ zu nutzen, herausgefordert sind, Daten ihrer Umgebung ständig daraufhin zu prüfen, ob sie (noch) zu von ihnen genutzten Ordnungen passen. Ist das nicht mehr der Fall, muss eine Alternative gesucht werden, wenn der Abbruch der Kommunikation nicht riskiert werden soll. Der Satz vom Nicht-nicht-kommunizieren-Können Watzlawick (1969) stellt den Versuch dar, sich aus diesem Dilemma zu befreien. Es gibt aber auch eine andere Sicht auf diesen Sachverhalt. Luhmann (1984) spricht von der Unmöglichkeit der Kommunikation, denn die Akteure können sich nie sicher sein, wie das Gegenüber die Dinge sieht. Beide Aussagen, die sich auf den ersten Blick zu widersprechen scheinen, verweisen auf ein und dasselbe Phänomen.

Erklärung

Kommunikation ist für die Beteiligten stets ein Risiko, weil die zu „lesenden“ Daten zu vielfältig sind, als dass immer vorhersehbar ist, welche vom Angesprochenen relevant gesetzt werden, und weil das Wie des „Lesens“ von vielen situativen Einflüssen abhängt, die ebenfalls nicht ohne weiteres berechenbar sind. Folgen die Betroffenen der „Strategie“ des Nicht-nicht-kommunizieren-Könnens, wird der Einzelne schnell überfordert. Gehen sie von der Unmöglichkeit der Kommunikation aus, müssen sie stark stereotype und ritualisierte Praktiken favorisieren, um Unsicherheiten auszuschließen. Das engt den Handlungsraum ein.

DatenWenn die Kommunikation eine ähnliche Sicht auf Daten voraussetzt, müssen die Akteure über Ordnungen von Daten verfügen, von denen sie annehmen dürfen, dass sie auch ihrem Gegenüber vertraut sind. Eine solche Unterstellung ist immer gewagt. Akteure müssen daher in das Sicherstellen und Absichern ihrer Annahme investieren, d.h. sie müssen herausfinden, ob der Andere sich wie erwartet verhält. Sind sie sich nicht sicher, müssen sie dem Gegenüber Hinweise auf eine mögliche und gemeinsame Ordnung geben. Diese finden sie beispielsweise in ihrer gemeinsamen physikalischen oder sozial definierten Umgebung.

Kommunikation als Wissenschaft – die Anfänge der TheoriebildungKommunikationTheorie Kommunikationswissenschaft

Komplexe Phänomene, Kommunikation gehört dazu, zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht mithilfe einer einfachen kausalen Relation beschrieben werden können. Die das Phänomen bestimmenden Elemente sind in sich so heterogen, dass jeder Beobachter damit überfordert ist, sie als ein System zu identifizieren. Was er aber kann, ist sie genau beobachten und das, was er sieht, beschreiben sowie das Beschriebene analysieren.

SignaltheorieDurch die Arbeiten von Shannon und Weaver (1949) wurde Kommunikation erstmals zum Thema für die Wissenschaft und erhielt so eine theoretische Begründung. Shannon gelangen theoretisch begründete ErklärungenShannon, Claude Weaver, Warrenerst durch die Entwicklung seiner Signaltheorie.Signaltheorie Seit den 1960er Jahren standen Beobachtungen zu Aspekten der Informationsverarbeitung im Mittelpunkt des Forschungsinteresses an der Kommunikation.

Klaus, Georg (1912–1974): Philosoph, Logiker, Kybernetiker an der Humboldt Universität zu Berlin und Akademie der Wissenschaften der DDR

Klix, Friedhart (1927–2004): Professor der Psychologie und Kognitionstheoretiker an der Humboldt Universität zu Berlin

Klaus (1973) und Klix (1971) setzen sich mit Themen zur Wirksamkeit von Signalen auseinander. Die Aufmerksamkeit galt vor allem elektrischen Signalen, denn sie sollten möglichst sicher Informationen von einem Ort zum anderen transportieren. Das setzte einen spezifischen Informationsbegriff voraus.Transfermodell Informationen sollten transporttauglich sein, d.h. sie müssen über weite Distanzen hin schnell und sicher versendet werden können. Sie dürfen beim Transport möglichst wenig beeinträchtigt werden, d.h. sie müssten so transformiert werden, dass äußere Einflüsse wie beispielsweise Stromschwankungen im Netz die Information nicht verändern. Diese Umwandlung erfolgte mithilfe eines Codes.Code Das Versendete wurde einer Verschlüsselung anvertraut, die dem Empfänger bekannt sein musste bzw. einem Gerät, das das Codierte in die ursprüngliche Form zurückübersetzt.

Aus der Rezeption dieser Themenstellung entstanden eigenständige Wissenschaftsdisziplinen wie die InformatikInformatik und KybernetikKybernetik. Die dabei entwickelte Signaltheorie verwies auf neue Erklärungsmöglichkeiten und -zusammenhänge von Kommunikation. Sie wirkte weit über den technischen Bereich hinaus in die nicht-technischen Disziplinen wie die Psychologie oder Linguistik hinein. Auch hier erhielten die Begriffe Information und Codes einen zentralen und tragenden Stellenwert.

Digitale und analoge InformationDie Gruppe von Palo Alto um Paul WatzlawickWatzlawick, Paul (1969) beschäftigte sich mit dem Phänomen der Information im Rahmen ihrer psychotherapeutischen Arbeit und unterschied zwischen zwei Informationsverarbeitungsweisen. Ein Signal kann einem stringenten Regelkanon folgend in Information überführt werden. Es kann zur Informationsentnahme verschiedenen Deutungspraktiken unterliegen. Im ersten Fall wird von der digitalen, im zweiten von der analogen Modalität gesprochen. Die Informationsentnahme aus sprachlichen Äußerungen folgt dem ersten, die bei der von Körperverhalten einer Person beispielsweise dem zweiten. Sprache basiert auf festen grammatischen und lexikalischen Regeln, nach denen die Bedeutung linguistisch erschlossen wird. Körperbewegungen und -haltungen unterliegen offenen und von Situationen beeinflussten Deutungsmustern. Ähnlich weitreichend ist ihr Vorschlag einer Unterscheidung zwischen einer Sach- und einer Beziehungsebene, wenn Personen miteinander interagieren. Die Akteure beobachten und finden Daten aus unterschiedlichen Bezugsfeldern. Es gibt zum einen das Gegenüber der Person und zum anderen das Feld, in dem Thema und Sachverhalte der Interaktion zugänglich gemacht werden.

ZeichentheorieZeichentheorieMorris, Charles W.Eine weitere Sicht auf Zeichen entwickelte Morris (1938). Er schlug vor, drei Typen zu unterscheiden. Es gibt willkürlich festgelegte Zeichen, wie die Zeichen der Schrift. Zeichen können bildhaft sein, so dass aus ihrer Gestalt auf Gegenstände geschlossen wird, Ikons beispielsweise. Zeichen werden auch als Symptome für etwas sichtbar, Rauch lässt ein Feuer vermuten. Mit dieser Sicht auf Zeichen wurde eine eigenständige Disziplin, die Semiotik, angeregt.

Ein anderes Problem beschäftigte die Psychologie in den 30er Jahren. Sie fragt nach dem Signalbegriff aus der Perspektive des Zeichens und seiner Nutzer. Wie interagieren Personen im Hinblick auf ein Zeichen, um zu Informationen zu gelangen. Bühler (1934) entwickelte ein eigenes Konzept das Organon-Modell.Organon-Modell In diesem wird zwischen den Nutzern als Sender und Empfänger und dem Gegenstandsbereich unterschieden. Die drei Komponenten interagieren über das im Zentrum stehende Zeichen. Den Gebrauch desselben charakterisiert er als Ereignis, bei der der Sender mithilfe eines Ausdrucks, der auf Gegenstände verweist, an den Empfänger appelliert, sich auf das Ereignis einzulassen. Damit wird die Wirksamkeit von Zeichen durch das Zusammenspiel verschiedener Komponenten beschreibbar.

Symbolischer InteraktionismusAndere Wege ging die Sozialpsychologie. Wie kommt es, dass zwei Personen, wenn sie interagieren, aus den ihnen vorliegenden Daten dieselben Informationen erschließen. Die Lösung wird darin gesehen, dass das Erschließen von Information mit Fähigkeiten der Akteure erklärt wird, sich in den Anderen hineinversetzten und seine Reaktionen abschätzen zu können. Gesprochen wird von ReziprozitätReziprozität und Antizipation des Gegenübers. Mead und Morris (1934)Mead, George H. verwies damit auf die Notwendigkeit, zwischen der eigenen und der Vorstellung des Anderen zu unterscheiden, indem gelernt wird, die Nähe zwischen beide abzuschätzen: Was begründet die Erwartung, dass mein Gegenüber das tut, was ich erwarte?

EthnomethodologieTurn TakingEinen eher strukturell formalen Zugang zum Anderen wählten die Ethnomethodologen Scheggloff und Sacks (1973)Schegloff, EmanuelSacks, Harvey indem sie den Wechsel zwischen den Sprechern beobachteten und nach Formen suchten, die ein regelhaftes Verhalten der Akteure ermöglichen und so einen geordneten Austausch der Sprecherbeiträge erwarten lassen. Das miteinander Reden setzt gewisse Rücksichtnahmen voraus, wenn das Geäußerte gemeinsam behandelt werden soll.

SoziologieSoziologieDie Verhaltensmuster, die Kommunikation begleiten, haben darüber hinaus tiefer greifende Ursachen. Eine Gruppe von Soziologen suchte die Quelle für die Kommunikation nicht beim Einzelnen oder in der konkreten Interaktionssituation. Luhmann (1984) Luhmann, Niklasging davon aus, dass soziale Wirklichkeit überhaupt erst durch Kommunikation möglich wird. Mitglieder der Gesellschaft sind auf sie angewiesen und agieren erst durch sie miteinander. Die Frage, die sich damit verbindet, lautet: Wann tritt Kommunikation im gesellschaftlichen Handeln auf und welchen Anspruch erhebt sie bzw. wird ihr zugeschrieben. Habermas (1984) Habermas, Jürgenglaubt, dass Akteure grundsätzlich zur Kommunikation fähig und bereit sind, weil Kommunikation der Weg ist, Geltungsansprüchen in der Gesellschaft zu verfolgen. Er stützt sich dabei auf die Ideen der Sprechakttheorie, die seit Austin (1962) Austin, John L.zu klären versucht, wie aus sprachlichen Äußerungen ein Handeln im Umgang miteinander wird.

 

SprachphilosophieKooperationsmaximen Es zeigte sich aber, dass ein solcher Handlungszusammenhang nicht allein sprachlich erklärt werden kann. Die Theorie der Kooperationsmaximen von Grice (1975) Grice, H. Paulveranschaulichte, wie Akteure aus dem, was ihnen gesagt wird, auf etwas dahinter Liegendes schließen und dass es dafür bestimmte Schlussverfahren gibt, um das nicht Gesagte mitverstehen zu können. Bildhaft wird auf dieses Phänomen in der Psychologie durch Ruch/Zimbardo (1974, S. 366–367) hingewiesen. Die Eisberg-Metapher soll zum Ausdruck bringen, dass das Dargebotene immer nur ein Teil von etwas Umfassenderen, aber nicht Sichtbaren ist. Den Handelnden ist nur ein geringer Anteil zugänglich, es wird von 20 % gesprochen. Der andere Rest bleibt vor- oder gar unbewusst.

Bernstein, Basil (1924–2000): britischer Soziologe an der Universität London,

Schwerpunkte: Sprachliche Code, diskutiert als Bernstein-Hypothese vom elaborierten und restringierten Code der Mittel- und Unterschicht


Eisbergmodell

LingustikDie LinguistikLinguistik der 70er Jahre entwickelte kein eigenes Konzept, um Kommunikation zu erklären. Sie schloss sich der SignalübertragungstheorieSignaltheorie an. Vertreter der Soziolinguistik wie Bernstein (1973) oder Labov (1978) Labov, Williamdiskutierte Varietäten sprachlichen Verhaltens von Gruppen in der Gesellschaft und nutzte dazu den Begriff des Codes.Code Die Gruppen verwenden unterschiedliche Codes. Müssen Mitglieder dieser verschiedenen Gruppen miteinander kommunizieren, kommt es immer wieder zu Konflikten und dies belastet die Interaktion.


William Labov (*1927)

Amerikanischer Linguist, Schwerpunkte: Sprachwandel und Sprachvariation, Soziolinguistik

Wolfgang Wahlster (*1953): Informatiker und theoretischer Linguist, Schwerpunkte: intelligente Benutzerschnittstellen und natürlichsprachliche Dialoge

Fuzzy LogicKommunikation setzt voraus, mit Bedeutungen umgehen zu können. Bedeutungen werden in den vorgestellten zeichentheoretischen Ansätzen mit den Zeichen verknüpft. Verbreitet ist eine monodirektionale Vorstellung, die besagt, das Zeichen selbst verfüge über die Kraft, auf etwas in der physikalischen oder mentalen Wirklichkeit zu verweisen. Der Zeichenbenutzer weiß um diese Verweisfunktion des jeweiligen Zeichens und verlässt sich darauf, dass die anderen dasselbe Wissen haben. Tatsächlich besitzen Zeichen eine solche ein-eindeutige Verweisfunktion nicht. Schon die Simulationen im Rahmen der Forschung zur Künstlichen Intelligenz in den 1970er Jahren, wie sie Wahlster (1979) Wahlster, Wolfgangdiskutierte, zwangen zur Entwicklung der sog. Fuzzy LogicFuzzy Logic. Das ist eine Theorie, die sich mit der Vagheit sprachlicher Ausdrücke auseinandersetzt und dies als Besonderheit natürlichen Sprechens nachweist. Nicht zufällig gewann der Begriff des Sprachspiels von Wittgenstein (1967) Wittgenstein, Ludwig J.J.besondere Aufmerksamkeit, denn er verweist auf die gegenseitige Abhängigkeit von Zeichen und Zeichennutzern, die ihm seine Bedeutung erst im situativen Handeln zuzuschreiben erlauben. Offen geblieben ist das Wie. Kommunikation wird gerade aufgrund dieser Unbestimmtheit herausgefordert.


Ludwig Josef Johann Wittgenstein (1889–1951)

War einer der bedeutendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts, Schwerpunkte: Philosophie der Logik, der Sprache und des Bewusstseins

PraxeologieWenn der Komplexität der Verwendung von Zeichen Rechnung getragen wird, hat das Folgen für das Verständnis von Kommunikation. Die Akteure können sich nicht darauf verlassen, dass das, was sie äußern, von anderen auf dieselbe Weise verstanden wird. Sie sind deshalb gezwungen beobachten zu lernen, ob das, was der Andere tut, mit dem, was sie möchten, kompatibel ist. Gibt es Differenzen, kann Kommunikation diese bearbeiten. Baecker (2005) hat auf diesen Aspekt aufmerksam gemacht. Die Akteure kontrollieren jedoch nicht, ob der Angesprochene über ein identisches Weltwissen verfügt, sondern sie beobachten, an welchen Punkten gemeinsames Handeln scheitert oder gefährdet ist. Um das zu verhindern oder zu überwinden und die Beobachtungsgabe der Akteure zu schärfen, braucht es Erfahrungen mit Kommunikation.Praktiken

Ein Kind hebt eine verschmutzte Kirsche vom Boden auf und will sie in den Mund stecken. „Nein, das ist bäh!“ ruft die Mutter. Das Kind schaut verständnislos und will die Kirsche essen. Die Mutter nimmt sie dem Kind weg. Das Kind findet etwas, was es essen möchte. Der Hinweis, das nicht zu essen, wird nicht verstanden. Mutter und Kind können sich den Bedeutungszusammenhang essbare und nicht essbare Gegenstände noch nicht erklären. Dem Kind fehlen entsprechende Erfahrungen. Die Mutter interveniert durch ihr Eingreifen in das Handeln des Kindes, sie nimmt ihm die Kirsche weg.

Reichertz (2009) Reichertz, Joverbindet daher die Frage nach der Kommunikation immer mit der nach der Macht. Denn versagt Kommunikation entsteht die Gefahr einer gewaltsamen Intervention, das Handlungsziel wird erzwungen. Wer kommunizieren will, muss sich daher immer auch fragen, was kann Kommunikation und was kann sie in dieser Situation nicht.

Zusammenfassung

Kommunikation ist Gegenstand verschiedener Wissenschaftsdisziplinen. Sie wird zum ersten Mal in der Technik der Signalübermittlung greifbar. Die Idee, dass eine Botschaft übermittelt wird und dafür geeignete Bedingungen herrschen müssen, findet sich noch heute im Verständnis von Kommunikation wieder. Das steht in engem Zusammenhang mit der Vorstellung, Zeichen garantierten diesen Vermittlungsprozess, man müsse diese nur richtig gebrauchen. Damit wird aber die Komplexität kommunikativen Handelns völlig unterschätzt. Schon früh hatte die Sozialpsychologie dies erkannt und die Soziologie reagierte darauf, indem sie sich Gedanken darüber machte, in welchem operativen Zusammenhang Gesellschaft und Kommunikation zu verstehen sind, wenn Handlungen notwendig werden. Eine zentrale Frage für eine Kommunikationswissenschaft ist daher: Woher nimmt Kommunikation ihre Wirkmacht?